Wer einen selbstbestimmten Urlaub in einem fremden Land verleben will, der sucht nicht selten nach "Bed and Breakfast"-Angeboten, weil diese in der Regel jenseits des durchorganisierten Tourismus einen besseren Zugang zu Land und Leuten ermöglichen. In der Migrations- und Asylpolitik werden solche positiven Anreize gemieden, stattdessen sucht die Politik immer wieder nach Möglichkeiten, abschreckende Effekte zu erzeugen, damit die Zahl der Schutzsuchenden sinkt. Neben verschärften Grenzkontrollen, wie sie derzeit teilweise illegal auch an den europäischen Binnengrenzen durchgeführt werden, gehört dazu auch die Absenkung von Sozialleistungen.
Die große Asylrechtsreform im Jahr 1992 hat diesen Weg beschritten, indem sie neben der Neufassung des Asylgrundrechts das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt hat, das im Vergleich zu den normalen Sozialleistungen für Deutsche und Menschen mit Aufenthaltsrecht ein deutlich niedrigeres Leistungsniveau vorsieht. An den abschreckenden Effekt einer solchen Leistungsbeschränkung knüpft auch die aktuelle Debatte über eine Asylwende an, in der gefordert wird, jedenfalls für vollziehbar ausreisepflichtige Asylsuchende die Leistungen bis zum Niveau "Bett, Brot, Seife" zu reduzieren.
BSG fragt EuGH nach unionsrechtlichen Mindeststandards
Neben der Frage, ob Sozialleistungen tatsächlich einen so starken Pull-Faktor darstellen, wie in den politischen Debatten suggeriert wird, geht es auch um verfassungs- und unionsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Verfassungsrechtlich spielt dabei das unter anderem aus der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Recht auf Sicherung des Existenzminimums eine zentrale Rolle. Dazu hat sich das BVerfG bereits mehrfach geäußert. Daniel Thym hat in einem Gutachten für die CDU/CSU Bundestagsfraktion schon vor zwei Jahren dazu festgestellt, dass eine sichere Umsetzung eines "Bett, Brot, Seife"-Konzepts nur auf der Grundlage einer Verfassungsänderung möglich wäre. Diese steht aber weder im Koalitionsvertrag noch sind Mehrheiten im Parlament dafür ersichtlich.
Spannender ist deshalb die Frage, welche Spielräume das Unionsrecht dem deutschen Gesetzgeber eröffnet. Dazu hat in Bezug auf das derzeit geltende Recht und die dafür maßgebliche Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU das BSG ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, über das am Donnerstag in Luxemburg verhandelt wurde. Zu beachten ist dabei, dass im Rahmen der GEAS-Reform eine neue Aufnahmerichtlinie erlassen wurde, die bis Juni 2026 umzusetzen ist und die Spielräume etwas erweitert hat.
Das BSG möchte vom EuGH vor allem wissen, ob "eine Regelung eines Mitgliedstaats, die Antragstellern auf internationalen Schutz abhängig von ihrem Status als vollziehbar Ausreisepflichtige […] ausschließlich einen Anspruch auf Unterkunft, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege und Behandlung im Krankheitsfall sowie nach den Umständen im Einzelfall Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts gewährt, das in Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Richtlinie 2013/33/EU beschriebene Mindestniveau abdeckt". Damit ist das "Bett, Brot, Seife"-Konzept gemeint. Die Besonderheit des Verfahrens besteht unter anderem darin, dass sich die Vorlagefragen auf den inzwischen aufgehobenen § 1 Abs. 7 AsylbLG beziehen, der die Einschränkung von existenzsichernden Leistungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens regelte. In der Sache geht es aber um Fragestellungen, die weiterhin politisch relevant sind, da die Bundesregierung über weitere Leistungsbeschränkungen nachdenkt.
Mitgliedstaaten dürfen eigene Sozialhilfebezieher besser behandeln
Die geltende Fassung der Aufnahmerichtlinie gibt vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, "dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet." Zudem wird betont, dass die besonderen Bedürfnisse von vulnerablen Personen berücksichtigt werden.
Da das reguläre soziale Leistungsniveau in den Mitgliedstaaten erheblich differiert, versucht die Richtlinie in Absatz 5 eine weitere Orientierung zu geben, mit deren Hilfe die Ausgestaltung gesteuert werden soll. Danach gilt: Wenn die Mitgliedstaaten im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewähren, bemisst sich deren Umfang auf Grundlage des Leistungsniveaus, das der betreffende Mitgliedstaat eigenen Bürgerinnen und Bürgern zuspricht. Damit wird auf den Grundsatz der Inländerorientierung abgestellt und insoweit an Art. 23 GFK angeknüpft, der für rechtmäßig aufhältige Personen gilt. Die Mitgliedstaaten können Schutzsuchenden in dieser Hinsicht auch eine weniger günstige Behandlung im Vergleich mit eigenen Staatsangehörigen zuteil werden lassen, insbesondere wenn materielle Unterstützung teilweise in Form von Sachleistungen gewährt wird oder wenn das für eigene Staatsangehörige geltende Leistungsniveau einen höheren Lebensstandard als das nach der Richtlinie vorgeschriebene Mindestniveau erlaubt.
Absenkungen in begründeten Ausnahmefällen
Die Aufnahmerichtlinie sieht in ihrem Artikel 20 jedoch auch die Möglichkeit vor, die Leistungen weiter einzuschränken oder gar gänzlich zu entziehen. Demnach können die Mitgliedstaaten "die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen in begründeten Ausnahmefällen einschränken oder entziehen, wenn ein Antragsteller a) den von der zuständigen Behörde bestimmten Aufenthaltsort verlässt, ohne diese davon zu unterrichten oder erforderlichenfalls eine Genehmigung erhalten zu haben; oder b) seinen Melde- und Auskunftspflichten oder Aufforderungen zu persönlichen Anhörungen im Rahmen des Asylverfahrens während einer im einzelstaatlichen Recht festgesetzten angemessenen Frist nicht nachkommt; oder c) einen Folgeantrag nach Artikel 2 Buchstabe q der Richtlinie 2013/32/EU gestellt hat."
Hier wird ausdrücklich auf die irregulär aufhältigen Personen abgestellt, für die auch Art. 23 GFK nicht gilt. Die Mitgliedstaaten gewährleisten nach Absatz 5 aber auch in diesen Fällen den Zugang zur medizinischen Versorgung und einen würdigen Lebensstandard für alle Schutzsuchenden.
Zu beachten ist auch, dass die neue Aufnahmerichtlinie 2024/1346 eine neue Regelung in Art. 21 enthält, die den Bezug der Leistungen auf den für das Verfahren zuständigen Mitgliedstaat beschränkt. Hält sich ein Antragsteller wegen einer sogenannten Sekundärmigration in einem anderen Mitgliedstaat auf, so muss der Staat des tatsächlichen Aufenthalts nur "einen Lebensstandard im Einklang mit dem Unionsrecht, einschließlich der Charta, und internationalen Verpflichtungen sicherzustellen."
Erwartungen an das Verfahren
Der EuGH hat in dem Verfahren nun die Gelegenheit zu klären, wie weit ein Mitgliedstaat im Rahmen von Art. 20 der alten Aufnahmerichtlinie Leistungen absenken darf. Dabei ist zu beachten, dass der Zugang zur medizinischen Versorgung weiter gewährleistet sein muss. Wenn der Gerichtshof sein Urteil fällt, wird dies aber auch Orientierung für die Auslegung von Art. 21 der neuen Aufnahmerichtlinie bieten, die nun als neuer Maßstab für Leistungskürzungen bei Asylsuchenden gilt. Im neuen Art. 21 wird mit der Formel "einen Lebensstandard im Einklang mit dem Unionsrecht, einschließlich der Charta, und internationalen Verpflichtungen sicherzustellen" eine Orientierung für die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums in solchen Lagen vermittelt, die jedoch weiter konkretisiert werden muss. Es dürfte mit Blick auf die menschenrechtlichen Mindestvorgaben davon auszugehen sein, dass der Zugang zur medizinischen Akutversorgung davon umfasst ist. Darüber hinaus sind aber die genauen Mindestanforderungen noch nicht abschließend geklärt.
Prof. Dr. Winfried Kluth ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist zudem Leiter der Forschungsstelle Migrationsrecht, Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration sowie Mitherausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift für Ausländerrecht und -politik (ZAR).