Am vergangenen Wochenende haben CDU/CSU und SPD ihre Sondierungsgespräche – als Vorstufe für auf dieser Grundlage zu führende Koalitionsverhandlungen – erfolgreich abgeschlossen. Als Ergebnis wurde ein elfseitiges Papier präsentiert, das unter anderem auch einen Punkt "Arbeit und Soziales" enthält. Union und SPD haben Absprachen unter anderem zur Tarifbindung, Höchstarbeitszeit und Überstunden getroffen. Auch das Thema Mindestlohn steht auf der arbeitsrechtlichen Agenda der nächsten Legislatur.
Mindestlohn: Punkt für die SPD
"Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn", so steht es in dem Papier. "Die Entwicklung des Mindestlohns muss einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten." Man werde an einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission festhalten, heißt es weiter. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns werde sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60% des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren.
Das letztgenannte Kriterium hatte bereits im Januar 2025 Eingang in die neu beschlossene Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission gefunden. Demnach dürfte das Papier wohl so zu verstehen sein, dass die gesetzlichen Leitlinien (§ 9 Abs. 1 MiLoG) für die Bestimmung des Mindestlohns ergänzt werden sollen – und zwar im Sinne der SPD. Sie hatte nämlich zumindest mittelbar in ihrem Wahlprogramm auf dieses Kriterium Bezug genommen, das sich in der (mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtigen!) EU-Mindestlohnrichtlinie findet. Punkt für die SPD.
Weiter geht es im Papier mit der folgenden Aussage: "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar." Nach der offenen Formulierung ist zwar noch nicht in Stein gemeißelt, wie ein gesetzlicher Mindestlohn in dieser Höhe erreicht werden soll. Es klingt so, dass kein weiterer (zumindest unmittelbarer) gesetzgeberischer Eingriff erfolgen soll, um die konkrete Höhe des Mindestlohns festzulegen. Vielmehr soll die Mindestlohnkommission diesen allein bestimmen – und das ist gut so! Die Höhe von 15 Euro findet sich im Wahlprogramm der SPD wieder – und nun auch im Ergebnis der Sondierung. Erneut ein Punkt für die SPD.
Tarifbindung und -treue: SPD setzt ihre Linie durch
Das Sondierungspapier greift das Thema Tarifbindung auf. "Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben“, heißt es. Deswegen werde man ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Dabei ist die Erhöhung der Tarifbindung eine Herzensangelegenheit der SPD, die sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Legislaturperioden mit SPD-Regierungsverantwortung zieht. Immer wieder wurden gesetzliche Anreize geschaffen, sich einer Tarifbindung zu unterwerfen, indem tarifgebundene Unternehmen "begünstigt" werden (§ 1 Abs. 1b S. 3 AÜG).
Diese SPD-Handschrift setzt sich nun im Ergebnis der Sondierungen fort – mit einem Tariftreuegesetz, das auf den letzten Metern der gescheiteren Ampel ebenfalls angedacht war, aber am Widerstand der FDP scheiterte. Auch im Wahlprogramm der SPD ist die Schaffung eines Tariftreuegesetz auf Bundesebene vorgesehen. Es setzt sich fort: Punkt für die SPD.
CDU erfolgreich mit Wochenhöchstarbeitszeit
Dagegen hat sich beim Thema Arbeitszeit die CDU durchgesetzt. Im Papier heißt es: "Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf." Dabei werde man die hohen Standards im Arbeitsschutz wahren und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten, so die Parteien.
Die Abkehr von der Tages- hin zu einer Wochenhöchstarbeitszeit ist eine Forderung der CDU. Interessanterweise hat sich jüngst auch die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, auf der jährlichen Pressekonferenz für einen Wechsel von der Tages- zu einer Wochenhöchstarbeitszeit ausgesprochen – ungewöhnlich, aber inhaltlich vollkommen richtig. Die Formulierung in dem Sondierungsergebnis ist aber wachsweich und könnte so interpretiert werden, dass eine im ArbZG zu verortende Wochenhöchstarbeitszeit nicht uneingeschränkt gelten soll (ggf. versehen mit einem Tarifvorbehalt). Die bisher im ArbZG vorgesehene elfstündige Ruhezeit wird hingegen nicht angepackt – was schade ist. Dennoch: Punkt für die Union.
Mehrarbeit und Überstunden: SPD und Union auf dünnem Eis
"Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt. Als Vollzeitarbeit gilt dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden."
Hier bewegen Union und SPD sich in einem Spannungsfeld zur aktuellen Rechtsprechung des EuGH und des BAG, nach der Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitkräften mit Blick auf die Zuschläge für Mehrarbeit bzw. Überstunden gerade nicht benachteiligt werden dürfen. Darf der Gesetzgeber etwas regeln, was dem Arbeitgeber gerade versagt ist? In diesem Zusammenhang stellen sich interessante, insbesondere verfassungsrechtliche Fragen. Die Differenzierung zwischen der tariflichen und der nicht tariflich festgelegten (höheren) Wochenarbeitszeit trägt die Handschrift der Sozialdemokraten. Daher: ein Punkt an die SPD.
KI: SPD setzt sich bei Mitbestimmungsrechten durch
Verhalten äußern sich Union und SPD dagegen bei einem Thema, das dringend einer Reform bedarf. "Für die steigenden Herausforderungen der Digitalisierung und der KI in der Arbeitswelt wollen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit diese sozialpartnerschaftlich gelöst werden", heißt es. "Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln."
Das BetrVG und die dort geregelte betriebliche Mitbestimmung sind reformbedürftig; dies gilt nicht nur für die Digitalisierung der Betriebsratswahlen. Die Ausführungen in dem Sondierungspapier klingen jedoch nicht nach einer entsprechenden Reform, sondern so, dass dem Betriebsrat weitere Mitbestimmungsrechte in Zusammenhang mit KI eingeräumt werden sollen. Das hatte die SPD schon in ihrem Wahlprogramm verlangt. Ob die Wirtschaft wirklich weitere echte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates benötigt, darf mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Dennoch: Punkt für die SPD.
Entgeltgleichheit: nichts Bahnbrechendes
"Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt und respektvoll miteinander leben – im Beruf, in der Familie und in der Politik. Dazu gehört gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Gesetzliche Schritte, um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir prüfen."
Das Thema Entgeltgleichheit ist wichtig. Im Wesentlichen dürfte es in dem Ergebnis der Sondierungen um die anstehende Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie gehen. Wann und wie dies erfolgen soll, wird im Ergebnispapier nicht erwähnt. Unentschieden.
Bürokratieabbau: im Sondierungspapier klaffen Lücken
Schließlich heißt es in dem Papier: "Überbordende Bürokratie werden wir zurückbauen, etwa durch die Abschaffung von Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten. Zudem werden wir die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsbeauftragten signifikant reduzieren. Wir orientieren uns dabei am Vorschlag des Normenkontrollrates, die Bürokratiekosten für die Unternehmen in den nächsten vier Jahren um 25 Prozent zu reduzieren."
Bürokratieabbau ist richtig und dringend erforderlich – nicht nur, aber auch und insbesondere im Arbeitsrecht. Sicherlich ist es ein guter Anfang, bei den Betriebsbeauftragten anzusetzen. Allerdings gibt es weitere bürokratische "arbeitsrechtliche Baustellen", die dringend angefasst werden müssen, im Ergebnispapier aber keine Erwähnung finden. An dieser Stelle sei nur auf die wenig praxistauglichen und hoch komplexen Regelungen zum Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen im NachwG verwiesen. Die Bestimmungen wurden zwar erst durch das Bürokratieentlastungsgesetz IV angepasst – nach zähem politischen Ringen, doch gehören sie dringend entrümpelt.
Zwar hat (endlich!) – zumindest im Grundsatz – die Textform Einzug in das NachwG gehalten, jedoch handelt es sich durch die zahlreichen gesetzlichen Ausnahmebestimmungen weiterhin um einen formtechnischen Flickenteppich, der angepasst und vereinheitlicht werden muss. Auch weitere im Arbeitsrecht geltende Formerfordernisse sollten mit Blick auf die Digitalisierung abgeschmolzen werden. Dies gilt in erster Linie für die Schriftform bei Befristungen (§ 14 Abs. 4 TzBfG).
Die Liste ließe sich – man ist geneigt zu sagen – endlos fortsetzen. Es sind in der Vergangenheit gute und kluge Vorschläge zu einem Bürokratieabbau im Arbeitsrecht gemacht worden (jüngst erneut von der BDA). Nur ein Bruchteil davon ist bislang umgesetzt worden. Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht an Ideen mangeln, wie in sinnvoller Art und Weise Bürokratie mit arbeitsrechtlich relevanten Bezügen über Bord geworfen werden kann, man muss es nur wollen.
Ein arbeitsrechtlicher Aufbruch sieht anders aus
Gesamtbetrachtend enthält das Ergebnis der Sondierungen aus arbeitsrechtlicher Sicht zahlreiche Punkte, die die SPD für sich verbuchen konnte. Die Union musste Federn lassen. Als wesentlichen Punkt kann sie für sich zumindest in Anspruch nehmen, dass das ArbZG von einer werktäglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden dürfte (aber wohl nicht uneingeschränkt) – das war es auch schon. Hier ist noch viel Luft nach oben.
Das Ergebnis kann vor diesem Hintergrund eher als ernüchternd bezeichnet werden. Ein arbeitsrechtlicher Aufbruch sieht anders aus. Es bleibt zu hoffen, dass im Rahmen der nunmehr beginnenden Koalitionsverhandlungen weitere, substanzielle arbeitsrechtliche Impulse Eingang in den Koalitionsvertrag finden werden. Themen gibt es zahlreiche – und diese gehören endlich angepackt. Viel Zeit haben sich Union und SPD dafür nicht gegeben. Spätestens am 24. März sollen die errichteten Arbeitsgruppen ihre Tätigkeit abgeschlossen haben. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
Dr. Alexander Bissels ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS in Köln.