Nach langem Streit und zähen Verhandlungen hat sich das Bundeskabinett offenbar auf einen Handel geeinigt, um bei zentralen rechtspolitischen Koalitionsvorhaben einen Schritt voranzukommen. So haben sich Vertreter der Koalitionsparteien darauf verständigt, dass statt der vom EuGH für rechtswidrig befundenen Vorratsdatenspeicherung künftig ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren zum Einsatz kommen soll, das bereits in einem Referentenentwurf aus dem Justizministerium skizziert wurde.
Das Paket, auf welches sich die Koalition nun verständigt hat, sieht zudem eine Verlängerung der gegenwärtig zum 31.12.2025 auslaufenden Mietpreisbremse um weitere vier Jahre bis Ende 2029 vor. Dazu wird § 556d Abs. 2 S. 4 BGB entsprechend geändert. Die Mietpreisbremse sieht vor, dass die Miete bei Abschluss eines neuen Mietvertrags im Grundsatz nicht mehr als 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Entsprechende Medienberichte bestätigte gegenüber beck-aktuell der FDP-Abgeordnete und Stellvertretende Vorsitzende im Rechtsausschuss des Bundestags Thorsten Lieb.
Vorratsdatenspeicherung seit 2017 nicht mehr angewendet
Beide Punkte waren bereits im Ampel-Koalitionsvertrag – in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung jedoch nur in groben Zügen – enthalten, anschließend jedoch zwischen den Parteien lange umstritten gewesen. So bevorzugte das SPD-geführte Innenministerium eine befristete (anlasslose) Vorratsdatenspeicherung gegenüber dem Quick-Freeze-Verfahren, bei dem erst bei einem Verdacht der Provider kontaktiert und zum Einfrieren der vorhandenen Verkehrsdaten in Bezug auf eine konkrete Person verpflichtet werden kann. Erst jüngst hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) noch für eine neue, rechtskonforme Regelung für eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten der Telekommunikation geworben. Die Vorratsdatenspeicherung wird bereits seit 2017 nicht mehr angewendet, da sie durch den EuGH für rechtswidrig erklärt worden ist.
Hinsichtlich einer Neuregelung heißt es im Koalitionsvertrag nur, man wolle "die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können." Thorsten Lieb erklärte, aus Sicht seiner Fraktion sei damit eine weitere Vorratsdatenspeicherung nach dem Wunsch des Innenministeriums ausgeschlossen.
Wesentliche Teile der Mietrechts-Anpassung nicht in Kompromiss enthalten
Andere im Koalitionsvertrag vereinbarte Punkte in Bezug auf das Mietrecht werden dagegen zunächst nicht umgesetzt. So sollte ursprünglich die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen von 15 auf 11% abgesenkt und der Ermittlungszeitraum bei Mietspiegeln von sechs auf sieben Jahre erweitert werden. "Beides ist nicht Teil des Pakets und kommt damit nicht ins parlamentarische Verfahren", erklärte Lieb gegenüber beck-aktuell.
In Anbetracht der angespannten wirtschaftlichen Situation insgesamt und des überhitzten Wohnungsmarktes sei es "keine kluge Zeit, um Investitionen durch noch intensivere Eingriffe in die Vertragsfreiheit zu bremsen", so Lieb. Er rechne auch nicht damit, dass sich die Situation bis zum Ende der Legislaturperiode fundamental ändern werde. Eine spätere Nachverhandlung, wie sie unter anderem von der parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast bereits erwogen wurde, kommt für ihn damit nicht infrage: "Ich sehe für mich keine Veranlassung, das Paket im parlamentarischen Verfahren nochmal aufzumachen", bekräftigte Lieb, der selbst Berichterstatter seiner Fraktion für beide Themen ist. Die FDP will demnach auch in der parlamentarischen Beratung an der Verbindung von Miet- und Sicherheitsrecht festhalten.
Der Deutsche Mieterbund kritisierte in einer Stellungnahme am Mittwoch, die bloße Verlängerung der Mietpreisbremse sei nicht ausreichend, weitere Verbesserungen dringend notwendig. "Hier muss die Ampel und insbesondere die FDP zu ihrem Wort im Koalitionsvertrag stehen. Wir verlassen uns darauf, dass die Regierung ihre Hausaufgaben für diese Legislatur vollständig erledigt", kommentierte der Präsident Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, die Medienberichte über die Einigung.
Quick-Freeze: Lob vom DAV, Kritik von Union, auch BKA mit Zweifeln
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, zeigte sich froh über die Einigung zum Quick-Freeze-Verfahren. Dies stelle "eine Abkehr von anlasslosen Massendatenspeicherungen und einen entscheidenden Schritt in Richtung einer die Strafverfolgung verbessernden und zugleich verhältnismäßigen, die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger achtenden Sicherheitspolitik dar". Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßte in einer Stellungnahme ebenfalls die Ampel-Pläne diesbezüglich: "Mit der Kabinettsentscheidung ist das leidige Thema der anlasslosen IP-Speicherung endlich vom Tisch. Eine solche Massenüberwachung hat keinen Platz im liberalen Rechtsstaat", heißt es in der Mitteilung vom Mittwoch. "Das weniger invasive Quick-Freeze-Verfahren ist hier eindeutig der bessere Weg. (…) Die Verhältnismäßigkeit darf bei der Kriminalitätsbekämpfung nie aus dem Blick geraten. Deswegen ist es richtig, dass einer verdachtsunabhängigen IP-Speicherung eine Absage erteilt wird."
Aus der Union und den Sicherheitsbehörden kam als Reaktion auf die bekannt gewordene Einigung indes scharfe Kritik. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), zweifelt am Mehrwert des Quick-Freeze-Verfahrens, das zur Terrorabwehr und zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs nicht ausreichend sei: "Damit hat die FDP sich wieder einmal mit ihrem Konzept Datenschutz vor Opferschutz durchgesetzt", so Throm. SPD-Innenressortchefin Faeser sei "als Ministerin gescheitert". Auch das BKA äußerte Zweifel an dem Verfahren: "Für die Identifizierung eines noch unbekannten Tatverdächtigen selbst bietet das Quick-Freeze-Verfahren keinen Nutzen, sofern die relevanten Daten zum Zeitpunkt des Auskunftsersuchens nicht mehr oder unvollständig gespeichert sind", teilte die Behörde mit.
Vorratsdatenspeicherung soll wohl als "totes Recht" bleiben
Wie FDP-Berichterstatter Lieb gegenüber beck-aktuell bestätigte, soll jedoch die bestehende, gegenwärtig nicht mehr angewendete Vorratsdatenspeicherung keineswegs aus dem Gesetz gestrichen werden. Der Gesetzestext bleibe demnach gewissermaßen als "totes Recht" stehen. Zurück geht dies offenbar auf die SPD-Fraktion, die gerne an der Vorratsdatenspeicherung festgehalten hätte. Was bringt aber ein Gesetz, das nicht angewendet werden kann? Lieb kann darüber nur spekulieren, vermutet aber, dass sich dahinter die Hoffnung verbirgt, dass sich die Perspektive der Justiz womöglich in Zukunft ändert.
Grund dafür, dass nach langem Streit nun plötzlich Bewegung in die Dinge kam, waren nach Informationen von beck-aktuell Gespräche an höchster Stelle in der Koalition. Demnach soll die Einigung nicht zwischen Justiz- und Innenressort allein, sondern auf Vermittlung des Kanzleramts zustande gekommen sein, um die lange Blockade bei beiden Themen aufzulösen.
Aus Sicht der FDP-Fraktion sei damit nun eine "kluge Lösung" gelungen, lobte Thorsten Lieb den Kompromiss. Es sei "wichtig, dass die Dinge jetzt wieder zu Ende gebracht werden, weil es so lange in der Diskussion war". Gut möglich, dass die Beschleunigung auch durch die anstehenden Wahlen in diesem Jahr motiviert ist. Die Regierung, der oftmals vorgeworfen wird, sich selbst zu sabotieren, könnte damit bei zwei wichtigen rechtspolitischen Themen Handlungsfähigkeit demonstrieren – wenn nicht doch noch einmal nachverhandelt wird.