LSG Baden-Württemberg: Keine Beitragsnachzahlung, um einen Anspruch auf die «Rente ab 63» zu erlangen

SGB VI §§ 38, 197, 236b

Beitragslücken können nach Ablauf der Frist gem. § 197 Abs. 2 SGB VI auch dann nicht nachträglich durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung geschlossen werden, wenn davon der Anspruch auf die „Rente ab 63“ gem. § 236b SGB VI abhängt. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2017 - L 10 R 2182/16, BeckRS 2017, 137760

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 04/2018 vom 02.03.2018

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Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger berechtigt ist, freiwillige Beiträge für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 31.10.2007 nachzuentrichten. Der 1952 geborene Kläger entrichtete nach seiner Schulausbildung ohne Unterbrechung von September 1970 bis Oktober 2006 und wiederum von November 2007 bis Oktober 2015 Pflichtbeiträger zur gesetzlichen Rentenversicherung, mithin insgesamt 44 Jahre. Die Zeit der Beitragslücke von November 2006 bis Oktober 2007 ist im Versicherungsverlauf als „Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug“ ausgewiesen. Der Kläger war ab November 2012 in Altersteilzeit und bezieht ab 01.09.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte gem. §§ 36 SGB VI i.V.m. § 236 SGB VI, und zwar mit Abschlägen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme. Er verlangt von der Beklagten die Umwandlung dieser Altersrente in eine solche für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI und erklärt sich bereit, freiwillige Beiträge für die Lücke, d.h. die Monate November 2006 bis Oktober 2007 zu zahlen. Die Beklagte lehnt ab, da die Frist zur Entrichtung freiwilliger Beiträge gem. § 197 Abs. 2 SGB VI (31.03. des Folgejahres) längst abgelaufen ist.

Auf die Klage verurteilt das SG die beklagte DRV, die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 31.10.2007 zuzulassen. Beim Kläger liege eine besondere Härte i.S.d. § 197 Abs. 3 SGB VI vor, da die Beitragslücke zu einem Verlust der Anwartschaft für die Rente für besonders langjährige Versicherte führe. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger infolge seiner langjährigen Versicherungszeit auch die Voraussetzungen für eine andere Rentenart (Altersrente für langjährig Versicherte) erfüllte. Der Kläger sei auch an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne sein Verschulden gehindert gewesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Es fehle schon an der „besonderen Härte“ i.S.d. § 197 Abs. 3 SGB VI. Soweit der Gesetzgeber als Fall der besonderen Härte beispielhaft den drohenden Verlust der Anwartschaft auf eine Rente genannt habe, mache dies deutlich, dass es um die Vermeidung eines außerordentlich großen versicherungsrechtlichen Schadens gehe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Trotz Nichterfüllung der Wartezeit für eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte (45 Jahre) erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte (35 Jahre) mit Abschlägen.

Entscheidung

Das LSG hebt auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG auf und weist die Klage insgesamt ab. Eine wirksame Beitragsentrichtung kommt nach Ablauf der Frist des §§ 197 Abs. 2 SGB VI nur dann in Betracht, wenn die Entrichtung der Beiträge nachträglich noch zugelassen wird. Dazu bedarf es nach § 197 Abs. 3 SGB VI einer besonderen Härte.

Diese liegt hier nicht vor. Zum Zeitpunkt seiner Antragsstellung im April 2015 drohte nicht der Verlust einer Rentenanwartschaft. Denn die Voraussetzungen für die begehrte Altersrente für besonders langjährig Versicherte (Wartezeit 45 Jahre) erfüllte der Kläger zu keinem Zeitpunkt, was einen drohenden Verlust ausschließt. Die Wartezeit von 35 Jahren für eine Altersrente für langjährig Versicherte war beim Kläger bereits seit Jahren erfüllt.

Im Übrigen hätte der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne weiteres noch erfüllen können. Denn zum Antragszeitpunkt hatte der Kläger von der für diese Altersrente erforderlichen Wartezeit von 45 Jahren bereits nahezu 44 zurückgelegt, so dass er mit Weiterentrichtung von Beiträgen über das zunächst vorgesehene Ende seiner Altersteilzeitarbeit im August 2015 hinaus die entsprechende Wartezeit nach weiteren 12 Monaten erfüllt hätte. Dementsprechend hätte er die Voraussetzungen für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte zum 01.09.2016 (mit 64 Jahren) erfüllen können. Der für den Kläger zum Zeitpunkt seines Nachentrichtungsantrags bestehende Nachteil beschränkte sich damit darauf, dass er zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die nunmehr anstelle der Altersrente für langjährig Versicherte angestrebte Altersrente für besonders langjährig Versicherte zusätzlich 12 Monate anrechenbarer Versicherungszeiten hätte zurücklegen müssen.

Praxishinweis

1. Das Urteil des LSG entspricht in seiner Grundtendenz der Entscheidung des BSG vom 17.08.2017 (BeckRS 2017, 137670), wonach es rechtens und verfassungsgemäß ist, dass Personen, die in den letzten zwei Jahren vor Vollendung des 63. Lebensjahres Arbeitslosengeld erhalten haben, damit nicht den Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte begründen können (vgl. § 51 Abs. 3a Nr. 3 SGB VI). Dies gilt nach der BSG-Entscheidung auch dann, wenn der Rentenbewerber deshalb arbeitslos wurde, weil ihm zum Zwecke der Abwendung einer Insolvenz gekündigt wurde. Das BSG unterzieht § 51 SGB VI insoweit einer umfassenden verfassungsrechtlichen Überprüfung, auch unter dem Aspekt einer „unzulässigen Typisierung“. Das BSG bestätigt mit diesem Urteil die vom LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 02.03.2016 (FD-SozVR 2016, 37760) vertretene Auffassung.

2. Die Rechtsprechung interpretiert die der DRV zustehende Befugnis, Versicherte ausnahmsweise zur Beitragsnachzahlung zuzulassen, restriktiv, vergleiche dazu Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, § 197 SGB VI, Anm. 5. Das LSG prüft gleichsam hilfsweise, ob hier auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht kommt und verneint dies.

3. Die Klage setzt zwingend voraus, dass der Kläger gegen den Bescheid über die vorgezogene Altersrente ab 01.09.2015 Widerspruch eingelegt hat, da nach bindender Bewilligung einer Altersrente in eine andere Rente wegen Alters nicht gewechselt werden kann, § 34 Abs. 4 SGB VI.

Redaktion beck-aktuell, 7. März 2018.