EuGH: Polnische Waldbewirtschaftung im Białowieża-Urwald unionsrechtswidrig

Die Waldbewirtschaftungsmaßnahmen, die Polen im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska durchführt, stellen einen Verstoß gegen die Habitat- beziehungsweise Vogelschutzrichtlinie dar und sind deshalb unionsrechtswidrig. Den Eingriffen, mit denen das Schutzgebiet teilweise zerstöret wird, ist keine angemessene Verträglichkeitsprüfung vorausgegangen, wie der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17.04.2018 entschieden hat (Az.: C-441/17).

Polen genehmigte Verdreifachung des Holzeinschlags in geschütztem Urwald

Im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska kommen natürliche Lebensräume und Lebensräume bestimmter Tier- und Vogelarten vor, deren Schutz prioritär ist. Die Kommission stimmte deshalb 2007 gemäß der Habitatrichtlinie der Ausweisung des Gebiets als “Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung“ zu. Das Gebiet ist außerdem gemäß der Vogelschutzrichtlinie als “besonderes Schutzgebiet“ für Vögel ausgewiesen. Nach Auffassung der Kommission handelt es sich um einen der am besten erhaltenen Naturwälder Europas. Charakteristisch sind eine Vielzahl alter Bäume, die zum Teil über hundert Jahre alt sind, und große Mengen an Totholz. Aufgrund der beständigen Ausbreitung des Buchdruckers genehmigte der polnische Umweltminister 2016 für den Zeitraum von 2012 bis 2021 nahezu eine Verdreifachung des Holzeinschlags allein im Forstbezirk Białowieża sowie Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in Gebieten, die bis dahin von jeglichen Eingriffen ausgenommen waren.

Maßnahmen betreffen die Hälfte der Fläche im Natura-2000-Gebiet

2017 erließ der Generaldirektor der Staatsforste für die drei Forstbezirke Białowieża, Browsk und Hajnówka dann die Entscheidung Nr. 51 “über den Einschlag vom Buchdrucker befallener Bäume und das Einholen von Bäumen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder ein Brandrisiko darstellen, in allen Altersklassen der Waldbestände der Forstbezirke …“. Daraufhin wurde in den genannten drei Forstbezirken auf einer Fläche von etwa 34.000 Hektar des sich über 63.147 Hektar erstreckenden Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska mit der Beseitigung trockener und vom Buchdrucker befallener Bäume begonnen. Da die Kommission der Ansicht war, dass sich die polnischen Behörden nicht vergewissert hätten, dass die Waldbewirtschaftungsmaßnahmen nicht das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches beeinträchtigten, hat sie beim Gerichtshof Klage erhoben, mit der sie die Feststellung begehrt, dass Polen gegen seine Verpflichtungen aus der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verstoßen habe.

EuGH: Polen hat gegen Verpflichtungen aus Habitat- und Vogelschutzrichtlinie verstoßen

Der Gerichtshof hat der Klage stattgegeben und entschieden, dass Polen gegen seine Verpflichtungen aus der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verstoßen hat. Die Habitatrichtlinie sehe eine ganze Reihe besonderer Verpflichtungen und Verfahren vor, die darauf abzielten, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Union zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen, um das allgemeinere Ziel der Richtlinie, ein hohes Niveau des Umweltschutzes für die gemäß der Richtlinie geschützten Gebiete zu gewährleisten, zu verwirklichen. Die Genehmigung eines Plans oder Projekts dürfe daher nur unter der Voraussetzung erteilt werden, dass die zuständigen Behörden zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der das Projekt genehmigt werde, Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirke.

Behörden haben keine angemessene Verträglichkeitsprüfung durchgeführt

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die polnischen Behörden im vorliegenden Fall nicht über alle relevanten Daten verfügten, um die Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska beurteilen zu können, und somit vor dem Erlass der Entscheidung von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 keine angemessene Verträglichkeitsprüfung durchgeführt haben. Sie hätten deshalb gegen ihre Verpflichtungen aus der Habitatrichtlinie verstoßen. Die von den polnischen Behörden durchgeführte Verträglichkeitsprüfung sei nicht geeignet gewesen, jeglichen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen der Entscheidung von 2016 auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska auszuräumen.

Abholzungen nicht mit Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers zu rechtfertigen

Die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung enthielten keine Beschränkungen hinsichtlich des Alters der Bäume oder der Bestände in Abhängigkeit vom Lebensraum. Zwar sei der Einschlag von Bäumen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nach den beanstandeten Entscheidungen zulässig, ohne dass insoweit konkrete Voraussetzungen bestimmt würden. Nach Auffassung des Gerichtshofs lasse das Vorbringen der Republik Polen aber nicht den Schluss zu, dass die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durch die Erforderlichkeit der Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers gerechtfertigt werden könnten. Die Durchführung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung würde letztlich zur Zerstörung eines Teils des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska führen.

Maßnahmen führen zur teilweisen Zerstörung des Gebiets

Anders als die Republik Polen geltend mache, könnten die Maßnahmen deshalb keine Maßnahmen zur Erhaltung dieses Gebiets sein. Nicht der Buchdrucker sei im Bewirtschaftungsplan von 2015 als potenzielle Gefahr für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches identifiziert worden, sondern die Entfernung von ihm befallener hundertjähriger Fichten und Kiefern. Die Entscheidung von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 führten zwangsläufig zur Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten bestimmter xylobionter Käfer, die durch die Habitatrichtlinie als streng zu schützende Tierarten von Interesse für die Union geschützt seien.

Fehlende Schutzmaßnahmen begründen Verstoß gegen die Vogelschutzrichtlinie

Die Entscheidung von 2016 und die Entscheidung Nr. 51, deren Durchführung zwangsläufig zur Zerstörung oder Beschädigung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der betreffenden Vogelarten führen würde, stellten zudem auch einen Verstoß gegen die Vogelschutzrichtlinie dar.

EuGH, Urteil vom 17.04.2018 - C-441/17

Redaktion beck-aktuell, 17. April 2018.