BAG: Einem freigestellten Betriebsrat ist Arbeitsentgelt fortzuzahlen, orientiert an der Arbeitszeit seiner hypothetischen Arbeitstätigkeit

BetrVG §§ 37 II, 78; BGB § 611

Ein Mitglied des Betriebsrats muss sich in dem zeitlichen Umfang für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung halten, in dem es ohne die Freistellung nach dem Arbeitszeitsystem zu arbeiten hätte.

BAG, Urteil vom 25.10.2017 - 7 AZR 731/15 (LAG Sachsen), BeckRS 2017, 143412

Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Katrin Haußmann, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 13/2018 vom 5.4.2018

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Sachverhalt

Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied hatte in diesem Verfahren die Feststellung beantragt, dass ihm sein monatliches Grundgehalt vollständig zu zahlen sei, wenn er durchschnittlich 36,75 Wochenstunden an Betriebsratstätigkeit geleistet hätte. Ohne die Freistellung hätte der Kläger im vollkontinuierlichen Schichtsystem in der Produktion oder produktionsunterstützenden Bereichen arbeitet. Dort lag die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlich bei 40 Stunden pro Woche. In betrieblichen Vereinbarungen über das Schichtsystem wurde in den produktionsunterstützenden Bereichen mit einem 14-tägigen Schichtzyklus eine durchschnittliche wöchentliche Stundenzahl von 36,75 erreicht. Die Differenz von 3,25 Stunden war für Trainings und Besprechungen vorbehalten. Zusätzliche Arbeitsschichten konnten zusätzliche Vergütungen auslösen. Der Kläger meinte, er müsse nicht durchschnittlich 40, sondern 36,75 Stunden Betriebsratstätigkeit in der Woche erbringen, um die Fortzahlung seines Grundgehaltes während der Freistellung zu erreichen. Der Arbeitgeber lehnte den Anspruch ab mit der Begründung, dass auch nicht freigestellte Arbeitnehmer sich 40 Stunden in der Woche zur Verfügung halten müssten. Die Differenz von 3,25 Stunden stünde nicht zur Verfügung der Arbeitnehmer.

Nachdem das ArbG die Klage abgewiesen hatte, hatte der Kläger mit seiner Berufung in der 2. Instanz Erfolg.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten war begründet und führte zur Wiederherstellung der die Klage abweisenden Entscheidung des ArbG.

Das Gericht orientiert seine Entscheidung an § 78 S.2  BetrVG, der sowohl die Begünstigung als auch die Benachteiligung von Betriebsratsmit­gliedern verbietet. Die Regelung werde durch § 37 I BetrAVG ergänzt, wonach das Betriebsratsamt ein unentgeltliches Ehrenamt sei. Nach dem Lohnausfallprinzip sei darauf abzustellen, wie der Kläger ohne die Freistellung als Mitglied des Betriebsrates stünde. In diesem Fall hätte er sich 40 Stunden zur Verfügung halten müssen, auch wenn der Arbeitgeber regelmäßig nur 36,75 Stunden abriefe, bliebe es bei der 40-stündigen vertraglichen Pflicht, sich bereit zu halten.

Praxishinweis

Die Besonderheiten dieses Falles lagen darin, dass für Arbeitnehmer eine differenzierte Regelung zum Umfang ihrer Arbeitspflicht und der Möglichkeit, gesonderte Vergütungen zu verdienen, bestand. Das Schichtsystem verpflichtete zur Arbeitsleistung im Schichtbetrieb für 36,75 Stunden wöchentlich. Es verpflichtete für weitere 3,25 Wochenstunden die Arbeitnehmer zum Erscheinen nur auf Anforderung des Arbeitgebers. Diese zusätzlichen Stunden hatten eine besondere Bestimmung, die jedoch auch den Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zuzuordnen war, insbesondere Besprechungen oder Vertretungen. Nur die darüber hinaus zu leistenden Schichten konnten eine zusätzliche Vergütung auslösen. Das Gericht hatte hier also auf einen sehr konkreten Sachverhalt bezogen die Aufgabe, die Parallele für ein freigestelltes Betriebsratsmitglied zu definieren. Das Gericht knüpft im Ergebnis an durchschnittlich 40 Stunden pro Woche an, weil in diesem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer selbst nicht über seine Zeit disponieren kann und auch gegen seinen Willen herangezogen werden kann. Das Gericht stellt insofern keine neuen Rechtssätze zu § 37 II BetrVG auf, sondern stellt nur klar, dass stets darauf abzustellen ist, welche Regeln zur Dauer und zur Lage der Arbeitszeit ein Mitglied des Betriebsrates einzuhalten hätte, wenn es nicht freigestellt wäre. Dies ist ein Grundsatz, der in der Praxis gelegentlich aus den Augen verloren wird, und bleibt zugleich eine schwer zu beantwortende Frage, je länger ein Betriebsratsmitglied nach § 38 BetrVG vollständig von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt ist.

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2018.