Zurückweisungen an Grenze: Richterverband erinnert Regierung an rechtsstaatliche Prinzipien

Der Bundesinnenminister hält an den Zurückweisungen Asylsuchender an der Grenze fest – einer Entscheidung des VG Berlin zum Trotz. Die Neue Richter*innenvereinigung (NRV) ist beunruhigt ob der "fehlenden Rechtstreue" des Innenministers.

Der Verband erinnert an die in Art. 20 Abs. 3 GG festgeschriebene Bindung aller staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz und das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normierte Prinzip der Gewaltenteilung. Dabei gehe es um die Wesenskerne des demokratischen Zusammenlebens in Freiheit und Gleichheit.

Die NRV befürchtet nicht nur aufgrund der Äußerungen von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und weiterer Regierungsmitglieder, sondern auch der "prominenter Medienvertreter", dass diese Wesenskerne "von maßgeblichen Teilen der Gesellschaft nicht mehr verstanden werden oder aber – weitaus schlimmer – dass sie bewusst übergangen werden."

Die Aussage des Innenministers, beim Beschluss des VG Berlin handele sich nur um eine "Einzelfallentscheidung", zeuge "von einer erschreckenden Ignoranz gegenüber den in der betreffenden Entscheidung zur Begründung herangezogenen EU-Regeln, die nicht nur in diesem Einzelfall, sondern generell Gültigkeit haben", betont NRV-Sprecher Sven Kersten. Die Berliner Richterinnen und Richter hatten auf die Einhaltung des Dublin-Verfahrens bei Zurückweisungen gepocht.

Die NRV kritisiert Dobrindt auch für seine "rechtlich fehlerhafte Behauptung, dass in einem noch folgenden Hauptsacheverfahren" die "Zurückweisung noch besser begründet werden könne". Sie lasse ein unzureichendes Rechtsverständnis des Innenministers erkennen.

Ein Rechtsstaat könne nur funktionieren, wenn seine Akteure sich an geltendes Recht halten. "Wir erwarten daher von der neuen Bundesregierung eine unverzügliche Klarstellung, dass rechtsstaatliche Prinzipien weiter die Leitlinien ihres Handelns sind und die rechtsprechende Gewalt in der ihr verfassungsrechtlich zukommenden Rolle als Hüterin der Gesetze respektiert wird", fordert die NRV.

Als dritte Gewalt in diesem Land, der die Aufgabe zufalle, das Handeln der beiden anderen auf seine Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren, sieht die NRV mit "wachsender Sorge, wie sich – in unguter Parallele zu aktuellen Entwicklungen in den USA und auch europäischen Ländern – Äußerungen von Regierungsvertretern häufen, die sich als über dem Gesetz stehend verstehen und gerichtliche Entscheidungen nicht als bindend akzeptieren". Ein Rechtsstaat funktioniere nur, so der Verband weiter, wenn alle Akteure sich an die geltenden Regeln hielten und niemand versuche, diese für einen kurzfristigen Popularitätsgewinn aufs Spiel zu setzen.

Redaktion beck-aktuell, bw, 5. Juni 2025.

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