BAG: Für die Eingliederung in tarifliche Lohngruppen sind allgemeine Tätigkeitsmerkmale entscheidend

BetrVG §§ 99 II 1, 87 I Nr. 10

Eine einheitliche Tätigkeit im Warenservice kann einheitlich „körperlich schwer“ und nicht aufzuspalten sein, auch wenn nur 4,7 % der Tätigkeiten eine besondere Greif- oder Hebebewegung erfordern.

BAG, Beschluss vom 23.01.2019 - 4 ABR 56/17 (LAG Hamm), BeckRS 2019, 5455

Anmerkung von
RAin Dr. Katrin Haußmann, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 17/2019 vom 02.05.2019

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Sachverhalt

Im Einzelhandelsbetrieb der Arbeitgeberin waren infolge einer Betriebsänderung Tätigkeiten neu einzugruppieren. Dies betraf das sog. Warenserviceteam. Die Arbeitnehmer im Warenservice hatten Arbeiten der Warenvorbereitung, Warenverräumung, Warenpflege, Bestandsdatenpflege, Retourenabwicklung, Umlagerung und ande­re Tätigkeiten zu erledigen. Anzuliefernde Waren wurden von einem Logistik-Dienstleister außerhalb des Betriebs vorbereitet und dann in der Warenannahme der Arbeitgeberin angeliefert. Der Arbeitergeber beantragte die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung dieser Tätigkeiten nach dem Manteltarifvertrag für den Einzel­handel in Nordrhein-Westfalen. Der Arbeitgeber hielt die Lohngruppe II Lohnstaffel a für anwendbar. Der Betriebsrat widersprach der Eingruppierung und verwies auf die Anwendbarkeit der Lohnstaffel b, die in der Regel körperlich schweres Arbeiten erfordert und als Beispiel für Arbeitsplätze in der Lohnstaffel b u.a. Auszeichner und Kommissionierer nannte. Die Arbeitgeberin hielt diese Lohnstaffel nicht für anwendbar, nachdem der Umfang einzelner Tätigkeiten ausgewertet war und der Umfang körperlich schwerer Arbeiten verhältnismäßig gering war. Nur 4,7 % der Tätigkeiten erforderten Zwangshaltungen, die sich als körperlich schwer bezeichnen ließen. Das Arbeitsgericht wies die Anträge der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung ab. Das Landesarbeitsgericht gab der Arbeitgeberin recht.

Entscheidung: Die Tätigkeiten sind eine einheitliche Gesamttätigkeit, die sich nicht „atomisieren“ lassen

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und bestätigte mit seiner abschließenden Entscheidung die Rechtsauffassung des Betriebsrats. Es prüfte die formellen Voraussetzungen des Zustimmungsersetzungsverfahrens und sah darin keinen Fehler. In einem Zwischenschritt stellte es auch fest, dass ein Interessenausgleich, der anlässlich der Betriebsänderung verabredet worden war, den Anträgen der Arbeitgeberin nicht entgegenstand und in diesen Fällen keine Eingruppierung in eine bestimmte Lohnstaffel vorgab.

Das BAG bestätigt die Rechtsmeinung des Betriebsrats, wonach auf die Tätigkeiten die Lohnstaffel für körperlich schwere Arbeiten anzuwenden war. Es bewertete die Tätigkeiten als einheitliche Gesamttätigkeit, die sich nicht „atomisieren“ ließe. Auch wenn keines der in der Lohnstaffel b als Anwendungsbeispiel ausdrücklich genannten Beispiele hier anwendbar sei und die Mitarbeiter im Warenserviceteam nicht unter den Begriff der „Auszeichner“ im Tarifsinn zu fassen seien, sei dennoch die Lohngruppe II Lohnstaffel b im Ergebnis anwendbar. Maßgeblich seien die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des Lohntarifvertrages. Die Tätigkeiten seien in einer Gesamtschau als „körperlich schwere Arbeiten“ zu verstehen. Dies sei anzunehmen, wenn sie mühsam, anstrengend, hart und ermüdend seien. Dies gelte unabhängig davon, ob die Belastungen im Umfang denjenigen entsprächen, die in anderen Entscheidungen zu derselben Frage bewertet worden waren. Insbesondere in einer Entscheidung (BAG, BeckRS 2000, 30787051) seien keine festen quantitativen Maßstäbe gesetzt worden. Auch wenn der Anteil von Greif- und Hebevorgängen prozentual hier niedrig sei, könne daraus noch nicht geschlossen werden, dass sie nicht regelmäßig anfielen. In der Warenverräumung und der Retourenbearbeitung fielen Greif- und Hebevorgänge regelmäßig an. Sie seien körperlich belastend. Für eine andere Bewertung könne auch nicht auf arbeitsschutzrechtliche Grundsätze zurückgegriffen werden.

Praxishinweis

Die Entscheidung setzt sich mit Details der Tarifauslegung eines bestimmten Tarifvertragswerks auseinander. Die Herangehensweise des Gerichts kann allerdings auch die Bewertung anderer Fälle beeinflussen. Diejenigen, die tarifliche oder betriebliche Vergütungsregelungen schaffen, können anhand dieses Auslegungsbeispiels sehen, welche Klarstellung im Text notwendig sein kann. Besonders deutlich tritt im vorliegenden Fall hervor, dass „in der Regel“ hier nicht mit „überwiegend in einer Gesamtschau“ gleichzusetzen ist. Wenn der Tarifvertrag selbst in seinem Wortlaut nicht auch quantitative Tatbestandsmerkmale formuliert, kann „in der Regel“ auch so ausgelegt werden wie hier, d.h. „in sehr geringem Umfang, aber dies immer wieder“. In der betrieblichen Praxis ist es sicher eher verbreitet, in einer Gesamtschau auch die Häufigkeit oder quantitative Bedeutung bei der Eingruppierung zu gewichten.

Redaktion beck-aktuell, 6. Mai 2019.