BAG: Bestandteile des gesetzlichen Mindestlohns

MiLoG §§ 1 I, II, 3, 20; BGB § 362 I

Die Auslegung des Mindestlohngesetzes hat die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerentsenderecht zu beachten. Danach sind alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Bestandteile des Mindestlohns (EuGH, ArbRAktuell 2015, 125).

BAG, Urteil vom 21.12.2016 - 5 AZR 374/16 (LAG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2016, 115121

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2017 vom 23.03.2017

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Beklagte beschäftigte die Klägerin seit 2006 als Telefonistin im Schichtdienst mit acht Stunden täglich und einem Bruttomonatsgehalt von 1.280 EUR. Zwischen der Beklagten und ver.di besteht ein Vergütungstarifvertrag, welcher für Telefonistinnen bei nachgewiesener Befähigung und Fertigkeit der selbständigen Funkkanalbedienung das Bruttogrundgehalt um 30,68 EUR je Kanal, maximal aber 122,71 EUR erhöht, unabhängig von der tatsächlichen Bedienung dieses Kanals. Weiterhin erhält jeder Angestellte nach einer Betriebsvereinbarung Leistungsprämien (LP1 und LP 2), die nach verschiedenen Kriterien ermittelt werden. Die Beklagte zahlte der Klägerin in den Monaten Januar bis Juli 2015 jeweils neben dem Bruttogrundgehalt von.1.280 EUR Wechselschichtzulagen i.H.v. 243,75 EUR brutto, Funkprämien i.H.v. 122,71 EUR brutto, sowie zwei Leistungsprämien i.H.v. 81,81 EUR brutto (LP1) und 51,13 EUR brutto (LP2).

Die Klägerin erhob Zahlungsklage. Sie meint, die Beklagte erfüllte nicht den gesetzlichen Mindestlohn. Bei durchschnittlich 182,5 Stunden im Monat müsse der monatliche Bruttogrundlohn 1.551,25 EUR betragen. Die Zulagen und Prämien würden den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfüllen. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG gab der Berufung statt.

Entscheidung

Das BAG hält die Revision der Beklagten für begründet. Gegenstand der Entscheidung ist die Frage, welche Entgeltbestandteile zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs führen. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht gem. § 1 II i.V.m. §§ 20, 1 I MiLoG mit jeder geleisteten Arbeitsstunde.  Berechnungszeitraum ist ein Monat. Der Arbeitgeber erfüllt diesen, wenn die für einen Kalendermonat geleistete Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50EUR  ergibt. Bei der Auslegung, welche Entgeltbestandteile unter den Mindestlohnbegriff fallen und also zur Erfüllung des Anspruchs führen, legt das BAG die Entscheidung des EuGH (ArbRAktuell 2015, 125 m. Anm. Chwalisz) zur Arbeitnehmerentsendung zugrunde. Danach sind alle zwingenden und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für eine Arbeitsleistung Bestandteil des Mindestlohns. Das BAG argumentiert weiter mit dem Zweck des MiLoG, wonach dem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten sei. Dem diene jede Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung. Nicht dazu gehören damit solche Lohnbestandteile, die unabhängig von einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung entrichtet werden. Zusätzliche, den Grundlohn erhöhende Zulagen oder Prämien haben somit Erfüllungswirkung i.S.d. § 362 I BGB, solange sie synallagmatische Gegenleistungen darstellen. Die vorliegenden zusätzlichen Zahlungen beurteilte das BAG als Mindestlohnbestandteile, da sie die Fähigkeiten der Arbeitnehmerin und damit wiederum die Arbeitsleistung bzw. tatsächliche Leistungserfolge honorierten. Sie hatten damit Erfüllungswirkung  i.S.d. § 362 I BGB.

Praxishinweis

Das BAG setzt damit seine Entscheidungsreihe zur Berechnung des Mindestlohns bzw. zur Auslegung des Mindestlohnbegriffs fort. Der Berechnung des Mindestlohnanspruchs sind nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden innerhalb eines Monats zugrunde zu legen. Der Arbeitgeber muss nur in der Summe aller Leistungen, die als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung entrichtet werden, erfüllen. Es sind also alle Lohnbestandteile zu berücksichtigen, die ein Entgelt für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen. Erfüllung tritt damit nicht allein mit dem monatlichen Bruttogrundgehalt ein, sondern auch andere Lohnbestandteile wie Zulagen, Prämien usw. sind in der Berechnung zu berücksichtigen.

Redaktion beck-aktuell, 27. März 2017.