Schwere Schuld: Jugendstrafe setzt keinen Erziehungsbedarf voraus
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Auch bei schweren Taten haben Jugendrichter bisher schon mal von Jugendstrafe abgesehen, wenn sich der Täter bis zur Verhandlung wieder gefangen hatte. Damit könnte jetzt Schluss sein:  Bei schwerer Schuld setzt die Verhängung von Jugendstrafe keinen Erziehungsbedarf voraus, entschied der BGH im Fall zweier G20-Demonstranten. 

Zwei Jugendliche reisten zum G20-Gipfel 2017 nach Heiligendamm, um gegen diese Veranstaltung zu protestieren. Die Demonstration wurde von der Polizei aufgelöst, was die beiden als unfair bewerteten, weil sie nun nicht mehr ihren politischen Willen kundtun konnten. Um ihren Protest dennoch Ausdruck zu verleihen, nahmen sie an einem sogenannten schwarzen Block teil, in dem sie schwarz gekleidet und vermummt in die Innenstadt zogen. Andere Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus diesem Aufzug zündeten Mülltonnen und 15 Autos an, warfen Glasscheiben von Geschäften ein und bedrohten Passanten. Davon bekamen die Jugendlichen, die relativ weit vorne mitliefen, nur die Inbrandsetzung der letzten vier Fahrzeuge mit. Sie blieben dennoch Teil des Protestmarsches. Erst als ein Teilnehmer einen Pflasterschein in eine Privatwohnung warf, stiegen sie aus. Das Landgericht Hamburg verurteilte sie wegen Teilnahme am Landfriedensbruch nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB zu Arbeitsleistungen.

Der BGH hob diesen Schuldspruch zunächst 2021 (Urteil vom 13.12.2021 − 5 StR 115/21) auf, weil die Feststellungen eine Verurteilung nur wegen Teilnahme nicht trügen – die Jugendlichen seien als Täter zu bestrafen. Die zweite Jugendkammer am LG Hamburg lehnte angesichts einer "bemerkenswerten" zwischenzeitlichen Entwicklung der Jugendlichen eine schädliche Neigung im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG ab. Die Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG hingegen bejahten die Hamburger Richterinnen und Richter. Da sie aber keinerlei Bedarf mehr für erzieherische Maßnahmen sahen, verhängten sie keine Jugendstrafe. Hiergegen ging die Staatsanwaltschaft erneut in Revision zum BGH (Urteil vom 04.06.2024 – 5 StR 205/23) – mit Erfolg.

Jugendstrafe setzt keine Erziehungsbedürftigkeit voraus

Der 5. Strafsenat stellt mit seinem jetzt veröffentlichten Urteil klar, dass eine Jugendstrafe entweder bei Vorliegen einer schädlichen Neigung beim Jugendlichen zu verhängen ist oder wenn ihm eine schwere Schuld vorzuwerfen ist. Die Annahme des Landgerichts, auch nach Begehung einer schweren Tat müsse kumulativ noch ein Erziehungsbedarf bei dem Täter vorliegen, gehe fehl. Ob eine Jugendstrafe erforderlich ist, ergebe sich einzig und allein aus der Schuldschwere selbst.

Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der historische Wille sprächen für diese Auslegung, so der BGH: Schon der Gesetzgeber des Reichsjugendgesetzes habe ausdrücklich formuliert, dass allein die Größe der Schuld eine Strafe notwendig werden lassen. Auch der aktuelle Gesetzgeber erkenne die „Schuldstrafe“ an. Auf diese könne nicht verzichtet werden, da sonst die Möglichkeit einer Bestrafung Jugendlicher, die zwar schuldhaft gehandelt haben, aber nicht erziehungsbedürftig sind, ganz ausgeschlossen würde.

Der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs tritt dem BGH zufolge nicht vollständig hinter dem Erziehungsgedanken zurück. Die Leipziger Richterinnen und Richter sehen in § 17 Abs. 2 JGG vielmehr ein Alternativverhältnis zwischen der "Erziehungsstrafe" und der "Schuldstrafe". Dafür spreche auch § 27 JGG, der eine Aussetzung zur Bewährung nur im Zweifel über eine schädliche Neigung, nicht aber über die Schwere der Schuld vorsehe. 

BGH, Urteil vom 04.06.2024 - 5 StR 205/23

Redaktion beck-aktuell, rw, 26. Juni 2024.