Der BGH hatte in dem aktuellen Verfahren, in dem im Mai weiter verhandelt wird, einen Hinweisbeschluss erlassen (Az.: I ZR 90/23), in dem er die Ansicht vertrat, der beklagte Anbieter habe gegen den damaligen Glücksspielstaatsvertrag verstoßen, weil er im relevanten Zeitraum keine Erlaubnis für öffentlich im Internet angebotene Sportwetten hatte und weil der Höchsteinsatz je Spieler nicht auf 1.000 Euro pro Monat begrenzt war. Danach wären die Verträge zwischen Anbieter und Spielern nichtig und der Kläger dürfte einen Rückzahlungsanspruch haben.
Ronald Reichert von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs, der mehrere Anbieter in derartigen Verfahren vertritt, hat aber Zweifel daran, ob der BGH nach einer mündlichen Verhandlung an dieser Auffassung festhält, weil er mit dieser Beurteilung gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verstoße. Dieser habe festgestellt, dass den Sportwettveranstaltern, egal ob im Shop oder im Internet, das Fehlen der Konzession damals nicht entgegengehalten werden durfte, weil die Bundesländer den Veranstaltern die Sportwettkonzessionen europarechtswidrig vorenthalten hätten. "Und das Angebot, das die betroffenen Unternehmen gemacht haben, war genau das, was ihnen später von den Behörden genehmigt wurde", erklärte Reichert.
Anders als beim "Dieselskandal" hätten nicht die Anbieter rechtswidrig gehandelt, sondern die Bundesländer beim Konzessionsverfahren. "Der EuGH und die Verwaltungsgerichte haben deshalb ausdrücklich bestätigt, dass gegen die Veranstalter nicht vorgegangen werden durfte", so Reichert zum Urteil vom 04.02.2016 (Az: C-336/14). Der BGH versuche das rückwirkend zu korrigieren.
Der BGH wiederum sieht seine vorläufige Beurteilung dem Beschluss zufolge in Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung. Auch eine Vorlage an die Luxemburger Richterinnen und Richter sei nicht nötig, weil die relevanten Fragen schon beantwortet seien, heißt es weiter. Eine höchstrichterliche Entscheidung wäre für Tausende solcher Klagen an zahlreichen Gerichten relevant. Bei Sportwetten geht es um einen Milliardenmarkt. Dem aktuellen Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung an Sportwetten teil.
Prozessfinanzierungsgesellschaft klagt gegen Tipico
Der BGH hatte im März eigentlich schon einen Fall verhandeln wollen, in dem es um Tipico geht. Weil die Beteiligten über einen außergerichtlichen Vergleich verhandeln, hob der BGH den Termin auf. Der in dem Verfahren klagende Spieler hatte von 2013 bis 2018 an Sportwetten teilgenommen und argumentiert, diese seien wegen fehlender Lizenz unzulässig, die Wettverträge seien unwirksam gewesen. Er will mehr als 3.700 Euro zurück, im Vergleich zu anderen Fällen dieser Art eine kleine Summe. Er war zuletzt vor dem LG Ulm gescheitert, aus dessen Sicht die Verträge nicht nichtig sind. Dagegen ging der Spieler in Revision.
Ein Sprecher des Anbieters erläuterte: "In unserem Verfahren handelt es sich beim Kläger um eine Prozessfinanzierungsgesellschaft, die dem Spieler seine Forderung abgekauft hat." Tipico habe sich wegen dieser Besonderheiten auf Gespräche zu einer außergerichtlichen Verständigung eingelassen. Sollten diese scheitern, würde der Fall doch am BGH verhandelt.
Tipico beruft sich darauf, seit seiner Gründung im Jahr 2004 stets eine gültige Lizenz der maltesischen Regulierungsbehörde MGA im Bereich der Sportwette gehabt zu haben. Dass der Anbieter die strengen regulatorischen Vorgaben einhalte, wird dem Sprecher zufolge laufend kontrolliert. "Nachdem der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen die deutsche Rechtslage in der Zeit vor 2020 als unionsrechtswidrig beurteilt hat, fanden die nationalen Regelungen zur Sportwette keine Anwendung." Diese Rechtsauffassung hätten die deutschen Behörden akzeptiert und Tipico danach eine deutsche Konzession erteilt.