Nach kritischem Social-Media-Post: Gericht setzt Vorstand der RAK Istanbul ab

Weil Mitglieder des Istanbuler Kammervorstands eine unabhängige Untersuchung zum Tod zweier Journalisten gefordert hatten, hat ein Gericht das komplette Gremium absetzen lassen - vermeintlich wegen "Terrorpropaganda". Anwaltsorganisationen sind besorgt um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei.

Ein türkisches Gericht hat am Freitag angeordnet, den elfköpfigen Vorstand der Istanbuler Rechtsanwaltskammer, inklusive des Kammerpräsidenten Ibrahim Kaboğlu, des Amtes zu entheben. Das berichten DAV, BRAK und die RAK Freiburg.

Gegen den Vorstand habe die Staatsanwaltschaft bereits seit Januar wegen eines Social-Media-Posts ermittelt. Darin habe die Kammer gefordert, dass der Tod zweier kurdischer Journalisten in Nordsyrien untersucht werde. Die Tötung durch einen gezielten türkischen Drohnenangriff könne ein möglicher Verstoß gegen Artikel 8 des Römischen Statuts sein, hieß es in dem Post. Die Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft mit dem Verdacht auf "Terrorpropaganda" und "Verbreitung irreführender Informationen" begründet.

Das Gericht habe darin einen Verstoß gegen die Zuständigkeiten und Aufgaben der Anwaltskammer gesehen, wie die BRAK berichtet. Dieser vermeintliche Verstoß führe nach Ansicht des Gerichts dazu, dass die Vorstandsmitglieder weder geeignet noch in der Lage seien, ihr Amt ordnungsgemäß zu führen.

BRAK: "rechtsstaatlich unerträglich"

In Pressemitteilungen zeigten sich die Anwaltsorganisationen nun bestürzt über diesen Schritt. Er stelle einen gravierenden Angriff auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei dar, hieß es etwa von der BRAK. "Das Verfahren ist ein weiterer politisch motivierter Versuch, die türkische Anwaltschaft zu delegitimieren und aus dem Weg zu räumen!", sagte BRAK-Vizepräsident André Haug. "Dass sich die Justiz hierfür instrumentalisieren lässt, ist rechtsstaatlich unerträglich."

Auch der DAV verurteilt das Vorgehen. "Der DAV steht an der Seite der Kolleginnen und Kollegen der Rechtsanwaltskammer Istanbul und verurteilt das inakzeptable Vorgehen der türkischen Justiz", so Stefan von Raumer, Präsident des DAV. "Eine unabhängige Anwaltschaft ist Gewähr zur Aufrechterhaltung der Demokratie. Es ist das grundlegende Recht der freien Advokatur und ihre Aufgabe, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen und die Gewährleistung der Menschenrechte zu sichern", so von Raumer.

Es bleibt bei Solidaritätsbekundungen

Die Istanbuler Kammer vertritt 65.000 Anwältinnen und Anwälte. Kammerpräsident Kaboğlu sprach gegenüber türkischen Medien von "einem schwarzen Tag für die freie Advokatur". Die deutschen Anwaltsorganisationen fordern zwar die sofortige Rücknahme Entscheidung und die Einstellung aller Verfahren gegen die betroffenen Anwältinnen und Anwälte. Viel mehr als ihre Solidarität bekunden, können sie aber nicht tun.

"Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten und uns auf internationaler Ebene für die Rechte der türkischen Anwaltschaft einsetzen. Ich hoffe, dass sich auch andere Anwaltsorganisationen dem besorgniserregenden Trend in der Türkei entgegenstellen. Auch die Türkei hat die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und ihrer Selbstverwaltungsorgane zu achten", hieß es von der BRAK.

"Wir verurteilen den Angriff auf die türkische Anwaltschaft und stehen fest an der Seite unserer Kollegen und Kolleginnen", ergänzt Gül Pinar, Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses. "Der Angriff trifft nicht nur die Anwaltschaft, sondern auch die gesellschaftliche Gerechtigkeit."

RAK Freiburg zieht Parallele zu Trump

Auch die Anwaltskammer in Freiburg äußerte sich zum Geschehen. In einer Pressemitteilung zieht die Kammer eine Parallele zum Angriff des US-Präsidenten Donald Trump auf US-Kanzleien und Richter. "Der Rechtsstaat, der vor allem die Funktion hat, staatliches Handeln Regeln und einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen, ist offenbar den Autokraten Erdoğan und Trump im Weg", heißt es in der Mitteilung.

"Unabhängige, von staatlicher Einflussnahme freie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich für die Rechte von Minderheiten und Gegnern des Staates einsetzen, werden mittlerweile offen angefeindet und sind erheblichen Repressalien ausgesetzt." In der vergangenen Woche hatte Trump zum einen die Absetzung missliebiger Richter gefordert, zum anderen bestimmten Kanzleien u.a. Freigaben entzogen, deren Berufsträger u.a. Demokraten vertreten hatten.

Redaktion beck-aktuell, dd, 24. März 2025 (dpa).

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