BVerwG: Asylrechtliche Unzulässigkeitsentscheidung nach stattgebendem gerichtlichem Eilbeschluss unwirksam

Lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag als unzulässig ab, weil dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU internationaler Schutz gewährt worden ist, wird diese Entscheidung mit einer stattgebenden Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts unabhängig von den Gründen der Stattgabe kraft Gesetzes unwirksam. Das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es sich vor der Ablehnung befunden hat, vom BAMF fortzuführen, ohne dass auch eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung ausgeschlossen ist, so das BVerwG in seinem Urteil vom 15.01.2019 (Az.: 1 C 15.18).

Asylantrag eines Syrers wegen anderweitiger EU-staatlicher Schutzanerkennung als unzulässig abgelehnt

Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, erhielt im Oktober 2015 in Griechenland Flüchtlingsschutz. Anfang 2017 stellte er in Deutschland erneut einen Asylantrag. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt wegen der Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der EU als unzulässig ab (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Griechenland an. Das VG gab einem Eilantrag des Klägers statt. In der Hauptsache stellte es sodann fest, dass die Unzulässigkeitsentscheidung und die Abschiebungsandrohung infolge des stattgebenden Eilbeschlusses nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unwirksam geworden sind.

BVerwG: Stattgebende Eilentscheidung führt zu Unwirksamkeit der Unzulässigkeitsentscheidung

Das BVerwG hat die von der Beklagten eingelegte Sprungrevision zurückgewiesen. Die an eine stattgebende Eilentscheidung anknüpfende gesetzliche Unwirksamkeitsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG gelte ausdrücklich auch für Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Diese Rechtsfolge trete auch dann ein, wenn das VG im Eilverfahren ernstliche Zweifel nicht an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung selbst, sondern nur an der Abschiebungsandrohung angenommen habe. Aus den Gesetzesmaterialien ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass es sich bei der mit dem Integrationsgesetz 2016 angeordneten umfassenden Erstreckung der – vormals auf unbeachtliche Asylanträge beschränkten – Unwirksamkeitsfolge nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG lediglich um ein redaktionelles Versehen handele.

Sinn und Zweck der Regelung gebietet Anwendung der Unwirksamkeitsfolge

Der Anwendungsbereich des § 37 Abs. 1 AsylG könne auch nicht seinem Zweck nach (teleologisch) begrenzt werden, weil weder die ausdrückliche Einbeziehung von Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG noch der Umstand, dass sich die Rechtswirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG unabhängig von den Gründen, aus denen das VG einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben habe, stets auch auf die Unzulässigkeitsentscheidung erstreckten, der inneren Teleologie (Zielsetzung) der Regelung widersprächen. Die Regelungen der §§ 35 ff. AsylG dienten der beschleunigten Aufenthaltsbeendigung bei anderweitiger Verfolgungssicherheit.

Keine Abschiebung nach stattgebendem Eilantrag

Gebe das VG einem Eilantrag wegen ernstlicher Zweifel statt, stehe dies einer zeitnahen Abschiebung regelmäßig entgegen. In diesem Fall solle nicht der Ausgang des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens abgewartet werden, sondern sei das BAMF nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet. Dabei müsse sich das Bundesamt mit den vom VG im Eilverfahren geäußerten ernstlichen Zweifeln auseinandersetzen, sei aber an dessen Bewertung nicht gebunden. Lägen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG weiterhin vor, sei erneut eine Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen.

Asylrecht eröffnet Möglichkeiten zu Vermeidung einer "Endlosschleife" im Verfahren

Die Entscheidungsinstrumente, die das Asylgesetz zur Verfügung stelle, ermöglichten dem Bundesamt für diese Konstellation, eine “Endlosschleife“ im Verfahren zu vermeiden. So könne es eine rechtsgrundsätzliche Klärung in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren dadurch herbeiführen, dass es entweder ausnahmsweise vom Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 2 AsylG bis zu einer endgültigen gerichtlichen Überprüfung seiner erneuten Unzulässigkeitsentscheidung in einem Hauptsacheverfahren absehe oder eine Abschiebungsandrohung erlasse, deren Vollzug aber bis zu einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nach § 80 Abs. 4 VwGO aussetze. Objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz stehe indes die Praxis des Bundesamtes, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden.

BVerwG, Urteil vom 15.01.2019 - 1 C 15.18

Redaktion beck-aktuell, 16. Januar 2019.