Wer zu einem Autohändler geht, über dessen Tür das Ford-Logo prangt, darf – rechtlich gesehen – davon ausgehen, dass er sein Auto beim Hersteller kauft. So interpretiert jedenfalls der EuGH die Verbrauchersicht, der am Donnerstag zur Haftung für ein mangelhaftes Auto entschied (Urteil vom 19.12.2024 - C-157/23).
Der dahinterstehende Rechtsstreit stammt aus Italien und dauert schon über 20 Jahre an: Im Juli 2001 hatte dort ein Autokäufer einen Pkw der Marke Ford von der Vertragshändlerin Stracciari erworben, die in Italien Ford-Modelle vertreibt. Kurz danach hatte der Mann einen Unfall, bei dem der Airbag nicht funktionierte, woraufhin er die Vertragshändlerin und die Lieferantin Ford Italia auf Ersatz seiner beim Unfall erlittenen Schäden verklagte. Ford Italia berief sich darauf, dass man nicht für das fehlerhafte Fahrzeug haften könne, da sie das Fahrzeug nicht hergestellt habe. Die Sache landete schließlich beim italienischen Kassationsgerichtshof, der sodann den EuGH zur Definition des Herstellers im Sinne der EU-Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte befragte. Genauer wollte er wissen, ob der Lieferant eines fehlerhaften Produkts auch dann als "Person, die sich als Hersteller ausgibt" im Sinne der Richtlinie anzusehen sei, wenn er die Marke und den Namen des tatsächlichen Herstellers nutze.
Händler nehmen Vertrauen wie Hersteller in Anspruch
Der EuGH antwortete darauf, dass, wer Name und Logo eines Herstellers nutze, sich gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht darauf berufen könne, nicht der eigentliche Produzent zu sein. Die in der Richtlinie enthaltene Wendung der "Person, die sich als Hersteller ausgibt" erfasse nicht nur (juristische) Personen, die ihren Namen physisch auf dem Produkt angebracht hätten, sondern auch Lieferanten, deren Name oder Logo mit dem des Herstellers übereinstimme. Schließlich nutze er diese, um mit der Qualität des hergestellten Produkts zu werben und vom Vertrauen in die Marke zu profitieren. Dieses Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbrauchern sei vergleichbar mit dem, das sie hätten, wenn sie das Produkt unmittelbar vom Hersteller kaufen würden, so die Luxemburger Richterinnen und Richter.
Dazu berief sich der EuGH auf das mit der Richtlinie verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes, das beeinträchtigt würde, würde man Lieferanten nicht als Hersteller behandeln. Verbraucherinnen und Verbraucher müssten sich im Schadensfall unterschiedslos an Hersteller oder Lieferant halten können, da es sich um eine gesamtschuldnerische Haftung handele. Es sei mit dem gesetzgeberischen Ziel nicht zu vereinbaren, wenn der Lieferant sie auf einen Hersteller verweisen könne, der ihnen möglicherweise nicht einmal bekannt sei.
Produkthaftungsrechtler: "Komplett fehlerhafte Lesart" des EuGH
"Mit dieser Entscheidung hat der EuGH seine verbraucherschutzfreundliche Auslegung des europäischen Produkthaftungsrechts erneut gestärkt" erläutert Thomas Klindt, Rechtsanwalt und Partner bei Noerr in München, der schwerpunktmäßig im Produkthaftungsrecht berät, das Urteil gegenüber beck-aktuell.
Mit dieser Entscheidung müsse sich nicht mehr nur der "klassische Quasi-Hersteller alten Zuschnitts" als Hersteller behandeln lassen, sondern auch Lieferanten, deren Namen oder Erkennungszeichen mit denen des Herstellers übereinstimmten. Die Begründung des Gerichtshofs, wonach dem Verbraucherschutz nicht ausreichend Rechnung getragen werde, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher sich nur an den echten Hersteller halten könnten, der ihnen möglicherweise unbekannt sei, überzeugt Klindt jedoch nicht: "Das ist jedenfalls für Hersteller mit europäischem Sitz und in Anbetracht von EuGVVO und der Rom II-Verordnung eine überraschende, ja komplett rechtsfehlerhafte Leseart von materiellen Ansprüchen, gerichtlicher Zuständigkeit und vollstreckungsrechtlicher Durchsetzbarkeit des produkthaftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs im EU-Rechtsraum" kritisiert er.