BAG: Erwerb von Versorgungsbausteinen nur bis zum 60. Lebensjahr ist keine Diskriminierung wegen des Alters

AGG § 10

Gewährt der Arbeitgeber Versorgungsbausteine nur für die Zeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres, kann dies nach § 10 AGG gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein Versorgungsprogram für Führungskräfte handelt, welches insgesamt auf die Vollendung des 60. Lebensjahres zugeschnitten ist und tatsächlich der überwiegende Teil der betroffenen Personengruppe mit Vollendung des 60. Lebensjahres ausscheidet.

BAG, Urteil vom 26.04.2018 - 3 AZR 19/17 (LAG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2018, 12893

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 29/2018 vom 26.07.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der im Mai 1948 geborene Kläger war bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt; er gehörte dem Kreis der sogenannten „leitenden Führungskräfte“ an. Die Versorgungsordnung für die leitenden Führungskräfte sah vor, dass das Unternehmen jährlich in der Zeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres einen Versorgungsbaustein bereitstellte. Die Verzinsung der Versorgungsbausteine war auf die Zeit bis zum 60. Lebensjahr begrenzt. Bei Ausscheiden zwischen Vollendung des 60. und des 65. Lebensjahres fand keine ratierliche Kürzung statt.

Die Beklagte verfolgte mit der Ausgestaltung der Versorgungsordnung u.a. das Ziel, einen Anreiz für das vorzeitige Ausscheiden der leitenden Führungskräfte vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze zu setzen. Tatsächlich schied auch der weit überwiegende Teil der oberen Führungskräfte deutlich vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus.

Der Kläger hielt die Ausgestaltung des Versorgungssystems für altersdiskriminierend und klagte auf Bereitstellung von Versorgungsbausteinen auch für die Zeit zwischen seinem 60. und 65. Lebensjahr.

Rechtliche Würdigung

Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Zwar stellt nach Auffassung des BAG die Begrenzung der Bereitstellung von Versorgungsbausteinen auf die Zeit bis zum 60. Lebensjahr eine unmittelbare Altersdiskriminierung dar. Es könne auch offen bleiben, ob es sich hier um eine „Altersgrenze“ i.S.v. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG handele. Denn durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ habe der Gesetzgeber klargestellt, dass Altersgrenzen in betrieblichen Versorgungssystemen nicht nur nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt sein könnten, sondern auch aufgrund allgemeiner legitimer Ziele i.S.d. § 10 Satz 1 AGG. Ein legitimes Ziel sei die Begrenzung und Kalkulierbarkeit der Belastungen aus der betrieblichen Altersversorgung, denn das fördere die Verbreitung betrieblicher Altersversorgung insgesamt. Es sei auch nicht ausdrücklich erforderlich, dieses Ziel in der Versorgungsordnung zu benennen.

Unerheblich sei, ob der Arbeitgeber parallel dazu auch das Ziel verfolge, einen Anreiz für ein vorzeitiges Ausscheiden einer bestimmten Personengruppe aus dem Erwerbsleben zu setzen. Ein solcher zusätzlicher Zweck, der möglicherweise nicht durch § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt sei, zerstöre eine anderweitige Rechtfertigung nicht.

Bei der Ausgestaltung der Versorgungsordnung stehe dem Arbeitgeber ein „von den Gerichten zu respektierender Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu“, wobei jedoch die berechtigten Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht außer Acht gelassen werden dürften. Das sei hier nicht der Fall, da der Arbeitgeber die gesamte Versorgungsordnung auf ein Ausscheiden mit 60 ausgerichtet habe (Verzinsung, Verzicht auf ratierliche Kürzung) und tatsächlich auch ein Großteil der betroffenen Führungskräfte mit 60 ausscheide.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist zu begrüßen, nicht nur weil das Ergebnis überzeugt, sondern weil die Entscheidung insbesondere den Ermessensspielraum des Arbeitgebers bei der Ausgestaltung von Versorgungssystemen herausstreicht.

Allerdings verdeutlicht das Urteil wieder einmal, dass der Arbeitgeber im Bereich der betrieblichen Altersversorgung keineswegs regeln darf, was er will. Gerade in diesem Bereich stellen sich diffizile Gleichbehandlungs- und Diskriminierungsfragen. Es ist deshalb unerlässlich, bei der Gestaltung von Versorgungssystemen genau abzuwägen, welche Ziele mit welcher Regelung tatsächlich verfolgt werden sollen, und dann den gewählten Weg auf die Geeignetheit, Angemessenheit und Erforderlichkeit kritisch zu prüfen. In der Praxis geschieht dies immer noch viel zu selten.

Redaktion beck-aktuell, 31. Juli 2018.