LSG Baden-Württemberg bejaht Arbeitsunfall eines Bestatters beim Anheben eines Leichnams

Ein Bestatter, der beim Anheben eines Leichnams ein Verhebetrauma erleidet, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und kann die Feststellung eines Arbeitsunfalls verlangen. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 19.07.2018 entschieden (Az.: L 6 U 1695/18).

Nach Anheben einer Leiche vier Wochen arbeitsunfähig

Der zum Unfallzeitpunkt 39-jährige Versicherte arbeitet seit 2002 als Friedhofsmitarbeiter (Bestattungshelfer). Er ist unter anderem für die Abholung von Verstorbenen zuständig. Im August 2016 wollte er mit einem Kollegen den Leichnam einer verstorbenen Frau abholen. Die Tote sollte vom Bett auf die am Boden stehende Trage gehoben werden. Hierzu begab sich der Kläger an das Kopfende neben das Bett, während sein Kollege die Füße nehmen sollte, sich deswegen ans Fußende des Bettes stellte, wobei sich beide etwas seitlich verrenken mussten. Beim Anheben der Leiche verspürte der Kläger ein "Knacken" im rechten Oberarm und einen brennenden Schmerz direkt oberhalb des Ellenbogens, ein Wulst war sichtbar. Ein nochmaliges Anheben der Leiche war ihm nicht möglich. Im Krankenhaus wurde ein deutlicher Kraftverlust im Bereich der Bizepsmuskulatur, Druckschmerz und ein Muskelbauch am rechten distalen Oberarm festgestellt. Ein zunächst diagnostizierter Bizepssehnenabriss hat sich später nicht bestätigt. Der Versicherte war vier Wochen arbeitsunfähig.

Unfallversicherung lehnt Arbeitsunfall wegen "inneren Geschehens" ab

Der beklagte Unfallversicherungsträger lehnte mangels äußerer Krafteinwirkung und unklarem Gesundheitserstschaden die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Durch die Willens- und Kraftanstrengung bei dem Vorfall habe ein inneres und vom Kläger gesteuertes Geschehen vorgelegen. Außerdem stünden Vorgänge, die "üblich und selbstverständlich" seien, nicht unter dem Schutz der Unfallversicherung. Der Versicherte hat den Vorfall wie folgt geschildert: Beim Anheben des Leichnams habe er arbeitsbedingt eine Zwangshaltung eingenommen, denn er habe seitlich neben einem niedrigen Bett stehend vornübergebeugt eine 80 Kilogramm schwere, circa 161 bis 171 Zentimeter lange und circa 70 Zentimeter breite Last am oberen Ende so anheben müssen, dass er dabei den rechten Arm vom Körper weiter weg hätte strecken müssen als den linken Arm, um dabei die Last so anzuheben, dass diese nicht umkippe. Er habe sich während der Verrichtung seiner Arbeitstätigkeit verletzt. Das Sozialgericht Reutlingen hat dem Kläger Recht gegeben und einen Arbeitsunfall festgestellt.

LSG führt Unfall nicht auf "innere" Ursache zurück

Auch das LSG Baden-Württemberg hat dem Kläger Recht gegeben. Die Berufung der Unfallversicherung ist erfolglos geblieben. Das Verhebetrauma, das der Bestatter während der beruflichen Tätigkeit – Anheben der Leiche – erlitten habe, erfülle die gesetzliche Anforderung an Arbeitsunfälle als "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden führt". Die dabei stattgefundene (mechanische) Krafteinwirkung rechne zu den äußeren Ursachen. Die von der Unfallversicherung angenommene "innere Ursache" – dies wären zum Beispiel Kreislaufkollaps oder Herzinfarkt – habe nicht vorgelegen.

Keine Differenzierung nach "üblicher" und "unüblicher" Tätigkeit

Ein Versicherter, der auf ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung seines Arbeitgebers zur Ausübung seiner versicherten Tätigkeit eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und dabei einen Gesundheitsschaden erleidet, stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Geschützt seien nach dem Gesetzeszweck alle Verrichtungen, die in einem sachlichen, inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Eine Differenzierung in nicht versicherte "übliche" und versicherte "unübliche" Tätigkeiten gebe es nicht.

LSG bejaht durch Arbeitstätigkeit herbeigeführten Gesundheitserstschaden

Dass sich die ursprüngliche Diagnose eines Bizepssehnenabrisses nicht bestätigt hat, hält das LSG für die Feststellung eines bestimmten Ereignisses als Arbeitsunfall für irrelevant. Der insbesondere sogleich festgestellte Muskelbauch am rechten distalen Oberarm reiche für den erforderlichen Gesundheitserstschaden allemal aus. Die zeitlich begrenzte, äußere Krafteinwirkung bei dem Anhebeversuch (Unfallereignis) sei auch die wesentliche Ursache für diesen Gesundheitserstschaden.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.07.2018 - L 6 U 1695/18

Redaktion beck-aktuell, 31. Juli 2018.