BSG: Patchworkfamilie darf bei Beitragserhebung zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung nicht benachteiligt werden

Sind bei der der Beitragsbemessung in der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung die Einnahmen des Ehegatten oder Lebenspartners zu berücksichtigen, müssen zur Gewährleistung des Schutzes von Ehe und Familie nach Art 6 Abs. 1 GG Abzüge auch für unterhaltsberechtigte nicht-gemeinsame Kinder vorgenommen werden. Dies hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 15.08.2018 entschieden (Az.: B 12 KR 8/17 R).

Freiwillig gesetzlich krankenversicherte Klägerin lebt in Patchwork-Familie

Die Klägerin ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann zusammen. Im gemeinsamen Haushalt leben drei Kinder des Ehemanns und zwei Kinder der Klägerin. Keines der Kinder ist ein gemeinsames Kind der Klägerin und ihres Ehemanns. Die Klägerin verfügte im streitigen Jahr 2009 über kein eigenes Einkommen. Ihr Ehemann bezog als Ruhestandsbeamter im Jahr 2009 eine Pension. Die Klägerin ist seit 2007 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten und in der sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei der beigeladenen Pflegekasse versichert. Ihre Kinder sind über sie familienversichert. Ihr Ehemann und dessen Kinder sind privat kranken- und pflegeversichert.

Von heranzuziehenden Einnahmen des Ehemanns keine Abzüge für Kinder vorgenommen

Nachdem die Klägerin vor 2009 von der Beklagten nur zu Mindestbeiträgen in der GKV und sPV herangezogen wurde, sind die Beiträge im Juli 2009 rückwirkend zum Jahresbeginn im Hinblick auf das Inkrafttreten der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) neu festgesetzt worden. Dabei wurde der Bemessung ihrer Beiträge die Hälfte der Einnahmen ihres Ehemanns ohne Abzüge für den Unterhalt eines oder mehrerer Kinder als Einnahmen zugrunde gelegt. Eine Reduzierung auf Mindestbeiträge lehnte die Beklagte ab.

LSG: Fehlende Abzugsmöglichkeit für nicht-gemeinsame Kinder mit Grundrechten vereinbar

Das SG hob die Bescheide der Beklagten mit der Begründung auf, die BeitrVerfGrsSz seien bereits insgesamt und insbesondere wegen einer Benachteiligung von Patchwork-Familien rechtswidrig. Das LSG hob als Berufungsinstanz das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler seien wirksam. Von den heranzuziehenden Einnahmen des Ehemanns der Klägerin seien keine Abzüge für eines oder mehrere Kinder vorzunehmen, weil es sich bei keinem der Kinder um ein gemeinsames Kind der Eheleute handele. Die in dieser Konstellation fehlende Abzugsmöglichkeit verstoße nicht gegen Grundrechte der Klägerin.

Klägerin rügte ungerechtfertigte Benachteiligung von Patchwork-Familien

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin einen Verstoß von § 2 Abs. 4 Satz 2 BeitrVerfGrsSz und § 240 Abs. 5 SGB V gegen Art 6 Abs. 1 GG und Art 3 GG. Die drei Kinder ihres Ehemanns würden nicht von einer beitragsfreien Familienversicherung in der GKV und sPV profitieren. Es sei ungerecht, dass der Unterhalt für die Kinder ihres Ehemanns bei der familienrechtlichen Berechnung des Ehegattenunterhalts mindernd zu berücksichtigen sei, bei der Beitragserhebung in der GKV und sPV hingegen keine Rolle spiele. Es könne auch nicht regelmäßig angenommen werden, dass Kinder einer Patchwork-Familie Unterhaltsansprüche gegen "externe" Elternteile hätten.

BSG: Abzüge sind auch für nicht-gemeinsame Kinder vorzunehmen

Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, nachdem die Beteiligten zuvor den Rechtsstreit durch angenommenes Teilanerkenntnis und Unterwerfungsvergleich auf die Beitragserhebung in der Zeit vom 01.07. bis 31.12.2009 beschränkt haben. Werden bei der Bemessung der Beiträge eines freiwilligen Mitglieds der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Einnahmen seines nicht in der GKV versicherten Ehegatten oder Lebenspartners als fiktive Einnahmen zugrunde gelegt, seien hiervon kraft ausdrücklicher normativer Regelung (§ 2 Abs. 4 BeitrVerfGrsSz – Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, § 240 Abs. 5 SGB V) für gemeinsame unterhaltsberechtigte Kinder pauschale Abzüge vorzunehmen. Zur Gewährleistung des Schutzes von Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG sind nach Auffassung des Gerichts aber auch bei nicht-gemeinsamen und zugleich nicht-familienversicherten, aber unterhaltsberechtigten Kindern des Ehegatten oder Lebenspartners Absetzungen bis zu einem Drittel der monatlichen Bezugsgröße (Höchstgrenze) von dessen zu berücksichtigenden Einnahmen vorzunehmen. Hierauf sei aber der tatsächlich geleistete Unterhalt Dritter anzurechnen. Die normativen Regelungen stünden dem nicht entgegen, weil daraus eine Begrenzung auf gemeinsame Kinder nicht abgeleitet werden könne.

Höhe der Absetzungen noch zu klären

Ob und in welcher Höhe vorliegend für alle drei Kinder des Ehemanns Absetzungen vorzunehmen seien, könne nicht abschließend beurteilt werden. Das LSG habe – von seinem Rechtsstandpunkt konsequent – Feststellungen zur Unterhaltsberechtigung der zum Teil volljährigen Kinder des Ehemanns der Klägerin ebenso unterlassen wie Feststellungen, ob und inwieweit tatsächlich Unterhaltsleistungen durch Dritte erfolgen. Dies habe zur Zurückverweisung geführt.

BSG, Urteil vom 15.08.2018 - B 12 KR 8/17 R

Redaktion beck-aktuell, 17. August 2018.