KG Berlin: Offenes Wegtragen von Waren im Selbstbedienungsladen vor Passieren des Kassenbereichs kein vollendeter Diebstahl

StGB §§ 242, 244 I Nr. 1a, 22, 23 II, 49 I

Das sichtbare Wegtragen von Waren begründet innerhalb der Geschäftsräume noch keinen neuen Gewahrsam des Täters. Sofern er sich dabei noch innerhalb des durch Sicherungsmaßnahmen begrenzten Geschäftsbereichs aufhält, ist der Diebstahl daher nur versucht, nicht aber vollendet. (Leitsatz des Gerichts)

KG Berlin, Beschluss vom 22.10.2018 - (2) 161 Ss 59/18 (12/18), BeckRS 2018, 31492

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Thomas Malsy, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 01/2019 vom 10.01.2019

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Sachverhalt

Der Angeklagte (A) begab sich mit einer Umhängetasche über der Schulter in ein Kaufhaus. Im Hauptfach der Tasche führte er zur Selbstverteidigung ein Pfefferspray sowie einen 11 cm langen Maulschlüssel mit sich, der an einem Ende spitz angeschliffen war. Er entnahm den Auslagen der Parfümerieabteilung vier Packungen mit Parfüm. Dieses wollte er nicht bezahlen und für sich behalten. Er begab sich mit dem Parfüm langsam zum Ausgang, wobei er die Packungen mit seinen Armen und Händen vor seinem Körper hielt. Als er versuchte, das Geschäft zu verlassen, ertönte die Warensicherungsanlage. Zwei Sicherheitsmitarbeiter hielten A fest und führten ihn in ein Büro. Das AG Tiergarten verurteilte A wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe und zog das Pfefferspray und den Maulschlüssel ein. Gegen dieses Urteil legte A Revision ein, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügte.

Entscheidung

Die teilweise erfolgreiche Revision führte zu einer Änderung des Schuldspruchs und einer Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Das AG habe die Feststellungen zum Schuldspruch rechtsfehlerfrei getroffen, sei aber zu Unrecht von einem vollendeten Diebstahl mit Waffen ausgegangen. Der Diebstahl sei versucht, aber nicht vollendet. Eine vollendete Wegnahme liege vor, wenn der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangte habe, dass er sie unbehindert durch den bisherigen Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser seinerseits nicht mehr über die Sache verfügen könne. Diese Voraussetzungen seien beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden erfüllt, wenn der Täter die Kassenzone passiert habe oder vorher Sachen geringen Umfangs einstecke bzw. sonst verberge. Indes habe A die Parfümpackungen sichtbar vor seinen Körper getragen und das Kaufhaus noch nicht verlassen. Den versuchten Diebstahl habe A iSd § 244 I Nr. 1a StGB mit Waffen begangen. Pfefferspray und Maulschlüssel seien jedenfalls andere gefährliche Werkzeuge, weil sie nach ihrer konkreten objektiven Beschaffenheit jeweils geeignet gewesen sein, einem Opfer erhebliche Körperverletzung zuzufügen. Für das Tatbestandsmerkmal „bei sich führen“ reiche es aus, wenn der Täter den fraglichen Gegenstand bewusst gebrauchsbereit derart in seiner räumlichen Nähe habe, dass er ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne nennenswerte Schwierigkeiten darauf zugreifen könne. Die Beweiswürdigung und die Einziehungsentscheidung seien frei von Rechtsfehlern.

Praxishinweis

Das KG folgt der Rspr. des BGH zur Vollendung beim Ladendiebstahl (BeckRS 2013, 11824). Wie der BGH lässt das KG offen, ob es sich beim Pfefferspray um eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.d. § 244 I Nr. 1a StGB handelt (BeckRS 2017, 130131 mwN). Zum Tatbestandsmerkmal „bei sich führen“ ist zu beachten, dass der Tatbestand nach der höchstrichterlichen Rspr. keine generelle oder konkret gefasste Absicht voraussetzt, das gefährliche Werkzeug als Nötigungsmittel gegen Personen einzusetzen (BeckRS 2008, 12732). Ausreichend ist das bloße Bewusstsein des Täters, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, welches geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dieses Bewusstsein muss das Tatgericht grds. ausdrücklich feststellen. Entsprechende Ausführungen können allenfalls beim Mitführen einer Waffe im technischen Sinne oder einem Gegenstand entbehrlich sein, der typischerweise zur Verletzung von Personen eingesetzt wird (BeckRS 9998, 24764). Dies wird der Verteidiger bei einer entsprechenden Fallgestaltung ebenso zu beachten haben wie die Frage, ob die Feststellungen des Tatgerichts die Annahme eines vollendeten Diebstahls tragen.

Redaktion beck-aktuell, 14. Januar 2019.