BGH: Suche und Auswahl eines geeigneten Sachverständigen

GG Art. 103 I; ZPO §§ 356, 404

Findet das Prozessgericht keinen Sachverständigen, kann es unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO von einer Beweiserhebung absehen. Die dafür maßgeblichen Erwägungen müssen allerdings nachvollziehbar dargelegt werden. Dazu gehört die Offenlegung sämtlicher Bemühungen, aus denen sich der zwingende Schluss ergibt, dass der Beweis durch Sachverständige nicht geführt werden kann. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 29.03.2017 - VII ZR 149/15, BeckRS 2017, 111507

Anmerkung von
Dr. Oliver Elzer, Richter am Kammergericht

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 13/2017 vom 7.7.2017

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Sachverhalt

Mit seiner Klage begehrt Werkunternehmer K weiteren Werklohn. Das LG weist die Klage ab. Das Berufungsgericht ordnet eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage an, ob es sich bei von K aufgeführten Einheitspreisen um die übliche Vergütung handelt, die zur Zeit des Vertragsschlusses für nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise im Raum Köln gewährt zu werden pflegt. Zur Beantwortung dieser Frage zieht das OLG nacheinander vier Sachverständige heran. Weil alle diese die Beweisfrage aber nicht beantworten können und weitere geeignete Sachverständige nicht ersichtlich sind, weist das OLG die Berufung zurück. Dagegen wendet sich K mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Das OLG habe unter Verstoß gegen Art. 103 I GG ein erhebliches Beweisangebot übergangen. Nach § 403 ZPO werde der Beweis durch Sachverständige durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten. Die Benennung eines bestimmten Sachverständigen sei für den Beweisantritt nicht erforderlich. Vielmehr verfolge die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl durch das Prozessgericht, § 404 I 1 ZPO. Um den oder die geeigneten Sachverständigen zu finden, obliege es dem Prozessgericht, sich beispielsweise bei Kammern, Berufsverbänden, Instituten und durch Kontaktaufnahme mit Sachverständigen kundig zu machen. Zudem könne das Prozessgericht die Parteien auffordern, einen geeigneten Sachverständigen zu bezeichnen, § 404 IV ZPO.

Finde das Prozessgericht unter Ausschöpfung aller bekannten Erkenntnisquellen keinen geeigneten Sachverständigen, könne es unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO von einer Beweiserhebung absehen. Die dafür maßgeblichen Erwägungen müssten in den Urteilsgründen – ggf. unter Bezugnahme auf Verfügungen und Beschlüsse des Prozessgerichts – für die Parteien nachvollziehbar dargelegt werden. Dazu gehöre die Offenlegung sämtlicher Bemühungen, aus denen sich der zwingende Schluss ergebe, dass der Beweis durch Sachverständige nicht habe geführt werden können. Diesen Anforderungen genüge das Urteil nicht. Ihm könne nicht entnommen werden, dass das Berufungsgericht sämtliche Erkenntnisquellen ausgeschöpft habe.

Praxishinweis

Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 I GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr; siehe etwa BGH BeckRS 2017, 110843 Rn. 24 = FD-ZVR 2017, 392098 (Ls.); BGH ZfBR 2017, 146 Rn. 10; BGH NZM 2017, 256 Rn. 10 mAnm Elzer FD-ZVR 2017, 389266; BGH BeckRS 2012, 19272 mAnm Toussaint FD-ZVR 2012, 337188). Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat oder der Tatrichter ein Vorbringen zwar zur Kenntnis nimmt, das Unterlassen der danach gebotenen Beweisaufnahme aber im Prozessrecht keine Stütze findet.

Redaktion beck-aktuell, 14. Juli 2017.