BGH: Beim Eingehungsbetrug kann das Ausfallrisiko einer Geldanlage nicht mit dem Vermögensschaden gleichgesetzt werden

StGB § 263

1. Zur Schadensfeststellung bei einem Eingehungsbetrug ist der Geldwert des erworbenen Anspruchs mit dem der eingegangenen Verpflichtung zu vergleichen. Ein Minderwert des im Synallagma Erlangten ist unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen und festzusetzen.

2. Der für § 263 StGB maßgebliche Vermögensschaden muss unmittelbar zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung entstehen. Spätere Entwicklungen berühren den tatbestandlichen Schaden nicht. (Leitsätze der Redaktion)

BGH, Beschluss vom 28.06.2017 - 4 StR 186/17, BeckRS 2017, 119126

Anmerkung von
Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 16/2017 vom 17.08.2017

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Sachverhalt

Als freie Finanzberater warben die beiden Angeklagten für Geldanlagen in ein grundpfandrechtlich abgesichertes Investmentmodell. Den Anlegern gegenüber stellten sie die Geldanlage als sicher und renditeträchtig (18% p.a.) dar. Nachdem sich die Planungen für dieses Ursprungsmodell allerdings zerschlagen hatten, suchten sie nach Alternativen. Mit der I. schlossen die Angeklagten ohne nähere Prüfung der Verhältnisse und ohne Unterrichtung der Anleger über die geänderte Anlagestrategie einen Vertrag über ein „Private Placement“ in Höhe von 665.000 EUR bei einer Vertragslaufzeit von 6 Monaten und einem Zins von mtl. 6%. Eine Anzahlung in Höhe von 55.000 EUR leisteten die Angeklagten aus Anlagegeldern. Als die ursprünglich vereinbarten Sicherheiten von der I. nicht vorgelegt werden konnten, vereinbarten die Angeklagten mit der I. eine Abtretung von Unternehmensaktien gegen Zahlung des Restbetrages von 610.000 EUR. Nach Abschluss der Vereinbarung und Auszahlung der Gelder erhielten die Angeklagten eine erste und einzige Zinszahlung in Höhe von 239.400 EUR bereits nach zwei Wochen. Weitere Zahlungen blieben aus. Nach den Feststellungen nahmen die Angeklagten einen Totalverlust der ihnen anvertrauten Gelder in Kauf, zumal ihnen bewusst war, dass es sich nicht um eine sichere Anlage handelte und sie den Anlegern dies auch nicht offenbart hatten. Sie verdrängten Bedenken in der Absicht, zunächst I. das Investitionskapital zukommen zu lassen, um später in den Genuss der ihnen zugesagten Zinsbeteiligung zu kommen.

Auch in einem zweiten „Private Placement“, bei dem die Angeklagten Anleger mit dem Versprechen geworben hatten, monatliche Zinsen in Höhe von 1,5% für eine Anlage „in Ölgeschäften“ zu erhalten, gingen alle Anlagegelder im Umfang von 785.000 EUR verloren. Die Anleger, die von einer sicheren Geldanlage ausgingen, hatten die Gelder direkt auf ein ausländisches Bankkonto eingezahlt, das als Sicherheit für einen Bankkredit dienen sollte. Das LG verurteilte die Angeklagten wegen schweren Betruges in zwei Fällen.

Rechtliche Wertung

Der BGH hob die Verurteilungen auf, weil die Urteilsgründe in beiden Fällen keine hinreichen Feststellungen zum Vermögensschaden beim Eingehungsbetrug enthielten.

Nach Auffassung des 4. Strafsenats trete ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führe (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgebend sei der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswertes unmittelbar vor und nach der Verfügung. Spätere Entwicklungen könnten den tatbestandlichen Schaden nicht berühren. Wenn der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet werde (Eingehungsbetrug), seien bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte sei geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergebe. Sei der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, komme es bei der Bestimmung des Schadens maßgeblich auf die täuschungs- und irrtumsbedingte Verlustgefahr an, die über das vertraglich zugrunde gelegte Risikomaß hinausgeht. Ein drohender, ungewisser Vermögensabfluss auf der Seite des Vertragsschuldners stelle erst dann einen Schaden dar, wenn der wirtschaftliche Wert des Vermögens bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gesunken sei. Dies sei der Fall, wenn der Geldwert des vom Getäuschten erworbenen Anspruchs infolge der (ihm unbekannten) Verlustgefahr geringer sei als derjenige der eingegangenen (Zahlungs-) Verpflichtung. Dieser Minderwert des im Synallagma Erlangten sei unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen und festzustellen. Bei Abschluss eines Geldanlagegeschäfts liege daher ein Vermögensschaden nur insoweit vor, als die vom Getäuschten eingegangene Verpflichtung wertmäßig die aus der Geldanlage resultierenden Ansprüche einschließlich der zur Zeit des Vertragsschlusses gegebenen Gewinnmöglichkeiten übersteige.

Praxishinweis

Die Entscheidung des 4. Strafsenats zeigt, welche Probleme der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff für den Eingehungsbetrug bei nicht an einem geregelten Markt gehandelten oder vertriebenen Geldanlagen darstellt. Im Grundsatz besteht Einigkeit darüber, dass eine wirtschaftliche Gegenüberstellung des Anlagepreises (eingesetztes Geld des Anlegers) und des objektiven Verkehrswerts des Vertragsgegenstands der Geldanlage (Wertpapier, Edelmetall, Anteilsrecht oÄ) im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erfolgen muss (BGH BeckRS 2014, 6890). Allerdings sind bei einem Anlagegegenstand, dessen Wert nicht durch einen objektiven Marktwert (wie bspw. ein Börsenpreis) zu ermitteln ist, dessen Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beziehen. Sind bspw. Anleger veranlasst worden, das für die Geldanlage bestimmte Geld ohne Absicherung in die Hand eines Treuhänders zu geben, der das Geld nach eigener Wahl einsetzen soll, hat der Anleger zumindest das Risiko eines Totalausfalls vor Augen. Es wird deshalb konkret darauf ankommen, welche Absicherungen seines Geldeinsatzes ihm versprochen worden sind. Etwaige Aufklärungs- und Informationslücken haben keinen ökonomischen Wert an sich (BGH BeckRS 9998, 162713), sondern sie spielen für die Abweichungsprognose eine Rolle, die Einfluss auf das Entscheidungsverhalten des Vermögensinhabers für oder gegen den Vertragsabschluss hat. Ein bekanntes Risiko ist daher auch nicht als Vermögensschaden einzuordnen, vielmehr sind nur die unbekannten Risiken als Abweichung vom Vorstellungsbild täuschungs- und irrtumsbedingt. Zutreffend hat der 4. Strafsenat im entschiedenen Fall daher für die Beurteilung des Anlegerschadens nicht auf den Totalausfall des Kapitals nach einer verstrichenen Zeit abgestellt, sondern auf den Grad der Bekanntheit des Chancen-Risikokonzepts der Geldanlage.

Redaktion beck-aktuell, 18. August 2017.