EuGH: Auch Arbeitnehmer der Stiftungen für Oper und Orchester vor missbräuchlichen Befristungen zu schützen

Arbeitnehmer der Stiftungen für Oper und Orchester dürfen nicht vom Schutz gegen den Missbrauch befristeter Arbeitsverträge ausgeschlossen werden. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Zusammenhang mit einem in Italien laufenden Verfahren entschieden, in dem eine beim Opernhaus in Rom beschäftigte Balletttänzerin nach mehreren Befristungen die Anstellung in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis begehrt (Urteil vom 25.10.2018, Az.: C-331/17).

Balletttänzerin begehrt unbefristeten Vertrag

Die Balletttänzerin war von 2007 bis 2011 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge bei der Stiftung Opernhaus Rom beschäftigt. 2012 beantragte sie beim Tribunale di Roma (Gericht Rom, Italien) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der in diesen Verträgen festgelegten Bedingungen und die Umwandlung ihres Arbeitsverhältnisses in einen unbefristeten Vertrag.

Tribunale di Roma verweist auf nationale Sonderregelung

2013 wies das Tribunale di Roma diese Klage mit der Begründung ab, dass die nationale Sonderregelung für Stiftungen für Oper und Orchester die Anwendung der allgemeinen Vorschriften über Arbeitsverträge auf diese ausschließe und daher der Umwandlung der von diesen Stiftungen geschlossenen Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entgegenstehe.

Römisches Berufungsgericht ruft EuGH an

Die in der Berufungsinstanz mit diesem Rechtsstreit befasste Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom, Italien) fragt den EuGH, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester von der Anwendung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen ausschließt, mit der der missbräuchliche Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge durch die automatische Umwandlung des befristeten Vertrags in einen unbefristeten geahndet wird, wenn das Arbeitsverhältnis über einen bestimmten Zeitraum hinaus andauert.

Mindestschutz zu gewährleisten

Der EuGH hat entschieden, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge einer solchen nationalen Regelung entgegensteht, wenn es in dem Mitgliedstaat keine andere wirksame Sanktion gegen die in diesem Bereich festgestellten Missbräuche gibt. Die Rahmenvereinbarung sehe Mindestschutzbestimmungen vor, mit denen die Prekarisierung der Beschäftigten verhindert werden solle (vgl. EuGH, NJW 2006, 2465 und NZA 2015, 153). Die Mitgliedstaaten müssten daher mindestens eine der von der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Maßnahmen ergreifen, verfügten dabei insoweit aber über ein Ermessen und hätten die Möglichkeit, die besonderen Anforderungen spezifischer Branchen und/oder bestimmter Arbeitnehmerkategorien zu berücksichtigen (EuGH, EuZW 2015, 359).

Keine Maßnahmen gegen Kettenbefristung ersichtlich

Aus den Akten gehe hervor, dass die italienische Regelung im Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester keine in der Rahmenvereinbarung genannte Begrenzung bezüglich der maximal zulässigen Dauer dieser Verträge oder der Zahl ihrer Verlängerungen vorsieht. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass der Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.

Traditionelle Verwendung befristeter Arbeitsverträge im Opernbereich kein Argument

Der EuGH betont, dass der öffentliche Charakter der Stiftungen für Oper und Orchester keine Auswirkung auf den Schutz der Arbeitnehmer gemäß der Rahmenvereinbarung habe, da diese auf sämtliche Arbeitnehmer anwendbar sei, und zwar unabhängig davon, ob sie für einen öffentlichen oder einen privaten Arbeitgeber tätig sind. Die Tatsache, dass Italien in diesem besonderen Bereich traditionell befristete Arbeitsverträge verwendet, befreie diesen Staat nicht davon, die sich aus der Rahmenvereinbarung ergebenden Pflichten zu beachten.

Keine Rechtfertigungen für Befristungen ersichtlich

Aus den Akten gehe nicht hervor, dass es einen Grund gibt, warum die Ziele der Entwicklung der italienischen Kultur und der Bewahrung des historischen und künstlerischen Erbes Italiens es erfordern würden, dass Arbeitgeber des kulturellen und künstlerischen Sektors Personal befristet einstellen. Die Akten belegten nicht, dass ein vorübergehender Bedarf des Arbeitgebers die Verlängerung befristeter Verträge rechtfertigt. Vielmehr sei die Klägerin des Ausgangsverfahrens offenbar während mehrerer Jahre eingestellt gewesen, um immer ähnliche Aufgaben zu erfüllen, das heißt, weil die gewöhnliche Programmplanung dies erforderte (was zu überprüfen Sache der nationalen Gerichte sei).

Haushaltserwägungen haben außen vor zu bleiben

Haushaltserwägungen könnten das Fehlen jedweder Maßnahme zur Verhinderung eines missbräuchlichen Rückgriffs auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge nicht rechtfertigen, unterstreicht der EuGH. Aus den Akten geht nicht hervor, dass die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge nötig sei, um Personal bis zum Abschluss von Auswahlverfahren zu vertreten, die organisiert werden, um Arbeitnehmer unbefristet einzustellen.

Nationales Gericht muss wirksame Ahndung missbräuchlicher Befristungen prüfen

Was die Ahndung des Missbrauchs befristeter Verträge betrifft, führt der Gerichtshof aus, dass die Rahmenvereinbarung keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufstellt, die Umwandlung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorzusehen. Wenn jedoch die nationale Regelung diese Art von Sanktion in einem bestimmten Bereich untersagt (wie hier im Bereich der Stiftungen für Oper und Orchester), müsse es in diesem Bereich eine andere wirksame Maßnahme geben, um die missbräuchliche Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden. Es sei Sache der nationalen Gerichte, zu überprüfen, ob es eine solche Maßnahme in der innerstaatlichen Rechtsordnung gibt und ob sie hinreichend effektiv, abschreckend und verhältnismäßig ist, um die Anwendung der Rahmenvereinbarung sicherzustellen.

Nationales Recht im Sinn wirksamer Sanktion von Verstößen auszulegen

Der Gerichtshof hebt hervor, dass die nationalen Gerichte, falls sie feststellen sollten, dass es keine andere effektive Maßnahme in der nationalen Regelung gibt, um die Missbräuche gegenüber dem Personal der Stiftungen für Oper und Orchester zu verhindern und zu ahnden, dennoch verpflichtet wären, das innerstaatliche Recht im Rahmen des Möglichen so auszulegen, dass dieser Missbrauch angemessen geahndet wird und die Folgen des Unionsrechtsverstoßes beseitigt werden. Möglich sei es zum Beispiel, die von den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften vorgesehene Sanktion anzuwenden, die darin bestehe, einen befristeten Arbeitsvertrag automatisch in einen unbefristeten umzuwandeln, wenn das Arbeitsverhältnis über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus besteht.

EuGH, Urteil vom 25.10.2018 - C-331/17

Redaktion beck-aktuell, 25. Oktober 2018.