BGH: Wann liegt ein Grundurteil iSv § 301 I 2 ZPO vor?

ZPO §§ 301 I 2, 304, 319

Ein Grundurteil (§ 304 ZPO) liegt noch nicht vor, wenn eine Entscheidung zwar als „Grund- und Teilurteil“ überschrieben ist, in der Urteilsformel aber kein Grundurteil enthalten ist und die Urteilsformel auch nicht nach § 319 ZPO vom Rechtsmittelgericht berichtigt werden kann. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urteil vom 11.04.2017 - VI ZR 576/15, BeckRS 2017, 110702

Anmerkung von
Dr. Oliver Elzer, Richter am Kammergericht

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2017 vom 23.06.2017

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Sachverhalt

Patient K behauptet, Arzt B habe ihn unzureichend aufgeklärt und ferner nicht auf die Notwendigkeit einer zeitnahen weiteren Abklärung hingewiesen. Vor diesem Hintergrund und wegen diverser Schäden nimmt K den B auf Zahlung von Schmerzensgeld iHv 30.000 EUR, auf Schadensersatz für Verdienstausfall und Behandlungskosten iHv 42.000 EUR, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie auf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden in Anspruch. Das LG weist die Klage in allen Anträgen ab. Das KG gibt der Klage auf die Berufung des K durch ein als „Grund- und Teilurteil“ überschriebenes Urteil teilweise statt, spricht  K – insoweit unter Klagabweisung im Übrigen – ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR zu und stellt die Ersatzpflicht des B für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden fest. In den Gründen heißt es, da zukünftige Folgen nicht auszuschließen seien, sei der der materielle und immaterielle Feststellungsantrag zuzusprechen. Weiter heißt es aber auch: „Der materielle Schaden und die Nebenforderungen sind nicht zur Entscheidung reif“. Mit der Revision erstrebt B die vollständige Klageabweisung. B erzielt einen Teilerfolg.

Entscheidung

Der BGH meint, es sei verfahrensfehlerhaft im Wege des Teilurteils über einen Teil der Schadensersatzklage entschieden worden. Bei einer späteren Aufnahme des noch anhängigen Teils des Rechtsstreits (Anspruch auf Ersatz des bereits entstandenen materiellen Schadens und auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten) werde erneut über die Frage zu befinden sein, ob eine kausale Pflichtverletzung der Beklagten vorliege. Etwas anderes würde zwar gelten, wenn ein Grundurteil über den noch ausstehenden Anspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen materiellen Schadens und der Rechtsverfolgungskosten erlassen worden wäre. Dies sei aber nicht geschehen. Zwar habe das KG seine Entscheidung als „Grund- und Teilurteil“ ausgewiesen. Die Urteilsformel enthalte aber keine Entscheidung über den noch ausstehenden Teil. Das KG habe ferner in den Entscheidungsgründen nicht deutlich gemacht, ob und inwieweit die Beklagte dem Grunde nach hafte – sodass die Urteilsformel noch nach § 319 ZPO berichtigt werden könnte. Das KG habe sich insoweit vielmehr auf die „Mitteilung“ beschränkt, der materielle Schaden und die Nebenforderungen seien nicht zur Entscheidung reif. Der Wille, hinsichtlich des noch ausstehenden Teils des materiellen Schadensersatzes dem Grunde nach zu entscheiden, liege nicht klar zu Tage.

Praxishinweis

Auch bei Teilbarkeit des Streitgegenstandes darf ein Teilurteil (§ 301 ZPO) nur dann ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann nach § 301 I 2 ZPO allerdings durch Teilurteil entschieden werden, wenn und sofern zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Von dieser Möglichkeit hatte das KG wohl Gebrauch machen wollen und seine Entscheidung entsprechend überschrieben, aber seinen Ausspruch nicht entsprechend gefasst (etwa: Der Kläger hat gegen den Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadenersatz wegen … (konkretes Schadensereignis) und auch in den Gründen nur ausgeführt, materieller Schaden und Nebenforderungen seien (noch) nicht zur Entscheidung reif. Der Fall ist insoweit nachdrückliche Mahnung, bei Abfassung eines Urteils den Ausspruch zu überprüfen und in den Entscheidungsgründen deutlich zu machen, welche Ansprüche in welchen Umfang zu- oder aberkannt werden.

Redaktion beck-aktuell, 27. Juni 2017.