BAG: Voraussetzungen des Ersatzes immaterieller Schäden wegen «Mobbings»

BGB §§ 241 II, 253 II, 278, 280 I, 823 I, 831

Ein Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden wegen „Mobbings“ ist nicht bereits dann gegeben, wenn es im Arbeitsverhältnis zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten oder nicht gerechtfertigten Maßnahmen des Arbeitgebers kommt. Erforderlich sind vielmehr Verhaltensweisen des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

BAG, Urteil vom 15.09.2016 - 8 AZR 351/15 (LAG Nürnberg), BeckRS 2016, 113588

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 09/2017 vom 09.03.2017

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Sachverhalt

Zwischen der Klägerin und ihrem Vorgesetzten war es zu Unstimmigkeiten gekommen. Der Vorgesetzte hatte daraufhin die Vereinbarung zur Teilnahme der Klägerin an einer Bildungsmaßnahme gekündigt. Die Beklagte hatte der Klägerin außerdem Abmahnungen wegen Störung des Betriebsfriedens und negativer Äußerungen in der Öffentlichkeit über Arbeitskollegen sowie verspäteter Arbeitsunfähigkeitsanzeige erteilt. Nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte schlossen die Parteien einen Abfindungsvergleich. Zwei Jahre später machte die Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche auf Ersatz materiellen sowie immateriellen Schadens wegen einer Verletzung ihrer Gesundheit durch fortdauerndes „Mobbing“ geltend. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Entscheidung

Das BAG hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die von der Klägerin vorgetragenen Vorfälle seien im Ergebnis nicht geeignet, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche auszulösen, weil sich insbesondere weder feststellen lasse, dass die Beklagte gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen habe, noch, dass ihr Verhalten einen rechtswidrigen und vorwerfbaren Angriff auf die Gesundheit der Klägerin darstelle.

Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen „Mobbings“ könne als vertraglicher Anspruch aus § 280 I 1 BGB wegen einer Pflichtverletzung in Betracht kommen. Dabei sei der Arbeitgeber nach § 241 II BGB insbesondere auch zum Schutz der Gesundheit und des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers verpflichtet. Er hafte dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber gem. § 278 S. 1 BGB auch für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die für ihn als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen. Zudem könne ein Schadensersatzanspruch wegen „Mobbings“ auch als deliktischer Anspruch insbesondere aus § 823 I BGB bzw. § 831 BGB folgen.

Das LAG sei zutreffend davon ausgegangen, dass nicht jede Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit oder nicht gerechtfertigte Maßnahme des Arbeitgebers (z.B. Abmahnung, Versetzung, Kündigung) eine rechtswidrige und vorwerfbare Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers und damit eine unerlaubte Handlung oder einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 II BGB darstelle und das im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, nicht geeignet sind, derartige Tatbestände zu erfüllen. Die Grenze zum nicht rechts- bzw. sozialadäquaten Verhalten sei allerdings dann überschritten, wenn Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dabei komme es für die Beurteilung auf eine Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen an. Die Annahme des LAG, die von der Klägerin vorgetragenen Vorwürfe seien im Ergebnis nicht geeignet, Ansprüche auf Ersatz eines materiellen oder immateriellen Schadens auszulösen, unterfalle der revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren tatrichterlichen Würdigung und sei hier nicht zu beanstanden.

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung bestätigt das BAG seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Ersatzes immaterieller Schäden wegen „Mobbings“ (vgl. BAG, FD-ArbR 2007, 242937 m. Anm. Schuster; FD-ArbR 2016, 377433 m. Anm. Bauer).

Die Entscheidung illustriert, dass bei „Mobbing-Fällen“ stets alle Umstände des Einzelfalls gesamtschauend zu würdigen sind. Dabei betont das BAG zu Recht, dass selbst den Rahmen des Direktionsrechts überschreitende Weisungen des Arbeitgebers, sofern ihnen sachlich nachvollziehbare Erwägungen zugrunde liegen, regelmäßig keine Rechtsgutverletzung darstellen und es für einen Schadensersatzanspruch wegen Mobbings nicht auf die Wirksamkeit einer Abmahnung bzw. Kündigung ankommt, sondern entscheidend ist, ob diese mit der Zielrichtung ausgesprochen wurde, den Arbeitnehmer zu schikanieren und damit als Angriff auf seine Gesundheit gewertet werden kann.

Redaktion beck-aktuell, 10. März 2017.