BAG: Kein Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats bei Änderung von Fragen einer konzernweit elektronisch durchgeführten freiwilligen Mitarbeiterbefragung

BetrVG §§ 58 I, 87 I Nrn. 1, 6,7, 94 I, II; ArbSchG §§ 3, 5; ZPO §§ 253 II Nr. 2, 256 I

1. Führt eine Konzernobergesellschaft aufgrund eines einheitlichen Fragebogens eine jährliche Mitarbeiterbefragung durch, ist, soweit die Maßnahme mitbestimmungspflichtig ist, der Konzernbetriebsrat zuständig.

2. Wird eine solche Mitarbeiterbefragung mittels einer technischen Plattform durchgeführt, ist die reine Modifikation der Fragen keine Änderung dieser technischen Einrichtung, die nach § 87 I Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig wäre. Sie führt auch weder nach § 87 I Nr. 1 oder Nr. 7 BetrVG, noch nach § 94 BetrVG zu einem Mitbestimmungsrecht.

3. Auch wenn der Antragsteller in seinem auf Mitbestimmung gerichteten Antrag eine Rechtsnorm nennt, kann das Gericht das Mitbestimmungsrecht auch auf Basis weiterer Rechtsnormen prüfen.

BAG, Beschluss vom 11.12.2018 - 1 ABR 13/17 (LAG Köln), BeckRS 2018, 40730

Anmerkung von
RA Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 15/2019 vom 18.04.2019

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Sachverhalt

Die Bet. zu 1), Obergesellschaft eines Logistik-Konzerns, befragt jährlich konzernweit alle Mitarbeiter zu verschiedenen Themen, u.a. zur subjektiven Bewertung ihrer direkten Vorgesetzten (sog. „Aktive Führung“). Die Befragung wird elektronisch mittels einer technischen Plattform durchgeführt. Der Konzernbetriebsrat (KBR)  Bet. zu 2), hatte der Einführung zugestimmt.

Anlässlich der im Jahr 2015 durchgeführten Mitarbeiterbefragung änderte die Bet. zu 1) den Fragenkatalog zur „Aktiven Führung“. Der KBR hält die Änderung des Fragenkatalogs für mitbestimmungspflichtig. Er hat beantragt, ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 6 BetrVG und § 94 BetrVG festzustellen. Das ArbG hat es nur nach § 87 I Nr. 6 BetrVG bejaht. Auf Rechtsbeschwerde nur der Bet. zu 1) hat das LAG es verneint.

Entscheidung: Die Modifikation der Fragen in einer elektronisch durchgeführten Mitarbeiterbefragung berührt die vereinbarte Ausgestaltung der technischen Plattform nicht

Die Rechtsbeschwerde des KBR hatte keinen Erfolg. Er hat kein Mitbestimmungsrecht im Zusammenhang mit der Änderung des Fragenkatalogs der konzernweiten elektronischen Mitarbeiterbefragung.

Führe eine Konzernobergesellschaft eine konzernweite Mitarbeiterbefragung auf Grundlage eines konzerneinheitlichen Fragebogens in elektronischer Form durch, sei der Konzernbetriebsrat zuständig (§ 58 I BetrVG). Eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme liege – so das BAG – aber nicht vor. Die Modifikation der Fragen in einer elektronisch durchgeführten Mitarbeiterbefragung berühre die vereinbarte Ausgestaltung der technischen Plattform nicht. Sie führe dementsprechend nicht zu einer Änderung der bereits –ohne Festlegung der Fragen - mitbestimmten technischen Einrichtung, die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 6 BetrVG begründen könnte.

Darüber hinaus seien weitere Mitbestimmungstatbestände zu prüfen, auch wenn der KBR dies nicht beantragt habe. Der Prüfungsumfang werde nicht dadurch beschränkt, dass der KBR nur bestimmte Rechtsnormen in seinem Antrag genannt hat, oder dass die Entscheidung des ArbG, mit der ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 BetrVG verneint wurde, insoweit nicht angegriffen wurde. Dass der Antragsteller sein Mitbestimmungsbegehren im Antrag auf eine bestimmte Rechtsnorm beziehe, stelle vielmehr nur eine überflüssige rechtliche Wertung ohne begrenzende Wirkung dar. Bei einer durch den aufgezeigten Lebenssachverhalt beschriebenen Maßnahme, für die ein Mitbestimmungsrecht reklamiert werde und bei der diverse gesetzliche Mitbestimmungstatbestände in Frage kämen, handele es sich um keine objektive Anspruchshäufung, sondern allenfalls um Anspruchskonkurrenz.

Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG bestehe jedoch nicht, weil die Teilnahme freiwillig und die Teilnehmer anonymisiert seien, und nicht das betriebliche Verhalten der Arbeitnehmer untereinander gestaltet werde. Die Änderung stelle auch weder eine Gefährdungsbeurteilung, § 87 I Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 5 ArbSchG noch eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes, § 87 I Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 ArbSchG, dar. Auch § 94 I BetrVG sei nicht einschlägig, da die Teilnahme freiwillig sei, und § 94 II BetrVG nicht, weil keine abstrakt-generellen Beurteilungsmerkmale und -kriterien aufgestellt werden.

Praxishinweis

Der Senat führt seine bisherige Rechtsprechung zur Reichweite des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 I Nr. 7 BetrVG i.V.m. §§ 3, 5 ArbSchG fort (BAG, FD-ArbR 2018, 402826 m. Anm. Romero). Zu Recht verneint er auch ein Mitbestimmungsrecht, wenn die technische Einrichtung bereits mitbestimmt wurde, ohne dass die Fragen dabei festgelegt wurden.

Redaktion beck-aktuell, 25. April 2019.