Experten befürworten Oppositions-Vorschläge zur Ersetzung des Rasse-Begriffs im Grundgesetz

Die Linken und die Grünen wollen den Begriff "Rasse" aus Art. 3 Abs. 3 GG streichen und durch den Begriff "rassistisch" ersetzen. Entsprechende Gesetzentwürfe der Fraktionen waren heute Gegenstand einer Experten-Anhörung im Rechtsausschuss. Mehrheitlich seien sie als wichtiges Signal begrüßt und für vorzugswürdig gegenüber dem Vorschlag der Regierung erachtet worden. Es gab aber auch Stimmen gegen eine Streichung, etwa von der Bundesrechtsanwaltskammer.

Hochschullehrer: Wichtiges Signal

Wie der Pressedienst des Bundestages schreibt, erklärte Mehrdad Payandeh von der Hamburger Hochschule für Rechtswissenschaft in seiner Stellungnahme, die beiden Gesetzentwürfe unterschieden sich in Nuancen, zielten aber in der Sache im Wesentlichen auf die Streichung des Begriffs "Rasse" in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und auf die Ersetzung durch den Begriff "rassistisch" sowie die Verankerung einer staatlichen Verpflichtung zum Schutz vor Diskriminierung. Payandeh hält die Vorschläge für verfassungspolitisch überzeugend: Sie adressierten ein gesellschaftlich wichtiges Problem und setzten ein wichtiges Signal im Umgang mit rassistischer Diskriminierung sowie mit den Folgen derartiger Diskriminierung.

Hochschullehrer und ADS: Entwürfe sind Regierungsvorschlag vorzuziehen

Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin erklärte, die Grundgesetzänderung sei nachdrücklich zu begrüßen, da mit ihr die begründete Erwartung bestehe, dass so die Voraussetzungen für einen effektiveren Schutz vor rassistischer Diskriminierung in der Rechtspraxis geschaffen würden. Der Umgang mit dem grundgesetzlichen Diskriminierungsverbot "wegen seiner Rasse" erweise sich im Recht insgesamt als nicht besonders entwickelt und weise Probleme auf. Die in den vorliegenden Gesetzesentwürfen vorgeschlagenen Formulierungen seien auch gegenüber dem Vorschlag, auf den sich die Bundesregierung geeinigt habe, vorzuziehen. Durch die Ersetzung des Rassebegriffs würde Deutschland auch nicht mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Konflikt geraten, betonte Tabbara. Auch Bernhard Franke, Kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), begrüßte die Entwürfe. Gegen die von der Bundesregierung vorgeschlagene Formulierung "aus rassistischen Gründen" habe es aus antidiskriminierungsrechtlicher Sicht Bedenken gegeben. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes habe deshalb damals für die Formulierung "rassistische Benachteiligung" geworben, also für eben jene Formulierung, die die jetzigen Entwürfe der beiden Fraktionen vorsehen.

Menschenrechtsinstitut: Rassebegriff verfestigt rassistisches Denken

Auch Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte befürwortete die vorgeschlagene Änderung. Der Grundgesetztext spiegle die Sprache der Menschenrechte im Jahr 1949 wider, erklärte Cremer. Er stehe hinsichtlich der Verwendung des Begriffs "Rasse" schon lange in der Kritik. Der Gebrauch des Begriffs "Rasse" im Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes trage dazu bei, rassistisches Denken zu verstetigen, da er einem Menschenbild Vorschub leiste, wonach es unterschiedliche menschliche "Rassen" gebe. Ähnlich argumentierte Hannes Ludyga von der Universität des Saarlandes. Das Grundgesetz knüpfe hinsichtlich der Rasse an ein völlig ungeeignetes Kriterium zur Einteilung von Menschen an. Die Formulierung "Rasse" sei in Bezug auf Menschen ein unbestimmter und willkürlicher Rechtsbegriff, der nicht konkretisierbar sei und Rechtsunsicherheit hervorrufe. Objektiv könne kein Mensch einen anderen Menschen wegen seiner "Rasse" benachteiligen, weil es unterschiedliche Menschenrassen nicht gebe. Die Verwendung des Begriffs "Rasse" führe zu dem Glauben, dass unterschiedliche biologische "Menschenrassen" existierten. Dies könne zur Förderung rassistischen Denkens beitragen. In die Wertewelt der Bundesrepublik Deutschland passe der Begriff der "menschlichen Rasse" nicht.

BRAK gegen Streichung

Gegen eine Streichung sprach sich Christian Kirchberg, Vorsitzender des Ausschusses Verfassungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), aus. Es sei ein Irrtum, aus der Verwendung des Begriffs "Rasse" im Grundgesetz zu schließen, damit werde die nationalsozialistische Rasse-Ideologie legitimiert. Das Gegenteil sei der Fall: Der Begriff "Rasse" im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG antworte auf einen kulturell-sozial bestimmten Rassenbegriff, aus dem ein Überlegenheitsanspruch hergeleitet werde und der prinzipiell durch seine Irrationalität und seine Anfälligkeit für pseudowissenschaftliche Theorien von der Höherwertigkeit oder der Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen gekennzeichnet sei. Um rassistisch motivierten Herabwürdigungen, Benachteiligungen oder Verfolgungen zu begegnen, müsse der Begriff "Rasse" nicht gestrichen werden.

Hochschullehrer kritisiert Streichung als geschichtsvergessen

Uwe Kischel von der Universität Greifswald betonte in seiner Stellungnahme, die Ersetzung des Begriffs "Rasse" durch "rassistisch" würde zu inakzeptablen Konsequenzen führen. Das geltende Verfassungsrecht regle das Verbot jeglicher Rassendiskriminierung in klarer und angemessener Weise. Eine Streichung wäre demgegenüber wenig sinnvoll und geschichtsvergessen. Die geforderte Einfügung des Begriffs "rassistisch" würde sich aufgrund der von der Rassendiskriminierung völlig abgekoppelten, extrem weiten Bedeutung von Rassismus weit vom gesellschaftlichen Konsens entfernen und gehöre daher nicht in das Grundgesetz.

Evolutionsbiologe: Begriff der "Rasse" im Grundgesetz definieren

Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, der nach eigenen Angaben seit mehr als 40 Jahren zu Rasse- und Artbildungsprozessen im Tierreich forscht, plädierte dafür, im Grundgesetz darzulegen, was dort unter "Rasse" gemeint ist. Viele der mit dem "Rasse"-Begriff verbundenen Fakten seien in Deutschland weitgehend unbekannt. Die derzeitige Formulierung sei für biowissenschaftliche Laien missverständlich und daher korrekturbedürftig. Rassismus als religiös-politische Ideologie könne nicht mit den real existierenden, gleichwertigen, biogenetisch adaptierten geographischen Varietäten des Homo sapiens begründet werden. Er sei strikter Antirassist, betonte Kutschera. Rassismus müsse bekämpft werden, aber nicht so, sagte er mit Blick auf die Gesetzentwürfe.

Redaktion beck-aktuell, 21. Juni 2021.