Streit ums Schwarzfahren geht weiter: DAV fordert Entkriminalisierung

Der Bundesjustizminister hat angekündigt, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabstufen zu wollen. Einen entsprechenden Entwurf gibt es aber bisher nicht. Während Verkehrsbetriebe Sturm laufen, fordert der DAV eine komplette Entkriminalisierung. Er ist damit auf der Linie vieler Experten.

Im November 2023 hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann ein Eckpunktepapier für Modernisierungen im StGB vorgelegt. Danach plant sein Ministerium unter anderem, das Fahren ohne gültigen Fahrschein zu entkriminalisieren. Es soll in Zukunft nicht mehr als Straftat gemäß § 265a StGB behandelt werden, sondern als Ordnungswidrigkeit. "Fahren ohne Fahrschein wird auch weiter sanktioniert, aber eben in einem standardisierten, weniger personalintensiven Verfahren", kommentierte Buschmann das Vorhaben.

Im Januar sagte er dann, ein konkreter Entwurf für die Reform sei wahrscheinlich in der ersten Hälfte 2024 zu erwarten. Doch bisher ist beim Thema Schwarzfahren nichts passiert. Das moniert nun der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins (DAV). "Die Eckpunkte zu den Entkriminalisierungsprojekten des BMJ stehen seit vielen Monaten fest. Auf den Gesetzentwurf warten wir noch immer – es wird Zeit, hier tätig zu werden", macht Ali B. Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, in einer Pressemitteilung vom Donnerstag deutlich.

Vollständige Entkriminalisierung gefordert

Statt der bloßen Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit fordert der DAV aber eine vollständige Entkriminalisierung. Durch eine bloße Herabstufung sei nichts gewonnen, heißt es in dem Statement.

Jährlich gehen bundesweit etwa 150.000 Anzeigen wegen Fahrens ohne gültigen Fahrschein ein. Das Massendelikt wird häufig aus finanzieller Not heraus begangen. Verhängen Gerichte Geldstrafen, können Betroffene diese häufig nicht zahlen und kommen in Ersatzhaft. Das belaste nicht nur die Justiz und Verwaltung, sondern habe laut DAV auch keinen sozialen Nutzen: "Dabei handelt es sich um ein typisches Armutsdelikt. Die Betroffenen sind überhaupt nicht in der Lage, sich den Fahrschein oder die Strafen zu leisten", so Norouzi. Ein strafwürdiges Verhalten liege jedoch ohne Manipulations- oder Täuschungsversuche nicht vor. Für solche Fälle das Strafrecht als Ultima Ratio zu bemühen, sei kaum zu rechtfertigen. Die Justiz sei nicht das Inkassobüro der Verkehrsbetriebe.

Mit seinem Statement wiederholt der DAV eine jahrelange Forderung – und liegt damit auf einer Linie mit vielen Experten. Anfang des Monats hatte sich eine Gruppe von Kriminologen und Hochschullehrern in einem offenen Brief an Minister Buschmann gewandt und eine vollständige Entkriminalisierung gefordert. Ihre Kritik geht in eine ähnliche Richtung. Der Straftatbestand treffe überproportional arme Menschen und solche in prekären Lebenslagen. Ihr Weg führe regelmäßig in Ersatzhaft, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen könnten.

Eine bloße Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit würde an dieser Situation nichts ändern. Denn: Bei Ordnungswidrigkeiten droht Betroffenen statt Ersatzfreiheitsstrafe die Erzwingungshaft. Gewonnen wäre dadurch nichts, heißt es im DAV-Statement. Deswegen gehe das Vorhaben des BMJ dem DAV auch nicht weit genug.

Verkehrsunternehmen gegen Herabstufung

Das DAV-Statement ist Teil einer vehementen Debatte, die in den vergangenen Tagen um den BMJ-Vorschlag entbrannt ist. Von Seiten der Verkehrsbetriebe hagelt es Kritik. "Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, zeugt nicht von Respekt für unsere Leistung und die Arbeit unserer Beschäftigten", sagte etwa Ingo Wortmann, der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen der Tagesschau. Er schätzte den Schaden durch Schwarzfahrer auf etwa 750 Millionen bis rund eine Milliarde Euro pro Jahr. "Der ehrliche Fahrgast muss es mit steigenden Fahrpreisen ausbaden."

Auch der Hamburger Verkehrsverbund äußerte sich kritisch: "Durch das Fahren ohne Fahrschein entstehen Kommunen, Verkehrsverbünden und -unternehmen erhebliche Verluste in Millionenhöhe. Im HVV zur Zeit jährlich in Höhe von 30 bis 40 Millionen Euro (…) Es wäre das falsche Signal das Fahren ohne gültiges Ticket zu bagatellisieren", sagte ein Sprecher dem NDR.

Im Saarland sei in den vergangenen Tagen sogar noch verstärkt kontrolliert worden. Wenn Schwarzfahren "nur noch" eine Ordnungswidrigkeit sei, "käme das für Wiederholungstäter einem Freifahrtschein gleich", teilte die KVS dem Saarländischen Rundfunk mit.

Bremen und Mainz zeigen nicht mehr an

In einigen Städten wird das Fahren ohne gültigen Fahrschein dagegen überhaupt nicht mehr angezeigt. Dahinter stecken Weisungen aus der Verwaltung. So hat der Stadtrat in Mainz etwa im Mai 2024 beschlossen, das Fahren ohne Fahrschein auf eigene Faust zu entkriminalisieren und die Verkehrsbetriebe angewiesen, keine Strafanzeigen mehr zu stellen. Denn: § 265a Abs. 3 StGB i.V.m. § 248a StGB sieht vor, dass ein Strafantrag erforderlich ist, wenn nur eine geringwertige Leistung erschlichen wird. Bei einem solchen relativen Antragsdelikt wird ohne Strafantrag nur ermittelt, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt.

Auch in Wiesbaden werden mittlerweile keine Strafanzeigen mehr erstattet. In Bremen gilt dies sogar schon seit einem Jahr. Zur Entkriminalisierung sagte Bremens Staatsrat Björn Tschöpe (SPD) gegenüber Radio Bremen: "Wir würden einen Schritt weitergehen wollen als der Bundesjustizminister – der will das Ganze ja zur Ordnungswidrigkeit machen, womit am Ende trotzdem Leute im Gefängnis landen können. Wir würden das dahin spielen, wo es hingehört, nämlich auf die zivilrechtliche Ebene: Die BSAG und die anderen Verkehrsunternehmer sind private Unternehmen, die sich ihre Forderungen eben auf dem Zivilrechtsweg wiederholen müssen. Das machen alle anderen Marktteilnehmer auch."

Redaktion beck-aktuell, dd, 16. August 2024.