Löwenbabys, Paviane und ein Wels: "Man darf Tiere nicht töten, nur weil sie lästig sind"
© Elisa Berdica

Paviane, die im Zoo zu viel Platz bräuchten, verstoßene Löwenbabys, ein aggressiver Fisch und ein Goldschakal, der Schafe reißt – Tiere werden aus vielen Gründen getötet. Rechtmäßig sei kaum einer davon, meint Jens Bülte im Gespräch. Doch was ist mit den Tieren, die tagtäglich auf unseren Tellern landen?

beck-aktuell: Art. 20a GG verpflichtet den Staat, "die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere" zu schützen. Herr Professor Bülte, wenn man sich diesen Satz vergegenwärtigt, was ist dem Gesetz das Leben eines Tieres eigentlich wert?

Prof. Dr. Jens Bülte: Fangen wir mal verfassungsdogmatisch an: Art. 20a ist eine Staatszielbestimmung. Das führt dazu, dass der Schutz von Tieren, seit er im Jahr 2002 ins Grundgesetz aufgenommen wurde, ein hochrangiges Verfassungsgut ist. Nach heutigem Verständnis kann man damit sagen, er ist den Grundrechten gleichrangig. Das heißt, dass das Leben jedes einzelnen Tieres – nicht nur der Tiere als solcher, sondern auch als Individuen – ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt. Anlass der Grundgesetzänderung war damals die Schächten-Entscheidung des BVerfG: Man wollte den Schutz von Tieren auch gegenüber der Religionsfreiheit so aufwerten, dass er als gewichtiger Abwägungsgrund auch das Verbot religiöser Praktiken ermöglichen kann.

beck-aktuell: Warum und wann darf man dann eigentlich Tiere töten?

Bülte: Das zeigt ein Blick ins Tierschutzgesetz. Gleich in § 1 TierSchG heißt es: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." § 17 TierSchG stellt es dann auch unter Strafe, wenn man ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.

beck-aktuell: Fragt sich nur, was ein vernünftiger Grund sein soll…

Bülte: Die generelle Definition "Wenn die Interessen an der Tötung des Tieres die Interessen am Leben des Tieres überwiegen" bringt uns da erstmal nicht viel weiter. Das Problem ist, dass das Tierschutzgesetz von 1972 stammt, einer Zeit, als die Rechtfertigungsgründe im StGB noch ein wenig anders aussahen. Wir hatten den rechtfertigenden Notstand in § 34 StGB noch nicht. Die Interessenabwägung im Tierschutzgesetz dürfte sich aber nach heutigem Verständnis stark an § 34 StGB orientieren. Konkret kann man wohl sagen: Ich darf einem Tier nur dann Schmerzen zufügen oder es töten, wenn es unabdingbar ist.

"Dann sollen die Leute eben nicht im Brutgebiet baden"

beck-aktuell: In den vergangenen Wochen und Monaten haben diverse Fälle von Tiertötungen für Aussehen gesorgt, nicht zuletzt der Fall des Welses im Brombachsee, der Badegäste attackiert hatte. Die Polizei schoss auf ihn, getötet wurde der Fisch jedoch erst später von einem Angler. Das Ganze hatte eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz zur Folge. Durfte man den Wels erlegen?

Bülte: Ich kenne den Fall nur aus der Presse, aber nach dem, was ich weiß, spricht vieles dafür, dass das unverhältnismäßig war, beziehungsweise kein vernünftiger Grund vorlag. Warum hätte man den Wels nicht umsiedeln können, selbst wenn das Aufwand bedeutet hätte? Auf den ersten Blick ergibt sich hier schon ein Anfangsverdacht wegen Verstoßes gegen § 17 Nr. 1 TierSchG. Wenn der Wels die Badegäste attackiert hat, weil sie ihn bei der Brut gestört haben, muss man sagen, dass die Leute dann eben nicht dort baden sollten. Dann muss eben der Mensch sein Verhalten anpassen. Ich kann ehrlich gesagt keinen Grund erkennen, warum der Wels hätte umgebracht werden sollen, nur um das Baden zu ermöglichen.

beck-aktuell: Viele Zeitungsspalten hat auch der Goldschakal auf Sylt gefüllt. Da ging es nicht um eine Gefahr für Menschen, aber für deren Eigentum, weil der Schakal Schafe gerissen haben soll. Vor den Verwaltungsgerichten stritt man sich darüber, ob er deshalb geschossen werden durfte, das OVG entschied sich letztlich dafür. Wilde Tiere zu schießen, weil sie gefährlich sind, scheint allerdings ein tautologischer Schluss: Ihnen wohnt doch immer eine gewisse Gefahr inne, ob es nun ein großer Fisch, ein Schakal oder ein Wolf ist. Wann ist die Schwelle überschritten, ab welcher man ein Tier abschießen darf, weil es zu gefährlich ist?

Bülte: Zunächst mal spielt hier der artenschutzrechtliche Schutzstatus eine Rolle. Er muss in die Abwägung eingebracht werden. Die andere Frage ist, welche Möglichkeiten man hat, um die Gefahr durch ein Tier abzuwenden. Das heißt, wenn Sie von einem Hund in akut gefährlicher Weise angegriffen werden sollten, dann dürften Sie ihn notfalls auch erschießen, wenn Sie bewaffnet sein sollten.

Für die weniger akute Betrachtung stellt sich die Frage: Gibt es andere Möglichkeiten, um das Eigentum von Menschen und auch das Leben von Schafen zu schützen? Wenn Sie Schäferinnen und Landwirte fragen, werden die Ihnen natürlich sagen: Ich muss den Wolf oder den Schakal abschießen, denn der schädigt mich ja in meinen Broterwerb. Wenn Sie Tierschützer fragen, dann werden die sagen: Nein, das Leben des Schakals bzw. das Interesse des Artenschutzes überwiegt. Das ist immer eine Frage der Abwägung, und man muss sich auch den Einzelfall anschauen, also ob die betroffenen Schäferinnen und Schäfer zum Beispiel alles getan haben, um diese Gefahr abzuwenden. Sie sind verpflichtet, alle anderen Maßnahmen zu ergreifen, bevor sie auf die Idee kommen, wilde Tiere abzuschießen.

"Die bloße Möglichkeit, dass Tiere Menschen anfallen könnten, reicht nicht"

beck-aktuell: Konzentrieren wir uns mal auf die Frage der Tötung von einzelnen Tieren, wie im Fall des Welses. Wann ist die Schwelle überschritten, vom normalen wilden Tier, das immer eine inhärente Gefahr birgt und theoretisch auch Menschen anfallen kann, wenn es zu einer unglücklichen Konfrontation kommt, hin zu einem spezifisch gefährlichen Tier?

Bülte: Allgemein ist es ähnlich wie im Straßenverkehr: Dort können Sie auch nur eingreifen, wenn eine konkrete Gefahr oder zumindest eine verschärfte Gefahrenlage besteht – etwa, wenn jemand betrunken Auto fährt. Die bloße Möglichkeit, dass Tiere Menschen anfallen könnten, reicht auch hier nicht aus.

beck-aktuell: Ändert sich die Bewertung, wenn ein Tier schon einmal Menschen attackiert hat? Auch das ist wohl kein untypisches Verhalten für ein Tier, das sich oder seine Nachkommen bedroht sieht.

Bülte: Ob ein Tier, das einmal einen Menschen angefallen hat, dazu neigt, dies wieder zu tun, kann ich als Jurist nicht belastbar einschätzen. Aber wie Sie sagen, kann Aggression in manchen Situationen durchaus ein arttypisches Verhalten sein. Problematisch kann es vor allem werden, wenn Tiere die Angst vor Menschen verloren haben, wenn Menschen also beispielsweise einen Bären anfüttern und dieser dann immer wieder die Nähe von Häusern sucht, um Nahrung zu finden. Wenn ihm Menschen oder Tiere in den Weg geraten und er sich erschreckt oder sein Futter schützen will, birgt das ein hohes Gefahrenpotenzial. 

Zoo-Tötungen: "Spricht manches für eine Strafbarkeit"

beck-aktuell: Kürzlich stand auch der Kölner Zoo in der Kritik, weil dort zwei Löwenbabys eingeschläfert worden sind, die nicht von ihrer Mutter angenommen worden waren. Der Zoo argumentierte, die Jungen seien sehr geschwächt gewesen und eine Aufzucht von Menschenhand könne problematische Verhaltensmuster auslösen. Kritikerinnen und Kritiker warfen dem Betreiber indes vor, man habe sich schlicht den Aufwand sparen wollen, die Tiere selbst aufzuziehen. Im Nürnberger Zoo wurden unterdessen mehrere Paviane erschossen, diesmal sogar explizit aus Platzgründen. Darf man Tiere töten, weil sie lästig geworden sind?

Bülte: Nein, das darf man sicherlich nicht. Die Frage ist ja schon im Rahmen der Entscheidung des BVerwG zum Kükentöten diskutiert worden. Wenn man Tiere schlicht aus Platzmangel tötet und die Kosten, sie am Leben zu erhalten, über ihr Leben stellt, spricht man ihnen den Eigenwert ab. Dem hat das BVerwG im Jahr 2019 sehr deutlich eine Absage erteilt.

Hinsichtlich der Löwenbabys gab es 2011 schon einen ganz ähnlichen Fall mit zwei Tigerbabys, in dem das OLG Naumburg schließlich die Verurteilung mehrerer Zoo-Mitarbeiter zu Geldstrafen bestätigt hat. Den Kölner und den Nürnberger Fall kenne ich im Detail nicht, aber rein finanzielle oder organisatorische Gründe reichen zweifellos nicht aus, um die Tötung zu rechtfertigen. Es spricht daher wohl manches dafür, dass sich die Beteiligten hier strafbar gemacht haben.

"So würden Sie mit Ihrem Hund oder Ihrer Katze nie umgehen"

beck-aktuell: Nun ist es einfach, sich über mutmaßlich schießwütige Polizisten oder kaltblütige Zoobetreiber aufzuregen. Doch die Frage, was ein vernünftiger Grund für die Tötung eines Tieres sein kann, betrifft viele Bürgerinnen und Bürger ganz unmittelbar, wenn sie zuhause auf ihre Teller schauen. Inwiefern ist nach heutiger Lage noch die Ernährung der Bevölkerung oder gar bloßer Genuss ein vernünftiger Grund für Tiertötungen?

Bülte: Die Frage wird in der Tat schon länger aufgeworfen und diskutiert. Zur Ernährung der Bevölkerung sind Tiertötungen zweifellos nicht notwendig. Es ist zudem bekannt, dass in Deutschland und anderen westlichen Staaten zu viel Fleisch konsumiert wird, was nachweisbar ungesund ist. Dennoch wird man sagen müssen, dass die herrschende Meinung heute – noch – die Tötung eines Tieres zu Ernährungszwecken als legitimen Grund ansieht.

beck-aktuell: Macht es aus Ihrer Sicht einen Unterschied, ob es sich um Tiere handelt, die für den Massenkonsum, also zu Ernährungszwecken geschlachtet werden, oder solche, deren Konsum lediglich dem Genuss dient, wie bspw. Frösche oder Singvögel?

Bülte: Tierschutzrechtlich gibt es nur einen Unterschied zwischen Wirbeltieren und anderen Arten, wobei auch dieser schon heiß diskutiert wird, angesichts dessen, was wir mittlerweile über das Schmerzempfinden und Intelligenzniveau etwa von Kopffüßlern wie Tintenfischen wissen.

Und warum sollte der Verzehr von Rindfleisch zulässiger sein als der Genuss von Singvögeln? Es ist schlicht gesellschaftlich –  nicht zu verwechseln mit juristisch – akzeptiert, dass manche Tiere unter fragwürdigen Bedingungen gehalten und getötet werden dürfen. Ihren Hund oder Ihre Katze würden Sie niemals so behandeln, aber mit Nutztieren wie Schweinen, Rindern und Hühnern kann man nach Meinung vieler so umgehen.

Prof. Dr. Jens Bülte ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Mannheim. Erforscht u.a. zum Tierschutzstrafrecht. 

Die Fragen stellte Maximilian Amos.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 12. August 2025.

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