BAG: Eine den Mindestlohn umfassende arbeitsvertragliche Ausschlussklausel im Formulararbeitsvertrag ist unwirksam

MiLoG §§ 1 I, II, 3 S. 1; BGB §§ 305 I 1, 305c II, 306 I, II, 307 I 2, 310 III Nr. 2, 310 IV 2; BUrlG § 7 IV

1. Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Ausschlussklausel, die ohne Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den gesetzlich garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot und ist daher insgesamt unwirksam.

2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen oder derart geändert wurde, dass die Klausel erneut Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien war.

BAG, Urteil vom 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 (LAG Hamburg), BeckRS 2018, 23384

Anmerkung von
RA Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 01/2019 vom 10.01.2019

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Sachverhalt

Die Entscheidung war auf Basis der Pressemitteilung bereits Gegenstand der Fachdienstanmerkung (Lingemann, FD-ArbR 2018, 410927). Zum Sachverhalt s. dort; nunmehr liegt das Urteil mit Gründen vor.

Entscheidung: Klausel ist insgesamt unwirksam

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Ihm stand gem. § 7 IV BUrlG ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016 zu.  

Die vertragliche Ausschlussfrist stehe nicht entgegen. Sie erfasse alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den Mindestlohnanspruch. Dieser könne jedoch gem. § 3 S. 1 MiLoG vertraglich nicht beschränkt werden. Gleichwohl suggeriere die Klausel, dass er innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht werden müsse. Sie erschwere somit seine Durchsetzung und sei daher intransparent, § 307 I 2 BGB.

Allerdings komme es für die Transparenzprüfung ausschließlich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Eine transparente Klausel werde nicht unwirksam, wenn spätere Gesetzesänderungen zur Intransparenz führen. Daher verstoße die Ausschlussklausel gegen § 307 I 2, wenn sie unter Geltung des MiLoG, also nach dem 31.12.2014, vereinbart wurde. Dem stehe es gleich, wenn sie - wie hier - bei Änderung des Vertrages nach diesem Zeitpunkt erneut „Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien war“. 

Die Klausel sei insgesamt – und daher auch hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsanspruches – unwirksam:

Sie differenziere nicht zwischen dem Mindestlohnanspruch und sonstigen Ansprüchen und sei daher nicht iSd. Blue Pencil Tests teilbar. Auch eine geltungserhaltende Reduktion oder ergänzende Vertragsauslegung scheide aus.

Dem stehe auch nicht § 3 S. 1 MiLoG entgegen, wonach den Mindestlohn beschränkende Regelungen „insoweit“ unwirksam sind. § 3 S. 1 MiLoG treffe keine Aussage zur Transparenz von Ausschlussfristen und sei daher nicht spezieller als §§ 306 ff. BGB. Auch regele § 3 S. 1 MiLoG nur die Unwirksamkeit der Klausel bezüglich des Mindestlohnanspruches. Daraus folge aber nicht im Umkehrschluss die Wirksamkeit der Klausel im Übrigen, sonst hätte der Gesetzgeber in § 3 S. 1 MiLoG formuliert „nur insoweit unwirksam“. Ferner würde eine geltungserhaltende Reduktion dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Mindestlohnanspruches erschweren und liefe somit dem Zweck der Regelung, den Arbeitnehmer vor dem Entzug des Mindestlohnanspruches zu schützen, entgegen.

Mit der Herausnahme des Mindestlohnes werde der Klauselverwender auch nicht überfordert. Es reiche bereits ein Hinweis darauf, dass die vertragliche Ausschlussfrist nicht für Ansprüche des Arbeitnehmers gilt, die kraft Gesetzes der vereinbarten Ausschlussfrist entzogen sind.

Ob vorliegend auch die fehlende Ausnahme anderer unabdingbarer Ansprüche, (bspw. § 9 AEntG, § 77 IV 4 BetrVG), die Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 I 2 BGB zur Folge habe, ließ das BAG offen.

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung steht fest, dass jedenfalls der Mindestlohn bei Ausschlussklauseln ausgenommen werden muss. Erfreulicherweise gibt der Senat auch einen Hinweis, wie eine wirksame Herausnahme formuliert sein kann (Verweist auf Roloff, FS Willemsen 2018, S. 416.) Dort schlägt Roloff vor: „Die Ausschlussfrist gilt nicht: (1) für die Haftung aufgrund Vorsatzes (2) für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit oder (3) für Ansprüche des Arbeitnehmers, die kraft Gesetzes dieser Ausschlussfrist entzogen sind (zB. AEntG, MiLoG, BetrVG, TVG).

Die Entscheidung spricht dafür, dass eine solche Herausnahme ausreicht.

Redaktion beck-aktuell, 15. Januar 2019.