BGH: Austausch eines falsch adressierten Schriftsatzes

ZPO §§ 85 II, 233

Der Rechtsanwalt, der einen falsch adressierten fristgebundenen Schriftsatz unterschrieben, seinen Irrtum dann aber bemerkt und einen korrigierten Schriftsatz unterzeichnet hat, genügt regelmäßig der von ihm geforderten üblichen Sorgfalt, wenn er eine sonst zuverlässige Kanzleikraft anweist, den korrigierten Schriftsatz zu versenden; der eigenhändigen Vernichtung oder eigenhändiger Durchstreichungen des ursprünglichen Schriftsatzes bedarf es grundsätzlich nicht (Anschluss u.a. an BGH, Beschluss vom 12. November 2013, VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 13). Das gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Kanzleikraft nicht ausdrücklich angewiesen hat, den falsch adressierten Schriftsatz zu vernichten. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 25.10.2018 - V ZB 259/17, BeckRS 2018, 36250

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 03/2019 vom 08.02.2019

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Sachverhalt

Die Kläger haben am Tag des Fristablaufs gegen das Urteil des LG (LG München II BeckRS 2017, 154317) mit einem an dieses gerichteten und dort eingegangenen Telefax Berufung eingelegt. Das LG hat die Berufungsschrift einige Tage später an das zuständige OLG weitergeleitet. Zeitgleich haben die Kläger dort erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben sie ausgeführt, ihr Prozessbevollmächtigter habe bei Unterzeichnung der Berufungsschrift bemerkt, dass der Schriftsatz versehentlich an das LG und nicht an das OLG adressiert gewesen sei. Unter Rückgabe der Unterschriftsmappe habe der Prozessbevollmächtigte seine Mitarbeiterin angewiesen, eine geänderte, an das OLG adressierte Berufungsschrift zu fertigen, was auch geschehen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe die an das OLG adressierte Berufungsschrift unterzeichnet und der Mitarbeiterin mit der Weisung übergeben, den Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die seit zwölf Jahren beschäftigte, gut geschulte und zuverlässige Mitarbeiterin habe aber nicht die an das OLG adressierte Berufungsschrift dorthin versandt, sondern versehentlich die an das LG adressierte Berufungsschrift an die Telefaxnummer des LG gefaxt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Seiner Ansicht nach liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist nicht vor, weil die Kläger ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das ihnen gem. § 85 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt hätten. Seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genüge ein Rechtsanwalt nur, wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden sei. Erst danach dürfe die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine entsprechende Weisung in seiner Kanzlei getroffen habe, sei nicht vorgetragen. Eine Verzögerung des Eingangs einer Rechtsmittelschrift, die auf eine falsche Adressierung zurückzuführen sei, habe der Rechtsanwalt zudem grundsätzlich selbst zu vertreten. Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger sei es auch als eigenes Verschulden anzulasten, dass er es versäumt habe, die ursprünglich an das LG adressierte und von ihm unterschriebene Berufungsschrift zu vernichten oder sie als überholt zu kennzeichnen und damit zu vermeiden, dass sie in den Verkehr gebracht werde.

Entscheidung

Auf die (gem. §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II 1 ZPO ohne weiteres statthafte) Rechtsbeschwerde der Kläger hat der BGH den Beschluss des OLG aufgehoben, den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu Einlegung der Berufung gewährt und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht als glaubhaft angesehenen Vortrags der Kläger lasse sich ein ihnen gem. § 85 II ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

Ausgangskontrolle unerheblich

Ein Verschulden liege entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht in einer unzureichenden Organisation der Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze. Es sei nicht ersichtlich, warum eine funktionierende Ausgangskontrolle im vorliegenden Fall die irrtümliche Versendung der Berufungsschrift an das unzuständige LG verhindert und eine fristwahrende Übermittlung an das zuständige OLG gewährleistet hätte, denn eine Ausgangskontrolle der versehentlich an das für die Berufung unzuständige LG gerichteten Berufungsschrift hätte vorliegend nur erbracht, dass der Schriftsatz innerhalb der Berufungsfrist an eben das Empfangsgericht (LG) gefaxt worden sei, an das es nach der Adressierung auch habe übermittelt werden sollen.

Konkludente Anweisung zur Vernichtung des fehlerhaften Schriftsatzes ausreichend

Anders als das Berufungsgericht meine, habe der Prozessbevollmächtigte der Kläger auch nicht die fehlerhaft an das LG adressierte Berufungsschrift eigenhändig vernichten müssen. Nach der Rspr. des BGH genüge in einem solchen Fall der Rechtsanwalt regelmäßig der von ihm geforderten üblichen Sorgfalt, vgl. Leitsatz. Der Rechtsanwalt dürfe, wenn er die sonst zuverlässige Kanzleikraft damit beauftrage, einen neuen Schriftsatz zu erstellen, weil der alte falsch adressiert gewesen sei, und sie anweise, den korrigierten Schriftsatz zu versenden, auch ohne ausdrückliche Anweisung zur Vernichtung sich darauf verlassen, dass die Kanzleikraft den fehlerhaften alten Schriftsatz tatsächlich vernichten und den korrigierten versenden werde.

Mit seiner gegenteiligen Ansicht habe das Berufungsgericht den Klägern den Zugang zu dem von der ZPO eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert und damit ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Die Rechtsbeschwerde sei daher nach § 574 II Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig und auch begründet.

Praxishinweis

Nach stRspr des BGH darf der Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass sein zuverlässiges Büropersonal zur Fristwahrung geeignete Einzelweisungen ausführt. Die besprochene Entscheidung zeigt, dass er dabei auch auf ein gewisses „Mitdenken“ vertrauen darf und Selbstverständlichkeiten nicht ausdrücklich erwähnen muss. So enthält die Anweisung, einen Schriftsatz in korrigierter Form zu erstellen und zu versenden, auch unausgesprochen die Anweisung, den alten Schriftsatz zu vernichten und nicht etwa zu versenden.

Redaktion beck-aktuell, 11. Februar 2019.