Beweiswürdigung bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

Wenn das Gericht der einzigen Zeugin eine auch nur unbewusste Fehlleistung bei der Belastung des Angeklagten unterstellt, muss es diese These sehr gut untermauern. Der Bundesgerichtshof hob einen Freispruch wegen räuberischer Erpressung auf, bei dem eine Sexarbeiterin einen Freier bezichtigte, sie unter Vorhaltung einer Waffe gezwungen zu haben, ihm ihr Honorar zurückzugeben.

Freispruch vom Vorwurf räuberischer Erpressung

Ein Mann ging 2011 zu einer Prostituierten, zahlte 80 Euro und hatte Sex mit ihr. Anschließend, so die Geschädigte, habe er sein Geld zurückhaben wollen. Sie habe sich geweigert, aber er habe ihr dann eine Schusswaffe vorgehalten und gesagt, er müsse nur einmal abdrücken und sie wäre weg. Angesichts dieser Drohung habe sie ihm das Geld ausgehändigt. Die Frau schilderte direkt nach der Tat mehreren Frauen den Vorfall und informierte zeitnah die Polizei. Das Landgericht Frankfurt am Main glaubte ihr nicht und sprach den Mann neun Jahre später von dem Vorwurf der räuberischen Erpressung frei. Die Richter gingen dabei zwar nicht von einer bewussten Lüge der Zeugin aus, hatten aber die Falschaussagehypothese "nach einer Gesamtwürdigung" nicht eindeutig zurückweisen wollen. Die Staatsanwaltschaft erhob die Sachrüge zum Bundesgerichtshof – mit Erfolg.

Widersprüchliche und lückenhafte Beweiswürdigung

In einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sind dem BGH zufolge besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen: Die Strafrichter müssen alle Umstände, die für die Entscheidung wichtig sein können, aufführen und würdigen. Das Geschehen vor der Drohung sei übereinstimmend von den Beteiligten geschildert worden und die Zeugin habe ihren Freier eindeutig anhand einer Tätowierung identifiziert. Bei diesem Sachverhalt müsse das Landgericht ausführlich erörtern, wie es bei einem Ausschluss einer bewussten Falschbelastung zu der These einer unbewussten Fehlleistung kommen konnte.

Aussagekonstanz nach neun Jahren

Die Karlsruher Richter monierten weiter, das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerung in den Jahren bis zur Hauptverhandlung leide. Da sei Abweichungen in den Angaben zur Kleidung des Kunden kein hohes Gewicht zuzumessen. Außerdem komme der Tatsache, dass der Angeklagte bereits vor der Tat wegen Waffenbesitzes vorbestraft gewesen war, ein eigener Beweiswert zu, der in dem Freispruch nicht berücksichtigt worden sei. Gleiches gelte für das Verhalten der Frau nach der Tat. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 17.02.2021 - 2 StR 222/20

Redaktion beck-aktuell, 22. April 2021.