Dass Elon Musk, Multimilliardär, SpaceX-Gründer, sowie Inhaber der Firmen Tesla und X (früher Twitter), sich weltweit mit Regierungen und der Presse anlegt, ist allgemein bekannt. Seit 2022 macht der Trump-Sympathisant zunehmend mit rechtspopulistischen Standpunkten und Verschwörungstheorien von sich reden und schießt mit Vorliebe gegen aus seiner Sicht "links-woke" Politiker und deren "Zensur der Meinungsfreiheit". Insbesondere ein Verfahren der EU-Kommission auf Grundlage des Digital Services Act (DSA) gegen seine Plattform X nahm Musk zum Anlass für heftige Beleidigungen gegen die verantwortlichen EU-Kommissarinnen und -Kommissare.
Doch was ist rechtlich dran am Vorgehen der EU-Kommission gegen X? Könnten die Verfahren der Social-Media-Plattform tatsächlich gefährlich werden? Wäre es sogar möglich, den Zugang zu X innerhalb der EU zu sperren?
EU-Kommission stellt vorläufig Missachtung des DSA fest
Am 12. Juli dieses Jahres teilte die Exekutiv-Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager gegenüber X öffentlich die vorläufige Feststellung mit, dass die Online-Plattform gegen ihre Pflichten nach dem DSA verstoße.
Der DSA, der am 16. November 2022 in Kraft getreten und erst seit dem 17. Februar dieses Jahres in Gänze anwendbar ist, gilt als neuer EU-Rechtsrahmen für die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste. Insbesondere sehr große Online-Plattformen, wie z. B. Facebook, Instagram und auch X, sollen in die Pflicht genommen und zu einem effektiven Vorgehen gegen die Verbreitung illegaler Inhalte und Informationsmanipulation sowie zu mehr Werbetransparenz angehalten werden.
Im Dezember 2023 leitete die EU-Kommission ein förmliches Verfahren gegen X ein, um zu überprüfen, ob auf der Plattform die entsprechenden Regeln missachtet würden. Es ist das erste Verfahren gegen eine Online-Plattform aufgrund mutmaßlicher Verstöße gegen den DSA. "Im Rahmen des Verfahrens gibt der DSA der EU-Kommission gegenüber den Online-Plattformen verschiedenste Maßnahmen an die Hand, um die Vereinbarkeit mit seinen Regelungen zu prüfen, z. B. Interviews oder Zugang zu bestimmten Informationen. Diese Untersuchungen münden dann in den vorläufigen Feststellungen der EU-Kommission", erklärt Jürgen Bering, Leiter des Center for User Rights, einem Projekt der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), das Vorgehen. Das Projekt der GFF hat sich zum Ziel gesetzt, die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern gegenüber Online-Plattformen zu stärken und durchzusetzen. Einen besonderen Fokus legt das Team bei seiner Arbeit auf den DSA.
Kritik an blauem Haken und intransparenter Werbung auf X
Die am 12. Juli von der EU-Kommission vorgestellten vorläufigen Feststellungen beziehen sich zum einen auf den blauen Haken auf X ("Blue Checkmark"). Dieser sollte ursprünglich anzeigen, dass ein X-Konto auf seine Echtheit hin verifiziert wurde. Allerdings kann inzwischen jedermann einen solchen blauen Haken - gegen Geldleistung und ohne Verifizierung - abonnieren. Dies führe die Nutzerinnen und Nutzer über die vermeintlich geprüfte Echtheit anderer Konten, mit denen sie interagieren, in die Irre. Die EU-Kommission fasst den blauen Haken damit unter die Kategorie der "Dark Patterns". Als solche bezeichnet man Designs des Benutzerinterfaces von Internetseiten, die darauf ausgelegt sind, Menschen in die Irre zu führen, und sie so zu Handlungen oder Vertragsabschlüssen zu verleiten, die ihren Interessen entgegenlaufen.
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass X seinen Transparenzpflichten nach dem DSA beim Schalten von Werbeanzeigen nicht nachkomme. Nach der Verordnung muss für jedes Jahr eine durchsuchbare Datenbank sämtlicher Werbeeinblendungen vorgehalten werden. Die EU-Kommission kommt jedoch zu dem Schluss, dass X "kein durchsuchbares und zuverlässiges Werbearchiv" bereitstelle. Jürgen Bering erläutert: "Das Werbearchiv soll NutzerInnen die Möglichkeit geben, sich über mögliche Desinformation oder Auffälligkeiten bei der Bezahlung für die Werbeanzeigen, der Zielgruppe oder sonstigen Umständen der Werbung zu informieren. Im Gegensatz zu anderen sehr großen Online-Plattformen - wie z. B. Facebook - muss man bei X, um die gewünschte Information zu erhalten, genau wissen, wonach man sucht."
Zum Dritten wirft die Kommission X vor, keinen Zugang zu seinen Daten gemäß den Bedingungen des DSA zu gewähren. Danach müssten sehr große Online-Plattformen oder Online-Suchmaschinen Forscherinnen und Forschern Zugang zu ihren Daten gewähren, die diese für die Aufdeckung, Identifizierung oder zum Verständnis systemischer Risiken, z. B. im Hinblick auf die Verbreitung rechtswidriger Inhalte benötigen. "X hat seinen Umgang mit den Zugangsansprüchen der Forschenden enorm verschärft", sagt Jürgen Bering. So habe der Konzern zum einen die Datenmenge, zu der sie Zugang erhielten, reduziert, zum anderen müssten sie für weitreichende und wirklich nützliche Zugänge hohe Geldsummen zwischen 40.000 und 200.000 Euro bezahlen.
Gemischte Erfolgschancen des Verfahrens gegen X
Bei den Feststellungen handelt es sich um kein abschließendes Prüfungsergebnis der EU-Kommission. Nun hat X erst einmal die Möglichkeit, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Musk hatte unmittelbar nach den vorläufigen Feststellungen der EU-Kommission auf X folgenden Post verbreitet: "Die Europäische Kommission hat X einen illegalen Geheimdeal angeboten: Wenn wir still und leise Beiträge zensieren, ohne es jemandem zu sagen, würden sie uns keine Geldstrafe aufbrummen." Was Musk mit seiner polemischen Äußerung genau meint, lässt sich derzeit nicht sagen.
Jürgen Bering vom Center for User Rights schätzt die Erfolgschancen des Verfahrens gegen X gemischt ein: "Es ist spannend, dass der blaue Haken auf X der erste Dark-Pattern-Fall der EU-Kommission gemäß dem DSA ist. Insgesamt wirft diese Beurteilung noch viele Fragen auf. Klassisches Beispiel für Dark Patterns sind nämlich Designs, die NutzerInnen dazu verleiten, für sie negative Entscheidungen zu fällen, z. B. hinsichtlich der eigenen Privatsphäre oder kostspieligen Kaufentscheidungen." Kern der Kritik am blauen Haken sei dagegen die mögliche Desinformation durch die damit versehenen Konten, so Bering. "Darum geht es bei der Einordnung als Dark Pattern zunächst einmal nicht." Im Hinblick auf die Transparenzpflichten und den Zugang zu Daten sehe er für das Verfahren jedoch größere Erfolgschancen.
Vorgehen gegen X wegen der Verbreitung illegaler Inhalte komplizierter
Auffällig an den vorläufigen Feststellungen ist auch, dass sich diese nicht auf die Einhaltung der Vorschriften des DSA im Hinblick auf die Verbreitung illegaler Inhalte beziehen. Dabei waren solche Untersuchungen Gegenstand des im Dezember 2023 eingeleiteten Verfahrens. Der DSA verpflichtet Online-Plattformen dazu, systemische Risiken – insbesondere verbunden mit der Verbreitung rechtswidriger Inhalte – zu ermitteln, zu analysieren und zu bewerten. Dies muss in einem Risikobericht festgehalten werden. Daneben müssen die Dienste Nutzerinnen und Nutzern die Anzeige rechtswidriger Inhalte gegenüber der Plattform ermöglichen. Erlangt die Online-Plattform von einem rechtswidrigen Inhalt Kenntnis, muss sie dagegen vorgehen.
Die Kommission meldete bei der Verfahrenseinleitung Zweifel an, dass X den Pflichten in diesem Punkt nachkomme. Hierzu erklärt Jürgen Bering: "Das Verfahren läuft hier noch. Gerade bei der verpflichtenden Risikobewertung der Plattformen gibt es immer ein Hin und Her zwischen den Anbietern und den zuständigen Behörden: Die Plattformen teilen der EU-Kommission ihre Risikobewertungen mit. Die Kommission reagiert, indem sie auf weitere Risiken oder weitere Maßnahmen zur Risikominderung hinweist. Es gab nun die ersten Risikoberichte und beide Parteien tauschen sich jetzt dazu aus. Wahrscheinlich wird die Kommission diesen Dialog noch weiter abwarten, bevor sie ein Verfahren zu diesem Punkt einleitet."
Vorübergehende Sperrung von X innerhalb der EU theoretisch möglich
Fakt ist: Wird abschließend ein Verstoß gegen den DSA festgestellt, kann es für X teuer werden. Die Verordnung sieht vor, dass die EU-Kommission Geldbußen in Höhe von 6% des Jahreseinkommens eines Unternehmens verhängen kann. "Der DSA sieht sogar die Möglichkeit einer Sperrung der Online-Plattformen vor", ergänzt Bering. "Diese kann von den nationalen Behörden verhängt werden. Die Anforderungen dafür sind allerdings hoch: Handelt ein Online-Plattform-Betreiber trotz mehrfacher Geldbußen dem DSA zuwider, werden dadurch schwerwiegende Schäden verursacht und eine Straftat begangen, die das Leben oder die Sicherheit von Personen bedroht, kann der Zugang zur Plattform als ultima ratio beschränkt werden - allerdings immer nur vorübergehend."
Dass es tatsächlich zu einer Sperrung kommt, hält Jürgen Bering für unrealistisch. Schon die Geldbußen nach dem DSA könnten einen Konzern wie X finanziell enorm unter Druck setzen, da sie sich am Jahresumsatz orientierten. Gleiches gelte für Musks bereits geäußerte Drohung, sich mit X aus der EU zurückzuziehen. Die großen Online-Dienste lebten schließlich von Netzwerkeffekten und bräuchten hierfür möglichst viele Menschen auf ihrer Plattform. "Sollte sich Musk mit X aus dem europäischen Markt zurückziehen, besteht die Gefahr, dass er international viele User an andere vergleichbare Plattformen wie Threads oder Bluesky verlieren wird", meint Bering.
Der DSA steckt als EU-Verordnung noch in den Kinderschuhen. Erfahrungswerte, wie lang ein förmliches Verfahren dauert, gibt es noch keine. Sollten die ersten Sanktionen gegen X verhängt werden, ist zudem wahrscheinlich, dass das Unternehmen dagegen gerichtlich vorgehen wird, sodass die Angelegenheit letztendlich beim EuGH landen würde. Dieser könnte dann einige Rechtsfragen rund um die Auslegung des DSA klären.