BAG: Ohne Antrag keine Sachentscheidung

ZPO §§ 160 III Nr. 2, 297 I, 308 I 1, 314 S. 1, 528

Das Gericht darf nach § 308 I 1 ZPO einer Partei nur zusprechen, was diese beantragt hat. Diesem Antragserfordernis kann nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden. Aus Gründen der prozessualen Klarheit und der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts näher zu bestimmen, bedarf es vielmehr einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung. (Leitsatz des Verfassers)

BAG, Urteil vom 24.10.2017 - 1 AZR 166/16, BeckRS 2017, 133615

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2018 vom 22.06.2018

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Sachverhalt

Das ArbG weist die Klage einer Arbeitnehmerin ab. Dagegen legt diese Berufung ein. In der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des LAG in der Berufungsverhandlung sind keine Anträge protokolliert. Es heißt allerdings: „Die Parteien verhandeln zur Sache“. Das LAG ändert nach der Sitzung das ArbG ab und gibt der Klage statt. Mit seiner Revision erstrebt die Arbeitsgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Mit einem Teilerfolg!

Entscheidung

Das LAG habe unter Verstoß gegen § 308 I 1 ZPO in der Sache entschieden. Gem. § 528 ZPO unterlägen der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszugs dürfe nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung beantragt sei. Dem Antragserfordernis könne nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden. Aus Gründen der prozessualen Klarheit und der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts näher zu bestimmen, bedürfe es einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung (Hinweis auf BAG NZA 2016, 1166 Rn. 8). Hieran fehle es. Das über die Verhandlung vor dem LAG gefertigte Protokoll, zu dessen unabdingbaren Inhalten nach § 160 III Nr. 2 ZPO die Feststellung der Anträge gehöre, weise keine Antragstellung aus – im dem protokollierten Umstand „Die Parteien verhandeln zur Sache“ läge keine (konkludente) Antragstellung.

Auch aus den Angaben zu den Anträgen der Parteien im Tatbestand des angefochtenen Berufungsurteils folge keine Antragstellung. Zwar liefere der Tatbestand nach § 314 S. 1 ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen vor dem erkennenden Gericht – was auch die Abgabe von Prozesserklärungen einschließe (Hinweis auf BGH NJW 2013, 2361 Rn. 11 mAnm Toussaint FD-ZVR 2013, 344969). Dabei könne auf sich beruhen, ob sich die Beweiskraft des Tatbestands bei in ihm wiedergegebenen Anträgen nur auf die Tatsache ihrer Verlesung oder Erhebung und nicht ihren Inhalt beziehe (Hinweis ua auf  BVerwG NJW 1988, 1228 und BGH NJW-RR 2013, 1334 Rn. 8 mAnm Toussaint FD-ZVR 2013, 349448). Tatbestandlichen Feststellungen komme nämlich dann keine Beweiskraft zu, wenn und soweit sie Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufwiesen und sich diese Mängel aus dem Urteil selbst ergäben (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 1093 Rn. 21 und BGH NZG 2015, 1432 Rn. 48 mAnm Toussaint FD-ZVR 2015, 371433). Das sei aber der Fall. Denn das LAG habe den Antrag der Klägerin in der Berufungsinstanz dahingehend wiedergegeben, dass er die Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und eine Verurteilung der Beklagten „nach den Schlussanträgen der 1. Instanz“ umfasse. Der Inhalt der „Schlussanträge“ sei jedoch im Tatbestand des Berufungsurteils gar nicht angegeben worden.

Praxishinweis

Gem. § 297 I ZPO sind die Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden.

Nach § 297 II ZPO kann die Verlesung dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, welche die Anträge enthalten. 

Redaktion beck-aktuell, 28. Juni 2018.