Dass die Welt im Wandel sei, behaupten Expertinnen und Experten auf zahlreichen Tagungen seit vielen Jahren. Und hinter dem Titel "Inhouse Counsel – Strategische Stütze und Innovationstreiber in einer Welt im Wandel" kann vieles stecken. Beim Jahrestreffen des Bundesverbands der Unternehmensjuristinnen und -juristen (BUJ) am Donnerstag in Berlin zeigte sich aber, dass dieser Titel angesichts der weltweiten Ereignisse der vergangenen Jahre gut gewählt war. Die früher von Beratern gern "VUCA" – volatil, unsicher, komplex und doppeldeutig – genannte Welt beschreibt es nicht mehr hinreichend.
Man konnte auf der Tagung aber auch sehen, dass die Syndikusanwaltschaft den weltweit chaotischen Zuständen etwas entgegensetzen will. Etwas, das über die Unterstützung des Business, die Beherrschung der Bürokratievorgaben und den täglichen Kampf gegen immer mehr Belastung bei bestenfalls gleichbleibenden Ressourcen hinausgeht.
US-Anwaltshonorare: "Wieso wird das trotz KI nicht längst günstiger?"
Natürlich ging es in Berlin um Entlastung von der Bürokratie, unter der alle ächzen. Die Teilnehmenden hörten sehr genau zu, als die Staatssekretärin im Bundesjustizministerium (BMJV) Anette Kramme über die Entlastungsbemühungen der Bundesregierung in Sachen Berichterstattungspflichten referierte. Dabei kündigte sie auch ein fünftes Bürokratieentlastungsgesetz an.
Natürlich ging es auf dem General-Counsel-Panel in den Bolle-Festsälen in Berlin auch um gestiegene Aufwände und Kosten, nicht zuletzt durch horrende Anwaltshonorarforderungen vor allem von amerikanischen Wirtschaftskanzleien. Von bis zu 2.630 US-Dollar aufgerufenem Stundensatz wusste eine Teilnehmerin zu berichten, und von Verhandlungsbereitschaft auf Seiten der Kanzleien keine Spur: "Wer soll das bezahlen – und wieso wird das durch den Einsatz von KI nicht längst günstiger im Sinne von wesentlich weniger Billable Hours, selbst wenn ein sehr erfahrener Jurist noch einmal drüber schauen muss", fragte Tina Sandmann, Group General Counsel bei der Merck KGaA.
Natürlich sprachen alle über den Umgang mit und mögliche Veränderungen durch KI: Nicht alle Unternehmen haben die Ressourcen, den Markt auf jedes neue Tool zu überwachen. Katja Stadelmann, General Counsel bei der Hensoldt AG, hat sich mit einer Kanzlei zusammengetan, um gemeinsam mit dem eigenen Team von rund 35 Leuten in der Rechtsabteilung niedrigschwellige, zeitraubende Tätigkeiten zu identifizieren. Der General Counsel von Brenntag SE, Frank Fischer, riet: "Lesen Sie auch das Kleingedruckte, sonst stimmen Sie womöglich zu, dass ein Vertragspartner Ihre Daten nutzen darf, um seine KI zu trainieren".
"Die, die den Weg in den Hafen finden müssen"
Natürlich ging es um die alte Frage nach "Make or Buy“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig: Lieber make, aber gerade in Sachen KI-Kompetenz gar nicht immer so einfach mit dem Inhouse-Know-How. Man sprach über die Herausforderungen, qualifiziertes Personal zu finden, das all den neuen Anforderungen gewachsen ist: Gutes juristisches Personal gibt es laut den GC aktuell auf dem Markt schon, wenn auch kaum mit zwei Prädikatsexamina. Doch auch die beste Juristin habe noch keine KI-Kompetenz. Außerdem müsse man den Menschen etwas bieten, um sie auch mittel- bis langfristig ans Unternehmen zu binden.
Natürlich ging es auch um Druck bei der Bewältigung von immer mehr Aufgaben bei gleichen Ressourcen: Tina Sandmann warb für Transparenz bis hoch in den Vorstand: "Natürlich kann es auch mit zehn Prozent weniger gehen – aber dann zeigen Sie die Konsequenzen auf, in aller Freundlichkeit, aber ganz detailliert: Was werden Sie dann nicht tun und nicht liefern können?“ Laut dem GC von E.ON., Christoph Radke, liegt einer der Schlüssel zum kosteneffizienten Arbeiten darin, auch dann auf die Kosten zu schauen, wenn es gut läuft.
Neben der massiv steigenden Regulierungsdichte – Staatssekretärin Kramme kündigte an, für diese Legislaturperiode seien allein im BMJV 300 Gesetzesvorhaben geplant – nehmen die Anforderungen an die Unternehmensjuristinnen und -juristen laut deren Berichten auch deshalb zu, weil von den Rechtsabteilungen immer stärker die Rolle des Enablers erwartet werde. Radke, der vor Kurzem unter dem Titel "Legal Navigators“ alle rund 400 Juristinnen und Juristen von E.ON. in Europa zusammengebracht hat, sagte: "Wir steuern nicht das Boot. Aber wir sind ganz nah dran. Und wir sind diejenigen, die den Weg in den Hafen sicher finden müssen". Und die bekannten Herausforderungen sind alle noch da.
"Unauflösbare Dilemmata durch die politische Weltlage"
Doch jetzt geht es noch um mehr. Aus der politischen Weltlage resultierten Rechtskonflikte, die einen Großteil aller Unternehmen in Dilemmata brächten, erklärte BUJ-Präsidentin Claudia Junker in ihrer Eröffnungsrede.
Vor allem zu den USA unter der Trump-Administration bestünden in mancher Hinsicht mittlerweile diametrale Widersprüche, die nicht nur die ganz großen Unternehmen mit ausgeprägtem US-Geschäft beträfen. DEI (Diversity, Equality, Inclusion), in der EU zum Beispiel mit Geschlechterquoten ein vorgeschriebenes Ziel, gelte in den USA mittlerweile als illegale Diskriminierung. Dieselbe beleidigende Äußerung, die in den USA von der weitreichenden Freedom of speech gedeckt sei, müsse in Deutschland aus dem Netz entfernt werden.
Protektionistische Zölle und Sanktionen wie die Secondary Sanctions bergen für Unternehmen neben wirtschaftlichen Gefahren auch solche für ihre Reputation. Sie könnten zu Boykotten und Klagen führen oder zum Beispiel den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen ausschließen. In der EU müssten die Unternehmen Standards durchsetzen, die sie in den USA in die Gefahr brächten, dafür belangt zu werden, fasste Junker zusammen.
"Mut zur Positionierung"
Das verlange von den Unternehmensjuristinnen und -juristen neben strategischem und ethischem Urteilsvermögen auch den Mut zur Positionierung, so die BUJ-Präsidentin. Auch mit Blick auf die zahlreichen Unternehmen in den USA, die nur Wochen brauchten, um still und leise von jeder über Jahre zur Schau getragenen Diversity-Politik abzurücken, ist das keine selbstverständliche Forderung.
Junker endete mit einem Verweis darauf, dass vor 100 Jahren Franz Kafkas "Der Prozess" erschien. Die Geschichte von Franz K., der verhaftet wird, ohne zu erfahren, wessen er beschuldigt wird, erzählt von einem "undurchsichtigen, übermächtigen anonymen Gericht“, laut Junker heute verstanden als eine Warnung vor Intransparenz, Machtmissbrauch und fehlender Rechtsstaatlichkeit. "Und dagegen kämpfen wir ja alle hier im Raum", schloss die GC der Deutschen Telekom; spontaner lauter Applaus brandete auf.
Auch wenn E.ON.-GC Christoph Radke sich zum Thema Positionierung zurückhaltender zeigte, als er sagte, als Unternehmen müsse man sich aber auch nicht zu allem äußern, kam das Thema Integrität schon am Morgen des ersten Kongresstages in Berlin noch mehrfach auf den Tisch.
"Sie machen es uns nur noch schwerer“
So erntete Staatssekretärin Kramme auf ihre Erinnerung daran, dass in der vergangenen Woche das deutsche LkSG entschärft worden sei, nicht die wohl erhoffte Reaktion. Neben der Abschaffung der Berichtspflichten für Unternehmen haben Union und SPD auch vereinbart, nur noch schwere Verstöße gegen Vorhaben aus dem Gesetz zu ahnden. Doch von den Unternehmensjuristinnen und -juristen kam Kritik.
Claudia Junker wies darauf hin, dass für Unternehmen die Legalitätspflicht gelte. "Wir müssen uns doch an alles halten – weniger Sanktionen helfen nichts, von den Sorgfaltspflichten muss etwas weg“, forderte die Verbandschefin. Aus dem Auditorium meldete sich Ilka Schneider zu Wort. Die EVP Legal Services & Chief Compliance Officer der DHL Group in Bonn wurde noch eindringlicher: "Wir als Rechtsbereich versuchen doch auch, in die Unternehmen ein Denken zu tragen, das nicht das Enforcement-Risiko in den Vordergrund stellt, sondern das Streben, gute Corporate Citizens zu sein und Gesetze zu befolgen“. Wenn dann ein Kollege aus dem Business mit dem Argument kommen könne, es würden doch nur grobe Verstöße sanktioniert, „dann machen Sie es uns eigentlich noch schwerer“, sagte die Syndika. "Das hat Ausstrahlung auf die Kultur. Gesetze und Vorschriften haben ihre Legitimität und ihren Zweck. Wir sollten sie befolgen, egal, ob wir sanktioniert werden, wenn wir es nicht tun.“
Staatssekretärin Kramme warb am Donnerstag in Berlin mehrfach dafür, dass die Inhouse Counsel sich – auch proaktiv und frühzeitig – in Gesetzgebungsprozesse einbringen sollten. „Briefe werden in einem Ministerium gelesen“, beteuerte sie. "Wir überlegen ja nicht nur, was wir regeln wollen, sondern auch, wen wir treffen, und wen nicht; wen wir begünstigen und wen wir benachteiligen, ist manchmal schwer zu erkennen. Es hilft uns, wenn Sie uns schreiben ‚Das kann so nicht sein'", sagte Kramme. Am UJK haben in diesem Jahr nach Angaben des BUJ rund 550 Unternehmensjuristinnen und -juristen teilgenommen. Vielleicht wird das BMJV nach dem Kongress eine Menge Post bekommen.


