Ist es ein bürokratischer Akt oder eine politische Botschaft? Am Ende sicher beides, doch die Art und Weise, wie ein in Ungnade gefallener Altkanzler seine Degradierung erfuhr, war dann doch recht nüchtern: Der Haushaltsausschuss beschloss in seiner Bereinigungssitzung am 19. Mai 2022 im Rahmen der Beratungen zum Einzelplan des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Einzelplan 04), das Büro des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder "ruhend" zu stellen. Übersetzt heißt das: Sein nach-politisches Leben muss Schröder seitdem im Wesentlichen aus eigener Tasche finanzieren, wenn auch nicht sofort: Die dem Büro zugeordneten Stellen bleiben zunächst vorhanden, sollen aber nicht mehr nachbesetzt werden.
Grundsätzlich erhalten Bundeskanzlerinnen und -kanzler nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt finanzielle Mittel des Bundes, die sie verwenden können, um ein Büro und Angestellte zu finanzieren. Hintergrund ist, dass man als frühere Kanzlerin bzw. früherer Kanzler nie so ganz Privatperson ist. Öffentliche Termine, halb-offizielle Staatsbesuche und vieles mehr: Der Terminkalender früherer deutscher Regierungschefs ist deutlich besser gefüllt als bei durchschnittlichen Rentnerinnen und Rentnern.
Hieran hat Deutschland auch durchaus ein Interesse. Wie sähe es denn aus, wenn ein früherer Bundeskanzler sich von nun an bei jedem Termin um Kopf und Kragen redete, weil ihm die Redenschreiberin fehlt, oder seine Briefe von Hand auf Recycling-Papier verfassen würde, weil ihm das Büttenpapier zu teuer ist? Auch wer keine Macht mehr hat, wird weiterhin mit der Bundesrepublik identifiziert und vertritt sie faktisch nach außen. Um diesem Repräsentationszweck gerecht zu werden, ist es daher Usus, dass Kanzlerinnen und Kanzler nach ihrer aktiven Zeit weiter die dafür nötigen Mittel erhalten. Das Büro wird dabei durch ihre frühere Fraktion zur Verfügung gestellt, wofür aber ein Ausgleich durch das Bundeskanzleramt gezahlt wird. Die Kosten sind nicht unerheblich: Allein für Schröders Personalausstattung zahlte der Bund zuletzt über 400.000 Euro pro Jahr.
Keine Voraussetzungen, keine Handhabe?
Gerade aber die Repräsentationswirkung ist es, die Gerhard Schröder auf die Füße gefallen ist: Dass er als Kanzler a.D. Lobbyist für die russische Öl- und Gas-Industrie wurde, missfiel bereits vielen. Doch dass er seine gute Beziehung (bis heute wird gerne der eigentümliche Begriff "Männerfreundschaft" verwendet) zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auch dann nicht abbrach, als dieser einen Angriffskrieg auf sein Nachbarland entfesselte, brachte das Fass zum Überlaufen: Deutschland trennt sich mühsam vom russischen Gas und verurteilt bei jeder Gelegenheit den imperialistischen Wahnsinns-Akt Putins -doch der frühere Kanzler hält an seiner Freundschaft fest?
Nun konnte man Gerhard Schröder nicht "entkanzlern", sein Ruhegehalt wohl auch nicht aberkennen, da es ihm gesetzlich nun einmal zusteht. Also einigte man sich in Berlin auf die schärfste formale Sanktion, die möglich war: ihm die Büromittel zu streichen. Doch ob dieser Akt formell einen Sanktionscharakter hat, darf man zumindest bezweifeln. Er ist nicht etwa an ein grobes Fehlverhalten geknüpft, das geeignet ist, dem Ansehen der Bundesrepublik zu schaden, oder etwas in der Art. Ob es überhaupt irgendwelche Voraussetzungen dafür gibt, ist unsicher, zumindest sind keine normiert. Begründet hat die Koalition ihre Entscheidung lediglich damit, "dass Bundeskanzler a.D. Schröder keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt mehr wahrnimmt".
Das ist jedenfalls die eine Seite. Schröder sieht das anders und geht juristisch gegen die Einstellung der Büro-Finanzierung vor. Er ist der Meinung, einen Anspruch auf die Mittel zu haben und sieht sich ungerecht behandelt. Vor dem VG Berlin fand er damit jedoch kein Gehör. Dieses entschied, Schröder stünden ein Büro und Mitarbeiter weder aus Gewohnheitsrecht noch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG zu. Zwar sei es seit über 50 Jahren Usus, dass Altkanzlerinnen und -kanzler ein Büro nebst Stellen auf Lebenszeit erhielten, doch ein diesbezüglicher Anspruch sei nicht anerkannt. Um dies zu klären, vertiefte sich das Gericht gar in die Korrespondenz zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium im Jahr 2005, als Schröder aus dem Amt ausschied. Darin hatte man über die im Büro anzusiedelnden Stellen verhandelt. Aus dem Schriftwechsel, so das VG, könne man nicht ableiten, dass die beteiligten Akteure von einem bindenden Anspruch Schröders auf die Mittel ausgegangen wären. Zudem würde anderenfalls die verfassungsrechtlich garantierte Budgethoheit des Bundestages verletzt.
Keine rechtliche Regelung für Altkanzlerbüros
Die geradezu detektivische Suche der Kammer nach einem rechtlichen Anknüpfungspunkt für Schröders behaupteten Anspruch zeigt bereits: Eine explizite Regelung für die Finanzierung eines Altkanzler-Büros gibt es schlicht nicht. Genau genommen ist es schon schwierig, dessen Rechtscharakter überhaupt einzuordnen. Handelt es sich um eine Organisationseinheit des Bundes? Wenn ja, zu wessen Geschäftsbereich gehört sie? All dies fragte auch die Vorsitzende seinerzeit in der Verhandlung und bekam nicht auf jede Frage eine zufriedenstellende Antwort.
Schließlich begründete das VG seine Entscheidung auch damit, dass Sinn und Zweck der Mittel nie gewesen sei, Altkanzlerinnen und -kanzlern einen Vorteil zu verschaffen; es handele sich um keine "Leistung" an diese. Die Büros und Stellen würden vielmehr ausschließlich im öffentlichen Interesse und zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eingerichtet und ausgestattet. Zwar hätten frühere Regierungschefs einen faktischen Vorteil davon, dies sei aber ein bloßer Rechtsreflex. Insofern sei Schröder auch nicht in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen, was ein Verstoß gegen Art. 3 GG aber voraussetze.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ das VG die Berufung zu, über die am Donnerstag um 10.00 Uhr unter dem Aktenzeichen 10 B 34/23 der 10. Senat des OVG Berlin-Brandenburg verhandelt. Grundsätzlich ist die Sache aber nicht nur aufgrund ihrer rechtlichen Dimension. Auch politisch handelt es sich um einen in der deutschen Geschichte beispiellosen Vorgang. Wenn die mutmaßlichen Verfehlungen eines ehemaligen Bundeskanzlers auch nicht mehr Gegenstand des rechtlichen Streits werden mögen - in der Öffentlichkeit werden sie sicher mit verhandelt.