BGH: Änderung des Parteivortrags und prozessuale Folgen

GG Art. 103; ZPO § 531 II 1 Nr. 3

Im Prozessrecht findet sich keine Grundlage, Parteivortrag nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er im Widerspruch zu vorangegangenem, ausdrücklich aufgegebenem Vortrag steht. Im Gegenteil ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbes. zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen; eine Vortragsänderung kann nur bei der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 24.07.2018 - VI ZR 599/16, BeckRS 2018, 22054

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 21/2018 vom 26.10.2018

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Sachverhalt

K und B, der Vorstand der mittlerweile insolventen A-AG, streiten um Schadensersatz nach dem Erwerb von Genussscheinen. Das LG weist die Klage ab. Das OLG weist die Berufung nach § 522 II 1 ZPO zurück. Die etwaige Fehlerhaftigkeit von Prospekten, Lageberichten und Flyern sei für den Erwerb der Genussscheine durch K im Fall jedenfalls nicht kausal geworden. Wenn K darlege, der Erwerb der Genussscheine durch die A-AG für ihn sei ohne Rücksprache mit ihm erfolgt, komme es auf diesen Vortrag nicht an. Denn K habe jedenfalls in erster Instanz noch vorgetragen, der Erwerb der Genussscheine sei aufgrund einer vorherigen Beratung durch die A-AG erfolgt. Im Übrigen sei K mit seinem neuen Vortrag aber auch ausgeschlossen. Hiergegen wendet sich K mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Zwar habe K in erster Instanz vorgetragen, der Erwerb der Genussscheine sei aufgrund einer vorherigen Beratung durch die A-AG erfolgt. K sei von diesem Vortrag aber noch in erster Instanz wieder mit dem Hinweis abgerückt, sich zunächst geirrt zu haben. Im Prozessrecht finde sich keine Grundlage, Parteivortrag nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er im Widerspruch zu vorangegangenem, ausdrücklich aufgegebenem Vortrag stehe. Im Gegenteil sei eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen; eine Vortragsänderung könne nur bei der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 705 Rn. 41).

Praxishinweis

Eine Partei ist – wie der Fall eindrücklich zeigt – nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder eben auch zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten sind im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Widersprüche liefe hingegen auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus (BGH BeckRS 2016, 20628 Rn. 15; Elzer FD-ZVR 2018, 407380). Ähnlich liegt es, wenn Indizien gegen eine Behauptung sprechen. Auch diese dürfen und müssen im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Sie berechtigen das Tatgericht aber nicht, angebotene Beweise nicht zu erheben. Denn auch darin würde eine nicht zulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung liegen (BGH BeckRS 2017, 134558 Rn. 19; BGH BeckRS 2016, 01735 Rn. 9 mAnm Elzer FD-ZVR 2016, 376395).

Der VI. Zivilsenat machte im Fall im Übrigen noch auf eine weitere Rechtsverletzung aufmerksam. Seiner Ansicht nach hatte das OLG den Anspruch des K in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nämlich auch dadurch verletzt, dass es K’s Vortrag nach § 531 II 1 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen habe. Denn die Vortragsänderung sei bereits in erster Instanz erfolgt. K’s Vortrag sei also nicht neu gewesen – was stimmt. Denn iSv § 531 II 1 Nr. 3 ZPO „neu“ ist ein Beweisantritt nur dann, wenn er entweder in der ersten Instanz überhaupt nicht oder zwar zunächst gestellt, aber im Folgenden auf ihn nach § 399 ZPO verzichtet worden ist (BGH NJW 2017, 2288 mAnm Elzer FD-ZVR 2017, 394659). Man wird insoweit aber – wie auch bei dem ersten Gehörsverstoß – wohl annehmen müssen, dass die Richter die sich nur im Protokoll der mündlichen Verhandlung erster Instanz findenden Korrekturen des bisherigen Vortrags schlicht übersehen hatten und ferner, dass K auf seine „Kehrtwende“ auch nicht hingewiesen hatte.

Redaktion beck-aktuell, 29. Oktober 2018.