Ausnahmeregelung seit 2001
Nach spanischem Steuerrecht ist die Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts ("goodwill") zu steuerlichen Zwecken nur bei Unternehmensverschmelzungen möglich. Nach einer 2001 in das spanische Körperschaftsteuergesetz eingeführten steuerlichen Maßnahme kann jedoch dann, wenn ein körperschaftsteuerpflichtiges Unternehmen an einem steuerlich nicht in Spanien ansässigen Unternehmen eine Beteiligung von mindestens 5% erwirbt und die Beteiligung mindestens ein Jahr lang ununterbrochen gehalten wird, der sich daraus ergebende finanzielle Geschäfts- oder Firmenwert in Form einer Abschreibung von der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, die das Unternehmen schuldet, abgezogen werden. Der finanzielle Geschäfts- oder Firmenwert entspricht dem Geschäfts- oder Firmenwert, der im Fall einer Verschmelzung dieser beiden Unternehmen in den Büchern des erwerbenden Unternehmens verbucht worden wäre.
Förmliches Prüfverfahren eröffnet
Abgeordnete des Europäischen Parlaments befragten in den Jahren 2005 und 2006 die Kommission, ob die in Rede stehende steuerliche Maßnahme als staatliche Beihilfe einzustufen sei. Die Kommission erklärte, dass diese Maßnahme nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen keine staatliche Beihilfe darstelle. Gleichwohl eröffnete sie auf die Beschwerde eines privaten Marktteilnehmers hin im Oktober 2007 das förmliche Prüfverfahren. Das Verfahren bezüglich der innerhalb der Europäischen Union erworbenen Beteiligungen wurde mit Entscheidung vom 28.10.2009 abgeschlossen, dasjenige bezüglich der außerhalb der Union erworbenen Beteiligungen mit Beschluss vom 12.01.2011. Diese Rechtsakte erklären die in Rede stehende Maßnahme für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und ordnen die Rückforderung der gewährten Beihilfen durch Spanien an.
EuG muss erneut über Selektivität entscheiden
In Spanien ansässige Unternehmen, unter anderem die Autogrill España, SA (jetzt World Duty Free Group, SA), die Banco Santander und die Santusa Holding wendeten sich an das EuG. Mit Urteilen vom 07.11.2014 (BB 2014, 2919 und BB 2015, 1188) erklärte das Gericht beide Rechtsakte der Kommission für nichtig, da Letztere seiner Auffassung nach die Selektivität der in Rede stehenden Maßnahme nicht dargetan habe. Der Gerichtshof hob diese beiden Urteile im Jahr 2016 (NZG 2017, 432) auf. Das Gericht musste daher erneut über die Frage entscheiden, ob die in Rede stehende steuerliche Maßnahme selektiv ist, da die Selektivität eines der notwendigen kumulativen Kriterien für die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe ist.
Prüfung in drei Schritten
Eine Maßnahme ist laut EuG dann selektiv, wenn sie bestimmte Unternehmen gegenüber anderen begünstigt, indem sie Letztere von ihren Vergünstigungen ausschließt oder – nach der drei Schritte umfassenden Methode, auf deren Bedeutung der EuGH in seinem Urteil von 2016 hingewiesen hat –, wenn sie Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, unterschiedlich behandelt, ohne dass dies gerechtfertigt wäre. Nach dieser Methode müsse die Kommission für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als selektiv die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder normale Steuerregelung ermitteln und dartun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme von diesem allgemeinen System abweicht. Der Begriff "staatliche Beihilfe" erfasse jedoch nicht die Maßnahmen, mit denen eine Differenzierung zwischen Unternehmen geschaffen wird, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und damit a priori selektiv sind, sofern der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Differenzierung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen.
Gericht bejaht Selektivität
Das EuG gelangte in seinen jetzt ergangenen Entscheidungen in Anwendung der drei Schritte umfassenden Methode zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehende Maßnahme selektiv ist, obgleich der Vorteil, den sie vorsieht, allen in Spanien körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen zugänglich ist. Insoweit weist das Gericht insbesondere darauf hin, dass in Spanien körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen, wenn sie Beteiligungen an steuerlich in Spanien ansässigen Unternehmen erwerben, den Vorteil, den die fragliche Abzugsregelung vorsieht, im Unterschied zu Unternehmen, die Beteiligungen im Ausland erwerben, nicht erhalten können. Daraus leitet es ab, dass eine nationale steuerliche Maßnahme wie die in Rede stehende, die einen Vorteil einräumt, dessen Gewährung an die Bedingung der Durchführung einer wirtschaftlichen Transaktion geknüpft ist, selektiv sein kann, und zwar auch dann, wenn sich jedes Unternehmen frei entscheiden kann, ob es die betreffende Transaktion in Anbetracht von deren Merkmalen vornehmen möchte.
Unterschiedliche Behandlung von Unternehmen nicht gerechtfertigt
Auf dieser Grundlage stellte das Gericht fest, dass nunmehr nach der Rechtsprechung des EuGH eine Maßnahme auch dann selektiv sein kann, wenn die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung auf der Unterscheidung zwischen Unternehmen, die sich für die Vornahme bestimmter Transaktionen entscheiden, und anderen Unternehmen, die sich gegen die Vornahme solcher Transaktionen entscheiden, beruht und nicht auf einer Unterscheidung zwischen Unternehmen in Anbetracht der diesen eigenen Merkmale. Zu dem Schluss, dass die fragliche steuerliche Maßnahme selektiv ist, gelangte das Gericht wie die Kommission aufgrund der Feststellung, dass diese Maßnahme zu Unterschieden bei der Behandlung von Unternehmen führt, die durch die Natur und die Systematik des den Geschäfts- oder Firmenwert betreffenden spanischen Steuerrechts nicht gerechtfertigt sind. Mit seinen Urteilen folgte das Gericht daher der Auffassung der Kommission.
EuG bestätigt Vertrauensschutzregelung
Was die Rechtssache T-207/10 (BeckRS 2018, 28552) betrifft, bestätigte das Gericht auch die Bestimmung der Entscheidung von 2009, die die weitere Anwendung der spanischen steuerlichen Maßnahme während des gesamten Abschreibungszeitraums auf Beteiligungen gestattet, die vor dem 21.12.2007 (dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Amtsblatt) erworben wurden oder zu deren Erwerb vor dem genannten Zeitpunkt die unwiderrufliche Verpflichtung eingegangen wurde. Diese Bestimmung bezweckte den Schutz des berechtigten Vertrauens der Begünstigten, die auf die Antworten hin, die die Kommission in diesem Sinne im Jahr 2006 auf die oben genannten parlamentarischen Anfragen gegebenen hatte, nach Auffassung des EuG berechtigterweise davon ausgehen konnten, dass die genannte Maßnahme keine staatliche Beihilfe darstellte. Das Gericht stellte insbesondere fest, dass die Kommission den durch die in Rede stehende Maßnahme Begünstigten präzise Zusicherungen, dass diese Maßnahme nicht unter die Vorschriften über staatliche Beihilfen fiel, gab, und dass das Vertrauen dieser Begünstigten in die Rechtmäßigkeit der Maßnahme berechtigt war. Das Gericht ist ferner der Ansicht, dass die Kommission zu Recht annahm, dass sich das berechtigte Vertrauen, das sich aus ihren Antworten ergab, auf die Beibehaltung der 2002 in Kraft getretenen steuerlichen Maßnahme bezog und folglich die von diesem Zeitpunkt an vorgenommenen Beteiligungserwerbe sowie die Beihilfen, die aufgrund dieser Erwerbe gewährt wurden, erfasste, und zwar auch dann, wenn sie vor den Antworten von 2006 gewährt worden waren.