Erste Reaktionen auf NSU-Urteile weisen auf weiteren Aufklärungsbedarf hin

Die Urteile im NSU-Prozess, mit denen das Oberlandesgericht München die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft und ihre Mitangeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt hat, hinterlassen nicht das Gefühl eines Schlussstrichs: Spitzenpolitiker, Nebenkläger, Betroffene, und Verbände begrüßen die Urteile, sehen zum Teil aber noch weiteren Aufklärungsbedarf zu den Hintergründen der Taten. Der Prozess ist jedenfalls noch nicht zu Ende, da die Verteidigung bereits angekündigt hat, Revision einzulegen.

Maas lenkt Blick auf Opfer

"Gegen rassistische Gewalt setzen wir nicht nur die Stärke des Rechts. Gegen Intoleranz und Hass braucht es die Kraft der Vielfalt unserer offenen Gesellschaften – überall auf der Welt. Das Leid, was die Täter angerichtet haben, ist durch nichts wiedergutzumachen. Die Opfer bleiben unvergessen", betont Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Bundesanwaltschaft begrüßt NSU-Urteile

Die Bundesanwaltschaft hat die Urteile im NSU-Prozess begrüßt. Bundesanwalt Herbert Diemer sagte: "Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats. Der Senat ist uns in allen entscheidenden Punkten gefolgt." Von zentraler Bedeutung sei vor allem, dass die Mittäterschaft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe bestätigt wurde. Das Verfahren sei hochkomplex gewesen und gespickt mit Rechtsproblemen.

Zschäpe-Verteidigerin rügt "dünne Begründung"

Das Urteil im NSU-Prozess war nach Ansicht der Pflichtverteidigerin von Beate Zschäpe schon lange beschlossene Sache. Der Vorsitzende Richter habe ein wenig den Eindruck vermittelt, dass "das Urteil seit sehr langer Zeit feststand", sagte Rechtsanwältin Anja Sturm in München. Es sei ausgesprochen schwierig gewesen, dem Richter bei der Urteilsverkündung zu folgen. Zudem sei die Begründung "ausgesprochen dünn". Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer kündigte nach der Verurteilung der Hauptangeklagten wegen Mordes an, Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzulegen.

Nebenklage-Anwalt will weitere Aufklärung

Der Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler sieht in den Urteilen zum Abschluss des NSU-Prozesses "Licht und Schatten". Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sei eine Rassistin und Mörderin und daher mit Recht zu lebenslanger Haft verurteilt worden, sagte Daimagüler. Die Urteile gegen die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Andre E. schienen ihm dagegen "milde, zu milde". Beim Mitangeklagten Carsten S. hingegen hätte sich die Nebenklage anstatt der verhängten drei Jahre Jugendstrafe eine Bewährungsstrafe gewünscht. "Er hat zur Aufklärung beigetragen. Er hat tiefe Reue gezeigt“, sagte Daimagüler. Daimagüler prüft eine mögliche Revision  und verlangt weitere Aufklärung. “Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Mittäter gibt und Helfershelfer, die auf freiem Fuß sind." Es sei bereits eine Staatshaftungsklage eingereicht worden, um die Fragen nach der staatlichen Verantwortung und der Rolle des Verfassungsschutzes zu klären. Er werde damit bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Tochter eines NSU-Opfers drängt auf weitere Aufklärung

Die Urteile im NSU-Prozess hält die Hinterbliebene eines NSU-Mordopfers für einen wichtigen Schritt. Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, sieht die Aufarbeitung der Morde aber noch nicht am Ende. "Ich hoffe nun, dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden", sagte sie laut einer von ihren Anwälten verbreiteten Mitteilung. "Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen.“

Bodo Ramelow: Keine Erleichterung nach NSU-Urteilen

Für den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) bleiben nach der Verurteilung der NSU-Hauptangeklagten Beate Zschäpe zu viele Fragen ungeklärt. "Fragen nach einem möglichen Unterstützernetzwerk des NSU und der Mitverantwortung der Geheimdienste sind in diesem Prozess nicht oder nur sehr verengt thematisiert worden", sagte Ramelow. Dies sehen auch seine Parteifreunde so und fordern weitere Aufklärung.

Türkische Gemeinde fordert weitere Verfahren

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) hat die Verurteilung der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, zu lebenslanger Haft begrüßt. Der Verband forderte aber weitere Strafverfahren gegen "das Unterstützernetzwerk des NSU". Die Mordserie des NSU und die Reaktion des Staates auf den rechtsextremistischen Terror hätten die Menschen türkischer Herkunft stark verunsichert. "Unser Vertrauen in die staatlichen Institutionen ist zutiefst erschüttert", sagte TGD-Vorsitzender Gökay Sofuoglu. Dieses Vertrauen könne nur durch "weitere Strafverfahren gegen die konkret benannten Nazis und V-Personen im NSU-Komplex" zurückgewonnen werden.

Redaktion beck-aktuell, 11. Juli 2018 (dpa).