Regelung zur Vorratsdatenspeicherung liegt bislang auf Eis
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung war und ist vermutlich auch weiter hoch umstritten. Es geht um die Frage, ob Internetprovider und Telekommunikationsanbieter die Daten ihrer Kunden - also beispielsweise IP-Adressen und Rufnummern - für den Zugriff von Behörden speichern müssen. Das sieht das Telekommunikationsgesetz vor, das derzeit auf Eis liegt. Während Sicherheitspolitiker darin ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus sehen, halten Bürgerrechtler und Verbraucherschützer das für einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre. Hintergrund des Urteils ist ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom, die sich gegen die Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz wehren. Die Bundesnetzagentur hatte diese Regelung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der Daten verpflichtet werden darf. Das war wenige Tage, bevor die neue Regel eigentlich in Kraft treten sollte.
TKG verpflichtet eigentlich zur Vorratsdatenspeicherung
Abgesehen von bestimmten Ausnahmen verpflichtet das TKG die Betreiber öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste eigentlich – insbesondere zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die nationale Sicherheit – zu einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten der Endnutzer dieser Dienste für eine Dauer von mehreren Wochen. Das inzwischen mit den beiden Verfahren befasste Bundesverwaltungsgericht wollte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht.
EuGH kippte bereits Regelungen anderer Länder
Nun hat der EuGH entschieden - wieder einmal, muss man sagen, denn der Gerichtshof hat bereits in den vergangenen Jahren regelmäßig über die Vorratsdatenspeicherung in verschiedenen Ländern geurteilt und die nationalen Regelungen meistens gekippt. Die Linie der Richter war dabei recht eindeutig: Das anlasslose Speichern von Kommunikationsdaten verstößt demnach grundsätzlich gegen EU-Recht. Eine Ausnahme ließen sie nur bei einer akuten Bedrohung der nationalen Sicherheit gelten. In diesem Fall kann eine zeitlich begrenzte, begründete Datenspeicherung zulässig sein. Der Begriff der nationalen Sicherheit wird aber eng gefasst: Erst im April entschied der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in Irland, dass schwere Straftaten wie Mord nicht darunter fallen. In seinem Gutachten zum vorliegenden deutschen Fall bekräftigte schon der EuGH-Generalanwalt die vorherigen Urteile und stärkte die Position von Datenschützern.
Deutsche Regelung hat keinen Bestand
Dieser Linie blieb der EuGH nun weiter treu. Er bestätigte, dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegensteht, es sei denn, es liegt eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vor. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könnten die Mitgliedstaaten jedoch unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen. Die im TKG vorgesehene Pflicht zur Vorratsspeicherung erstrecke sich auf einen umfangreichen Satz von Verkehrs- und Standortdaten, der im Wesentlichen den Datensätzen entspeche, die der EuGH schon in früheren Urteilen behandelt habe.
Zugangsbeschränkungen zu Daten können schwerwiegenden Eingriff nicht beseitigen
Ein solcher Satz von Verkehrs- und Standortdaten, die zehn bzw. vier Wochen lang gespeichert werden, könne sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten gespeichert wurden – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren –, und insbesondere die Erstellung eines Profils dieser Personen ermöglichen. In Bezug auf die im TKG vorgesehenen Garantien, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollen, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Vorratsspeicherung dieser Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern. Daraus folge, dass nationale Rechtsvorschriften, die die vollständige Einhaltung der Voraussetzungen gewährleisten, die sich im Bereich des Zugangs zu auf Vorrat gespeicherten Daten aus der Rechtsprechung ergeben, naturgemäß den schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen, der sich aus der allgemeinen Vorratsspeicherung dieser Daten ergeben würde, weder beschränken noch beseitigen können. Die deutsche Regelung hat nach dem EuGH-Urteil in seiner jetzigen Form keinen Bestand mehr. Nun geht der Fall zurück an das Bundesverwaltungsgericht. Das müsste feststellen, dass die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Recht verstoßen. Die Bundesregierung müsste dann die Vorgaben des EuGH in einem neuen Gesetz beachten.
EuGH nennt zulässige Formen der Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten
Der EuGH formuliert aber auch, in welchen Konstellationen Verkehrs- und Standortdaten doch gespeichert werden dürfen: Das Unionsrecht stehe nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht. Eine solche Anordnung könne durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle kontrolliert werden und dürfe nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergehen. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien könne anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorgesehen werden. Gleiches gelte für eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind. Möglich seien auch Regelungen, die zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen oder es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und, a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.
Koalition muss sich neu positionieren
Schon vor dem Urteilsspruch war klar, dass es in der Koalition schwierig werden wird, künftig für eine Neuregelung eine gemeinsame Linie zu finden. Denn in den Koalitionsverhandlungen hatte die FDP mit Macht auf eine Vereinbarung zur Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung gedrungen. Die Grünen sehen dieses Instrument ebenfalls kritisch. Anders positioniert sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin hatte kürzlich beim Jahresempfang der Sicherheitsbehörden betont, Polizei und Verfassungsschutz bräuchten Eingriffsbefugnisse auf der Höhe der Zeit. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP landete im vergangenen Herbst schließlich eine Formulierung, die viele Fragen offenlässt. Dort heißt es: "Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können." Genau das wird nun schwierig werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ist ein entschiedener Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Er setzt stattdessen auf ein Quick-Freeze-Verfahren mit Richtervorbehalt. Das bedeutet, dass ein Telekommunikationsanbieter auf richterliche Anordnung bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum speichern müsste. Dieses Verfahren hat auch der EuGH in den vergangenen Jahren als rechtmäßig beurteilt. Im Koalitionsvertrag ist Quick Freeze allerdings nicht explizit erwähnt. Viele Ermittler halten dieses Verfahren zudem für keine brauchbare Alternative zur Vorratsdatenspeicherung - etwa wenn es darum geht, Menschen aufzuspüren, die im Internet Darstellungen vom sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen tauschen.