BGH: Fristverlängerungsantrag durch Kanzleiangestellten

ZPO §§ 85 II, 233; FamFG § 114 I

Ein Antrag auf Fristverlängerung unterliegt dem Anwaltszwang. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 19.12.2018 - XII ZB 53/18, BeckRS 2018, 36982

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 04/2019 vom 22.02.2019

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Sachverhalt

In einer Familienstreitsache hat das AG den Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 11.7. abgewiesen. Auf dem von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin an das AG zurückgesandten Empfangsbekenntnis ist als Zustelldatum des Beschlusses der 25.6. vermerkt. Die Antragstellerin hat am 27.7. Beschwerde gegen den Beschluss des AG eingelegt. Das Beschwerdegericht hat nach Eingang darauf hingewiesen, dass die Beschwerde verspätet eingegangen sei, und zu diesem Hinweis eine Frist zur Stellungnahme gewährt. In einem von einem Kanzleiangestellten der urlaubsabwesenden Verfahrensbevollmächtigten auf deren Anweisung verfassten und mit dem Zusatz „i.A.“ unterzeichneten Schreiben ist innerhalb der Stellungnahmefrist mitgeteilt, dass der Beschluss des AG tatsächlich erst am 25.7. bei der Verfahrensbevollmächtigten eingegangen sei. In dem Schreiben ist des Weiteren beantragt worden, „die Stellungnahmefrist (…) um 3 Wochen, also spätestens bis 20.9., zu verlängern“. Das Beschwerdegericht hat hierauf bestätigt, dass der Beschluss des AG denknotwendig erst im Juli an die Verfahrensbevollmächtigte zugestellt worden sein konnte, sodass die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden sei. Ferner hat es durch die Verfügung „auf Antrag der Rechtsanwältin (…) die Beschwerdebegründungsfrist antragsgemäß verlängert“. Die Beschwerdebegründung ist am 13.10. beim Beschwerdegericht eingegangen.

Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Antragstellerin verworfen und deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen, in dem sie geltend gemacht hatte, aufgrund der vom Berufungsgericht gewährten Fristverlängerung, ihrer (unerledigt gebliebenen) Weisung an ihren Kanzleiangestellten, einen weitergehenden Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist zu verfassen und an das Beschwerdegericht abzusenden, sowie der Auskunft der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts zu einem Fristablauf am 16.10. auf die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Beschwerdebegründung habe vertrauen dürfen.

Entscheidung: Kein Vertrauensschutz für scheinbar gewährte Fristverlängerung

Die (gem. § 117 I 4 FamFG iVm §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II ZPO ohne weiteres statthafte) Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat der BGH verworfen, weil die Voraussetzungen des § 574 II ZPO nicht erfüllt seien. Insbes. erfordere die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, denn der angefochtene Beschluss verletze die Antragstellerin nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Zutreffend sei das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Beschwerdebegründung der Antragstellerin verspätet eingegangen sei, denn die (gesetzliche) Begründungsfrist sei am 25.9. abgelaufen und nicht durch die Verfügung des Beschwerdegerichts – die sich, weil „antragsgemäß“ ergangen, auf den Fristverlängerungsantrag bezogen habe, der allein die Stellungnahmefrist und ohnehin nur eine Verlängerung bis zum 20.9. betroffen habe – verlängert worden. Das Beschwerdegericht habe der Antragstellerin auch zu Recht gem. § 117 V FamFG iVm § 233 ZPO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist versagt, weil eine unverschuldete Fristversäumung nicht dargetan sei. Der Antrag auf Fristverlängerung unterliege gem. § 114 I FamFG dem Anwaltszwang und habe daher vom Kanzleiangestellten der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bereits nicht wirksam gestellt werden können, was der Verfahrensbevollmächtigten habe bekannt sein müssen. Deshalb sei es nicht ausschlaggebend, ob der Kanzleiangestellte einen weitergehenden Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist hätte verfassen und an das Beschwerdegericht absenden sollen. Auf einen vom Gericht gesetzten Vertrauenstatbestand könne sich die Antragstellerin ebenfalls nicht berufen, weil sich die gewährte Fristverlängerung nur auf ihren bei Gericht eingegangenen Antrag habe beziehen können. Da der Antrag aber bereits in zeitlicher Hinsicht beschränkt gewesen sei und in dieser Form keine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist habe ergeben können, bestünde insoweit für ein schützenswertes Vertrauen schon keine Grundlage. Daraus ergebe sich zugleich, dass auch eine Auskunft der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts zu einem Fristablauf am 16.10. abgesehen von der insoweit nicht ersichtlichen richterlichen Fristverlängerung kein schützenswertes Vertrauen hätte begründen können.

Praxishinweis

Über die Gründe für die der Entscheidung zugrundeliegende Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist kann nur spekuliert werden. Der Umstand der fehlerhaften Datierung des Empfangsbekenntnisses lässt vermuten, dass von Anfang an die Frist nicht oder falsch notiert worden ist. Die vorgebrachten Gründe konnten eine Wiedereinsetzung schon deshalb nicht rechtfertigen, weil sie ersichtlich unschlüssig waren (die vermeintliche Verlängerung der Frist erstreckte sich nicht bis zum Eingang des Schriftsatzes, sondern endete sogar schon vor der gesetzlichen Frist, und die angebliche Auskunft der Geschäftsstelle konnte schon mangels eines in zeitlicher Sicht hinreichenden Verlängerungsantrags nicht stimmen). Unabhängig davon verdeutlicht die Entscheidung aber, dass der für längere Zeit ortsabwesende Anwalt sein Büro nicht ggf. „ferngesteuerten“ Büroangestellten überlassen kann. Im entschiedenen Fall vermochte der Angestellte vielleicht das Beschwerdegericht auf die fehlerhafte Datierung des Empfangsbekenntnisses hinweisen und – in Gestalt des Fristverlängerungsantrags – mitteilen, dass eine weitere Stellungnahme bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Ablauf der gesetzten Frist erfolgen werde. Ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist selbst kann im Anwaltsprozess hingegen nur durch einen Anwalt erfolgen, weshalb bei längerer Abwesenheit für eine entsprechende anwaltliche Vertretung gesorgt werden muss (zum Falle plötzlicher Erkrankung vgl. Toussaint NJW 2014, 200).

Redaktion beck-aktuell, 25. Februar 2019.