BGH: Angabe des Klagegrundes in der Klageschrift

GG Art. 103 I; ZPO §§ 253 II Nr. 2, 533

Für die Angabe des Klagegrundes in der Klageschrift genügt es, dass der Anspruch individualisierbar, also als solcher identifizierbar ist. Es ist nicht erforderlich, dass der maßgebende Lebenssachverhalt in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substanziiert dargelegt worden ist. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 04.07.2018 - VII ZR 21/16, BeckRS 2018, 20308

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 20/2018 vom 12.10.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Zivilverfahrensrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Zivilverfahrensrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Zivilverfahrensrecht. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

B macht mit einer Widerklage Vergütungsansprüche iHv 767.020,41 EUR geltend. Er gibt an, nach einem Instandhaltungsvertrag Vergütungsansprüche für die Wartung und Instandhaltung von Gebäuden zu haben. Zur Begründung verweist er auf eine detaillierte Aufschlüsselung der Ansprüche in der Anlage B 19. Das ist eine tabellarische Auflistung der Ansprüche nach Positions- und Rechnungsnummer, Rechnungsdatum, Rechnungsbetrag und Standort der Leistung unter Beifügung der Rechnungen. Später nimmt B „zur näheren Substanziierung“ noch auf ein um weitere Unterlagen ergänztes Anlagenkonvolut B 23 Bezug und führt hinsichtlich ausgewählter 5 Positionen im Einzelnen konkret aus.

Das LG gibt der Widerklage iHv 294.714,85 EUR statt. Dieser Betrag sei unstreitig. Der Vortrag in Bezug auf die übrigen Vergütungsansprüche – mit Ausnahme der weiter zuzusprechenden 4 Positionen (= 4.899,39 EUR) und einer als unbegründet abzuweisenden Position (9.071,21 EUR) – sei unsubstanziiert. B verweise lediglich pauschal und damit ungenügend auf als Anlage der Klage beigefügte Rechnungen. Das OLG bestätigt diese Entscheidung. Zwar trage B in der Berufungsbegründung zu allen Ansprüchen konkret vor. Diese Widerklage sei aber neu und gem. § 533 ZPO nicht zuzulassen. Denn B habe die Widerklageforderung erstinstanzlich ausschließlich auf den Instandhaltungsvertrag und die dort vereinbarte Pauschale gestützt. Die Verweisung des B auf eine aus einer Anlage folgende „detaillierte Aufschlüsselung“ lege zwar nahe, B habe weitergehende Ansprüche geltend machen wollen. Deren Grundlagen seien aber nicht ausgeführt. Gegen diese Entscheidung wendet sich B im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Der BGH hebt das Urteil im Kostenpunkt und insoweit auf, als die Berufung im Hinblick auf die Widerklage iHv 463.289,37 EUR (472.306,58 EUR abzüglich einer Widerklageposition iHv 9.017,21 EUR) zurückgewiesen worden ist. Das OLG habe das rechtliche Gehör des B verletzt. Es habe die Widerklage nicht gem. § 533 ZPO unberücksichtigt lassen dürfen. Die Anforderungen, die das OLG an den Parteivortrag gestellte habe, seien im Hinblick auf die Frage, ob der Widerklageanspruch hinreichend individualisiert sei, offensichtlich überspannt. Die Widerklage sei nicht neu gewesen. B habe diese bereits in erster Instanz in zulässiger Weise erhoben. Denn B habe den Grund des erhobenen Anspruchs (§ 253 II Nr. 2 ZPO) bereits in erster Instanz hinreichend genau angegeben. Dafür genüge es nämlich, dass der Anspruch individualisierbar, also als solcher identifizierbar sei; es sei hingegen nicht erforderlich, dass der maßgebende Lebenssachverhalt in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substanziiert dargelegt worden sei (Hinweis auf BGH NJW 2016, 2747 Rn. 19 = FD-ZVR 2016, 377523 (Ls.)).

Der Hinweis des OLG, die Gerichte seine nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die Ansprüche zu konkretisieren, treffe zwar zu. Ein solcher Fall liege aber nicht vor. Zum einen habe B sich nicht nur auf eine Jahrespauschale berufen, sondern ausdrücklich zusätzliche, außervertragliche Aufwendungen eingeklagt. Und zum anderen habe es sich bei der Bezugnahme auf die Anlagen B 19 und B 23 nicht um eine Verweisung auf ungeordnete Anlagenkonvolute gehandelt. Vielmehr habe B der Anlage B 19 eine Tabelle vorangestellt, in der die Positionen nach Rechnungsnummer, Datum, Rechnungsbetrag und Standort (Ort der Leistung) aufgelistet worden seien. Die einzelnen Rechnungen in der Anlage seien mit der jeweiligen Positionsnummer versehen worden. Und in der Anlage B 23 seien neben den Rechnungen auch weitere auf die jeweiligen Leistungen bezogene Schriftstücke beigefügt worden. Nach Vortrag des B habe es sich bei sämtlichen Rechnungen um Leistungen iSd Instandhaltungsvertrags gehandelt. Damit aber seien die geltend gemachten Ansprüche hinreichend individualisiert gewesen. K habe anhand der Rechnungen erkennen können, um welche Forderungen es gegangen sei. Auch die Reichweite von Rechtshängigkeit und Rechtskraft ließen sich anhand der Auflistung bestimmen.

Praxishinweis

Nach § 253 II 2 ZPO muss die klagende Partei einen bestimmten Antrag stellen und Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs angeben. Dafür ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist (BGH NJW-RR 2005, 216 unter II; NJW-RR 2004, 639 unter II 3 a). Die Individualisierung kann grds. auch durch eine konkrete Bezugnahme auf der Klageschrift beigefügte Anlagen geboten werden (BGH NJW-RR 2005, 216 unter II; BGH NJW-RR 2004, 639 unter II 3 a). Denn es wäre Förmelei, wollte man die klagende Partei für verpflichtet halten, die in Anlagen enthaltenen Informationen noch einmal schreiben zu lassen, um sie dann erneut schriftsätzlich dem Gericht unterbreiten zu können. Die Grenze einer Individualisierung ist indes erreicht, wenn sich Gerichte umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durcharbeiten müssten, um so die Ansprüche zu konkretisieren (BGH NJW 2008, 69 Rn. 25). Anlagen können zudem grds. lediglich zur Erläuterung und Konkretisierung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht vollständig ersetzen (BGH BeckRS 2013, 08691 Rn. 14; BGH NJW 2008, 69 Rn. 25).

Redaktion beck-aktuell, 18. Oktober 2018.