Selfcare im Jurastudium

Wie Studierende dem Stress entkommen
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Jurastudierende leiden unter chronischem Stress. Das belegen Studien und Umfragen. Erste Universitäten haben bereits Hilfsangebote geschaffen, doch Stressbewältigung ist ein Dauerbrenner unter Studierenden. Pauline Brinkmann hat mit einer Coachin gesprochen, die Selfcare-Tipps gibt.

Den Druck, den das Jurastudium auf die meisten Studierenden ausübt, kann man kaum übersehen. Er begegnet Jurastudierenden überall, sei es in der Bibliothekstoilette, die mit Hilfetelefonnummern bepflastert ist, oder in Videos in den sozialen Medien, die den Titel tragen: "Die schlimmste Zeit meines Lebens". Eine Abbrecherquote von 25% spricht ebenfalls Bände. Die tatsächliche Studien- und Berufsrealität ist also das Gegenteil von dem durch die Medien romantisierten Bild eines lässigen Anwalts oder Jurastudenten. Vor Studienbeginn wissen das die Wenigsten, so das Ergebnis einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Jahr 2014.

Doch warum zerrt insbesondere das Jurastudium so sehr an den Nerven der Studierenden? Die Gründe, die zu diesem Druck führen, sind vielfältiger Natur: Einige beklagen die Tatsache, dass es schwierig ist, das Examen überhaupt zu bestehen und Studierende noch dazu im Falle des Scheiterns keine Anrechnungsmöglichkeit der bisherigen Leistungen hätten. Andere stören sich an dem Umstand, dass die Examensnote trotz des eingeschränkten Leistungsabbilds fast ausschließlich über die berufliche Zukunft entscheidet. Gemein ist aller Kritik jedoch der Ärger über den Aufbau des Studiums mit dem Examen am Ende, das wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Studierenden schwebt. Dieser Studienaufbau führt dazu, dass sich Studierende spätestens in der Examensvorbereitung massivem Druck ausgesetzt fühlen.

So gaben im Rahmen einer Umfrage des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften aus den Jahren 2020 und 2021 über ein Drittel der befragten Jurastudierenden an, dass ihre Gefühlslage im Jurastudium schlecht oder sehr schlecht gewesen sei. Auch Depressionen und Schlafstörungen gehörten zu dem Alltag der Studierenden, fand der Regensburger Psychologe Stefan Wüst im Rahmen seiner Studie JurSTRESS heraus.

Durchhaltevermögen ist nicht immer gesund

Doch wie können Studierende mit der belastenden Situation umgehen? "Man muss darauf achten seine natürliche Resistenz beizubehalten", sagt Coachin Felicitas Kapp. Kapp war selbst einige Jahre in einer Großkanzlei tätig und berät nun sowohl Examenskandidaten als auch Berufseinsteiger. Die größte Gefahr, so die Expertin, bestehe in der Aneignung einer sogenannten toxischen Resilienz, bei der man einen Zustand aushalte, der einem nicht guttue. Bleibe man länger in diesem Zustand, so nehme man eigene Bedürfnisse nicht mehr wahr und sei permanent im Anspannungs- und Leistungsmodus unterwegs. Das sei meist der erste Schritt in einen Burnout, so die Expertin.

Kapp ergänzt: "Das Durchhaltevermögen, das wir bei anderen in der Examensvorbereitung oft bewundern, die von morgens bis abends in der Bibliothek sitzen, ist tatsächlich das Schlechteste, was wir unserer Psyche antun können". Es sei darüber hinaus eine besonders ineffektive Art zu lernen. Besonders gefährlich sei es, dass die Studierenden sich in ihrer Vorbereitungszeit für das Examen Verhaltensmuster aneigneten, die sie, wenn sie ihnen nicht bewusst würden, mit ins Berufsleben zögen. "Manche verlieren vollkommen den Bezug zu den eigenen Bedürfnissen und zu sich selbst", so Kapp.

Konkrete Methoden zum Stressabbau entwickeln

Laut der Umfrage des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften würden knapp 49% der Jurastudierenden ihr Studium "eher nicht" weiterempfehlen. Die meisten Juristinnen und Juristen stellen sich selbst hin und wieder die Frage: "Würde ich es nochmal machen?". Doch sollte die Frage nicht eher lauten: "Würde ich es nochmal genauso machen?"

Laut der Umfrage haben 39% der befragten Jurastudierenden kaum oder gar keine Zeit für Entspannung oder Ausgleich neben dem Studium und satte 71% haben sich noch nicht aktiv mit Stressbekämpfung auseinandergesetzt, also keine klare Strategie bei diesem Thema.

Felicitas Kapp hat konkrete Ratschläge, wie Studierende mit akutem Stress umgehen können: Es sei wichtig, sich aus der Situation herauszunehmen und zu versuchen, die eigenen Bedürfnisse aus einer objektiven Perspektive zu betrachten. Kapp: "Die Grundbedürfnisse, wie ausreichend Schlaf und regelmäßiges Essen, werden oft vernachlässigt. Diese Erkenntnis sollte dann in Form von Selbstfürsorge konsequent umgesetzt werden."

Zudem helfe es, Gedanken zu identifizieren, die zusätzlichen Stress auslösten und zu hinterfragen, warum man diese Gedanken habe. Das könnte zum Beispiel sein: "Ich schaffe das nicht", "Ich bin nicht gut genug" oder "Andere bekommen das besser hin". Diese Gedanken führten häufig dazu, dass Studierende den Stress als negativ wahrnehmen, insofern helfe es zu differenzieren, welche Art von Stress man gerade habe. Der sogenannte Eustress begegnet uns bei Herausforderungen und hilft uns, unsere Bestleistung abzurufen. Der Distress hingegen ist negativer Stress, der uns schadet. Diesen können wir dadurch erkennen, dass wir uns gedanklich blockiert fühlen. Wir bekämpfen ihn am besten mit Ausdauersport, da wir dadurch Stresshormone abbauen können. Im besten Fall sollten Studierende eine positive und zielgerichtete Haltung einnehmen und sich nicht von Versagensängsten leiten lassen, so Kapp. Stattdessen könnten sie den Fokus auf bereits bestandene Prüfungen richten und so das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken.

Erste Unis bieten Hilfsangebote

Dass mentale Probleme im Jurastudium keine Seltenheit sind, zeigt auch das wachsende Kursangebot an den Universitäten, wie etwa an der Universität Freiburg oder der Universität Bayreuth, die mittlerweile spezielle Angebote zur mentalen Gesundheit für Jurastudierende schaffen. Schon in den unteren Semestern gibt es dort Workshops mit Titeln wie: "Mental gesund durchs Jurastudium", die helfen sollen, die psychische Belastung der Ausbildung besser zu bewältigen. Kapp, die selbst zunehmend Anfragen von Universitäten erhält, begrüßt diese Entwicklung. Doch klar ist auch, die Probleme können nicht mehr länger nach dem Gießkannenprinzip mit Hilfsangeboten kaschiert und auf die Studierenden abgewälzt werden. Vielmehr sind die Verantwortlichen für dieses System gefragt.

Diese Erkenntnis hält auch im deutschen Bildungssystem langsam Einzug. Es wird zunehmend auch von den Professorinnen und Professoren erkannt, dass es einer grundlegenden Reform des Studiums bedarf, um möglichst viele dringend benötigte Juristinnen und Juristen auszubilden. Hierzu entstanden in den vergangenen Jahren einige Initiativen und Forderungspapiere, wie "iur.reform" oder das "Hamburger Protokoll", die beispielsweise einen integrierten Bachelor vorschlugen. Dennoch wird im Hinblick auf mentale Gesundheit während des Studiums auch in den nächsten Jahren noch viel von der Eigeninitiative der Jurastudierenden abhängen. Dies schreit nach einem Fazit ganz nach dem Motto: Jura studieren kann jeder, wenn er nur weiß, wie. 

Pauline Brinkmann ist Diplom Juristin und promoviert im öffentlichen Recht. Während des Studiums hat sie für das Zastermagazin, Focus Online und Business Insider geschrieben.

Gastbeitrag von Pauline Brinkmann, 6. Februar 2025.

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