OLG Stuttgart: Auslegung einer Pflichtteilsstrafklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung

BGB §§ 1938, 2180, 2303, 2307

Enthält ein Erbvertrag eine Pflichtteilsstrafklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung, so kann ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge führen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.08.2017 - 8 W 336/15, BeckRS 2017, 127230

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 12/2017 vom 19.12.2017

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Sachverhalt

Aus der Ehe der Erblasserin mit ihrem vorverstorbenen Ehemann sind 4 Abkömmlinge hervorgegangen, nämlich die Beteiligten zu 1 und 2 sowie die bereits früh ohne Hinterlassung von Abkömmlingen verstorbenen weiteren Geschwister.

Die beiden hatten 1951 vor dem Bezirksnotariat Wildenstein einen Erbvertrag mit folgenden Verfügungen geschlossen:

„Wir setzen uns gegenseitig für alle Fälle als Alleinerben ein. …

Der Zuerststerbende wendet jedem Abkömmling ein Geldvermächtnis in Höhe des Werts des gesetzlichen Erbteils unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflicht zu. Das Vermächtnis fällt sofort an, es ist jedoch erst mit dem Tode des Überlebenden zahlungsfällig und bis dahin unverzinslich. …

Verlangt ein Abkömmling auf den Tod des Zuerststerbenden unter Ausschlagung des Vermächtnisses den Pflichtteil, dann ist er und seine Abkömmlinge von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen. Diese Verfügung kann der Überlebende einseitig widerrufen. Sie gilt nur, wenn neben dem das Vermächtnis ausschlagenden Abkömmling weitere Abkömmlinge vorhanden sind.“

Der Beteiligte zu 1 hat nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach er und die Beteiligte zu 2 zu je 1/2 deren Erben geworden sind.

Die hierzu angehörte Beteiligte zu 2 hat durch Schreiben an das Nachlassgericht vom 01.12.2014 mitgeteilt, sie habe Einwendungen gegen den beantragten Erbschein. Sie stelle „gemäß der Vermächtnisregelung nunmehr den Antrag auf Feststellung und Auszahlung des mir zustehenden Pflichterbteils“. Dem Erbscheinsantrag könne „unter Hinzufügung des Absatzes, dass der Pflichterbteil gegenüber meinem verstorbenen Vater nunmehr gegenüber dem Hofübernehmer … geltend gemacht wird“, stattgegeben werden.

 Der Beteiligte zu 1 hat daraufhin Pflichtteilsansprüche aus dem Erbfall des Vaters bestritten. Das Verlangen erfülle darüber hinaus die Pflichtteilsklausel des Erbvertrags und bewirke dadurch den Ausschluss der Beteiligten zu 2 von der Schlusserbfolge nach der Erblasserin. Die Beteiligte zu 2 habe durch ihre „Einwendungen“ somit ihre Stellung als Schlusserbin nach der Mutter verloren. Bereits zu Lebzeiten der Erblasserin habe die Beteiligte zu 2 versucht, einen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch aus dem Erbfall des Vaters geltend zu machen. Der Beteiligte zu 1 hat deshalb in Abänderung seines ursprünglichen Erbscheinantrages zuletzt die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist.

Die Beteiligte zu 2 hat daraufhin den Antrag auf väterlichen Pflichterbteil förmlich zurückgezogen.

Das Notariat Fichtenau hat die erforderlichen Tatsachen für die Erteilung eines Erbscheins für festgestellt erachtet, wonach der Beteiligte zu 1 Alleinerbe der Erblasserin geworden ist. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2 mit ihrer Beschwerde. Das Notariat hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.

Rechtliche Wertung

Nach Auffassung des Senats enthält der Erbvertrag der Eltern der beiden Beteiligten keine Schlusserbeneinsetzung. Deshalb enthalte die Pflichtteilsstrafklausel des Erbvertrages keine auflösende Bedingung der Erbeinsetzung durch den Überlebenden. Vielmehr handele es sich um eine - aufschiebend bedingte - Enterbung gemäß § 1938 BGB.

Den Beschluss des Notariats hält der Senat für rechtswidrig, weil die Beteiligte zu 2 das Vermächtnis zu Lebzeiten der Erblasserin nicht wirksam ausgeschlagen habe und darüber hinaus die aufschiebende Bedingung für die Enterbung gemäß der Pflichtteilsstrafklausel nicht eingetreten sei.

In der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs sei ungeachtet der Regelung des § 2307 BGB nicht zwangsläufig eine Ausschlagung des Vermächtnisses zu sehen, zumal die Beteiligte zu 2 „praktisch alles gleichzeitig geltend machen“ wollte. Ausschlaggebend ist für den Senat die Überlegung, dass die gesetzliche Erbfolge mit dem Eintritt des Erbfalls festliege und deshalb nicht von Ereignissen nach dem Erbfall abhängen könne, deren Wirkungen nicht - wie bei der Ausschlagung oder der Feststellung der Erbunwürdigkeit - auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückzubeziehen sind (Staudinger/Otte, BGB, Neubearbeitung 2017, § 1938 Rn. 6a). Eine Enterbung könne nur von einem vor dem Erbfall eintretenden Ereignis abhängig gemacht werden. im Übrigen sei die Enterbung bedingungs- und befristungsfeindlich. Deshalb habe ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden unter Ausschlagung des Vermächtnisses nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss von der hier zum Tragen kommenden gesetzlichen Erbfolge führen können. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine solche Klausel sicherstellen solle, dem Überlebenden zu dessen Lebzeiten den Nachlass ungeschmälert und ungestört zu erhalten.

Praxishinweis

Viel Begründungsaufwand hat der Senat des OLG Stuttgart in dieser Entscheidung nicht betrieben. Kurz und bündig stellt er fest, dass ein Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge (Enterbung) nur in einer Weise bedingt sein könne, dass das entsprechende ungewisse Ereignis vor dem Erbfall stattfindet. Von Ereignissen nach dem Erbfall könne die Enterbung dagegen nicht abhängig gemacht werden, es sei denn, sie wirkten wie Ausschlagung und Erbunwürdigkeit auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück.

Diese Begründung erscheint inkonsequent. Wenn es Ereignisse gibt, die auch nach Auffassung des Senats mit Rückwirkung zur nachträglichen Änderung der beim Erbfall eingetretenen gesetzlichen Erbfolge führen können, so hätte er doch mindestens erklären müssen, warum dies zwar bspw. bei der Ausschlagung, nicht aber beim Verlangen des Pflichtteils möglich sein soll.

Entgegen der vom Senat zitierten Stimme in der Literatur wird deshalb sehr wohl vertreten, dass die Enterbung jeder Form der Bedingung zugänglich sei (MüKoBGB/Leipold, 7. Auflage 2017, § 1938, Rn. 3; BeckOKBGB/Müller-Christmann, 43. Ed. 15.6.2017, BGB § 1938, Rn. 3-4; jurisPK-BGB/M. Schmidt, § 1938, Rn. 10). Im Falle einer aufschiebend bedingten Enterbung kann dabei u.U. eine konstruktive Nacherbfolge gemäß § 2104 BGB in Erwägung zu ziehen sein. Es spricht daher viel dafür, auch eine durch ein nach dem Erbfall eintretendes Ereignis aufschiebend bedingte Enterbung grundsätzlich anzuerkennen.

Trotzdem dürfte der Senat im Ergebnis richtig entschieden haben. Im Wege der ergänzenden Auslegung des Erbvertrags gemäß §§ 133, 157, 2084 BGB wird man bei einer Pflichtteilsstrafklausel selbst dann, wenn eine Verfügung von Todes wegen (Erbvertrag, gemeinschaftliches Testament) lediglich eine gegenseitige Erbeinsetzung - also keine auflösend bedingte Schlusserbeneinsetzung – enthält, zu dem Ergebnis kommen müssen, dass bei einer derart atypischen Pflichtteilssanktionsklausel das Geltendmachen des Anspruchs zu Lebzeiten des überlebenden Teils zu erfolgen hat. Mit Recht weist der Senat nämlich darauf hin, dass es die zentrale Funktion einer solchen Bestimmung ist, dem Überlebenden den Nachlass ungeschmälert zu erhalten. Im vorliegenden Fall wird dieses Argument dadurch unterstrichen, dass die Fälligkeit des Vermächtnisses eine entsprechende Absicht der Vertragsbeteiligten erkennen lässt. Erfolgt die Pflichtteilsforderung erst nach dem Tod des zweiten Vertragsbeteiligten, so macht die dadurch verursachte Enterbung unter diesem Aspekt keinen Sinn mehr.

Wegen dieser - zeitlich begrenzten - Sanktionsabsicht muss man mit dem Senat des OLG Stuttgart zu dem Ergebnis kommen, dass die Pflichtteilsforderung der Beteiligten zu 2 nicht mehr tatbestandsmäßig war, weil sie nach dem Tod der (zu schützenden) Mutter erfolgte.

Redaktion beck-aktuell, 19. Dezember 2017.