Dieselfahrer verbünden sich gegen VW

Sie wollten ein umweltfreundliches, sparsames Auto – und bekamen eine Dreckschleuder. Hunderttausende Dieselfahrer fühlen sich von Volkswagen betrogen. Jetzt ziehen viele von ihnen gemeinsam vor Gericht – mit Hilfe von Verbraucherschützern. Stellvertretend für die Betroffenen des Dieselskandals reichte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) am 01.11.2018 die bundesweit erste Musterfeststellungsklage ein. Das Ziel: Schadenersatz. "Autofahrer wurden von Volkswagen lange genug hingehalten. Jetzt reicht's", sagt Verbandschef Klaus Müller.

"Boxhandschuhe der Verbraucherschützer" nach "Samthandschuhen der Politik"

Mit der Musterfeststellungsklage will er VW das Fürchten lehren. "Der 01.11.2018 wird Volkswagen als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem auf die Samthandschuhe der Politik die Boxhandschuhe der Verbraucherschützer folgten", hatte Müller schon im Vorfeld gedroht. Jetzt sagt er: "Volkswagen hat betrogen und schuldet geschädigten Verbraucherinnen und Verbrauchern dafür Schadenersatz." VW hatte im September 2015 Manipulationen an Dieselmotoren einräumen müssen. US-Umweltbehörden hatten festgestellt, dass die Abgasreinigung nur bei Tests voll aktiviert war, auf der Straße lag der Ausstoß an Abgasen viel höher. Volkswagen musste 2,5 Millionen Autos zurückrufen.

Anwalt widerspricht Ansicht von VW zu Erfolgsaussichten der Kläger

Mehr als 26.000 Dieselfahrer sind deshalb schon allein vor Gericht gezogen. 7.400 Urteile gab es. Laut VW hatten die meisten Kläger an den Landgerichten keinen Erfolg. Rechtsanwalt Tobias Ulbrich widerspricht. Seine Kanzlei vertritt 15.000 Kläger, zwei Drittel der Fälle gehe in der ersten Instanz zu ihren Gunsten aus. Alle Mandanten hätten "im Ergebnis das bekommen, was wir geltend gemacht haben" – entweder durch ein Urteil oder einen Vergleich. "Jeder, der einen Anspruch geltend macht, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erhalten", sagt Ulbrich.

Kein finanzielles Risiko für Verbraucher

Die Verbraucherzentralen wollen jetzt Zehntausende Autofahrer vertreten, die gern klagen wollen, das bisher aber gescheut haben, weil sie zum Beispiel keine Rechtsschutzversicherung haben. Das Instrument der Musterfeststellungsklage gibt es in Deutschland erst seit dem 01.11.2018. Mit ihr können Verbraucherschützer im Namen von vielen Betroffenen gegen Unternehmen vor Gericht gehen. Die Verbraucher selbst tragen dabei kein finanzielles Risiko.

Gericht bestätigt Klageeingang

Das Oberlandesgericht Braunschweig bestätigte am Morgen den Eingang der Klage. Die Anwälte der Verbraucherschützer hatten sie noch in der Nacht an das Gericht gefaxt. 246 Seiten. Die Übertragung dauerte 36 Minuten. Zweimal schlug sie fehl, gegen 2 Uhr nachts dann gingen die Unterlagen doch noch durch.

Register beim Bundesamt für Justiz

Sobald das Gericht die Klage geprüft und angenommen hat, können sich alle vom Rückruf betroffenen Dieselfahrer anschließen, die noch nicht selbst geklagt haben – auch wenn sie ihr Auto inzwischen verkauft oder verschrottet haben. Mitte des Monats wird dafür ein Register beim Bundesamt für Justiz eröffnet.

Entschädigung für Wertverlust der Fahrzeuge gefordert

Die Verbraucherschützer wollen, dass die Dieselfahrer für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge entschädigt werden. Maximalziel ist, dass sie den Kaufpreis erstattet bekommen. VW sieht dafür wenig Chancen: "Die neue Klagemöglichkeit ändert nichts an unserer Position: Kunden in Deutschland haben keine Ansprüche aufgrund der Verwendung der Umschaltlogik in Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189", erklärt der Branchenprimus. Die Fahrzeuge seien genehmigt, technisch sicher und fahrbereit.

Einzelklage für Mandanten mit Rechtsschutzversicherung

Wer sich der Musterfeststellungsklage anschließe, müsse sich außerdem auf ein jahrelanges Verfahren einstellen, warnt VW. Wenn die Verbraucherzentralen im Musterfeststellungsprozess Erfolg haben, müssen die Dieselfahrer außerdem noch selbst vor Gericht ziehen, um die Höhe des Schadenersatzes festzulegen. Hat die Musterklage keinen Erfolg, dürfen sie nicht nochmals alleine klagen. Die Anwälte der Verbraucherschützer raten Mandanten mit Rechtsschutzversicherung deswegen weiter zur Einzelklage.

Unternehmen will genaue Zahl der geschlossenen Vergleiche nicht nennen

Sie berichten auch, dass Volkswagen spätestens auf der Ebene der OLG den Vergleich suche. Bei Einzelklagen mit Erfolgsaussicht bot der Konzern Klägern laut ADAC sogar Geld für ein Stillschweige-Abkommen an. VW dagegen betont, die Zahl der Vergleiche sei relativ gering. Die genaue Zahl wollte das Unternehmen nicht nennen.

Barley: Keine amerikanischen Verhältnisse

Für viele Unternehmen sind Sammelklagen mit hohen Schadensersatzforderungen, wie man sie aus den USA kennt, ein Schreckgespenst. Genau das sei die Musterfeststellungsklage aber nicht, betont Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). "Wir wollten ausdrücklich nicht amerikanische Verhältnisse", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". Deshalb dürften in Deutschland auch nur bestimmte Verbraucherschutzverbände klagen und nicht jede Anwaltskanzlei. Es gehe nicht darum, dass Anwälte und Verbände das große Geld machten, der Schutz der Verbraucher stehe im Mittelpunkt.

Kritiker halten Klagemöglichkeit für zu kompliziert

Kritikern ist die deutsche "Einer-für-alle-Klage" trotzdem viel zu kompliziert. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sieht darin "keinen funktionierenden Rechtsschutz". "Wenn sich kein Verband findet, der die Interessen der Betroffenen vertritt, bleiben sie wie bisher auf sich gestellt", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Auch die FDP meldete Zweifel an. Versprochen sei, dass Verbraucher ihr Recht einfacher und schneller durchsetzen könnten. "Die betroffenen Verbraucher, als erstes die geschädigten Dieselfahrer, werden feststellen, dass sich keines dieser Versprechen realisieren wird – allerdings erst in einigen Monaten", sagte die FDP-Fachpolitikerin Katharina Willkomm dem "Handelsblatt".

Redaktion beck-aktuell, Theresa Münch, 2. November 2018 (dpa).