AfD gegen Verfassungsschutz: Scharfe Töne am ersten Verhandlungstag
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v.l.n.r.: Christian Conrad, Roman Reusch und Carsten Hütter / © Guido Kirchner / dpa

Seit Dienstag streiten die AfD und der Verfassungsschutz vor dem OVG Münster darüber, ob die Einstufung der Partei, des "Flügels" und der Jungen Alternative als rechtsextremistischer Verdachtsfall Bestand hat. Der Prozess startete mit Vertagungs- und Befangenheitsanträgen. Ab nachmittags ging es dann zur Sache: Was darf der Verfassungsschutz? Und was darf er über eine Partei sagen? 

Mit Vorbehalten gegen das Gericht und der Benennung zahlreicher Zeugen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD im Berufungsverfahren der Partei gegen den Inlandsgeheimdienst mehrere Stunden gefüllt. Die Partei von Alice Weidel und Tino Chrupalla will vor dem OVG Münster erreichen, dass der Verfassungsschutz seine Einstufung der AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz (Az. 5 A 1218/22), die Einstu­fung des sogenannten "Flügel" als Verdachtsfall und als gesichert extremistische Bestrebung (Az. 5 A 1216/22) sowie die Einstufung der Jungen Alternative für Deutschland als Verdachtsfall (Az. 5 A 1217/22) aufhebt.

Noch bevor das Gericht in die inhaltliche Auseinandersetzung einsteigen konnte, forderte der Anwalt der AfD eine Vertagung. Es sei nicht möglich gewesen, in der Kürze der Zeit auf die im Januar eingereichten rund 4.200 Seiten Dokumente und 116 Stunden Videomaterial entsprechend einzugehen, sagte Christian Conrad von der Kanzlei Höcker. Zudem forderte der Rechtsanwalt Einsicht in Gutachten zur AfD aus Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in eine bislang nicht veröffentlichte neue Einschätzung zur Gesamtpartei durch das Bundesamt. Diese Anträge lehnte der Senat ebenso ab wie den anschließend von Conrad gestellten auf Ablehnung des Senats wegen angeblicher Befangenheit, den er darauf stützte, dass der den ersten Antrag abgelehnt habe. 

Der Vorsitzende Richter Gerald Buck warf der AfD Rechtsmissbrauch vor. Die Partei habe keine neuen Argumente aufgeführt. Der Antrag gegen den gesamten Senat sei pauschal und offensichtlich grundlos gestellt worden. Am Vormittag mussten Beobachterinnen und Beobachter zwischenzeitlich den Gerichts"saal" verlassen, weil die AfD für einen bestimmten Punkt, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Inhalte betraf, Medienvertreterinnen und Zuschauer ausschließen lassen wollte. Dem folgte der Senat nicht, die Zuschauer und Zuschauerinnen durften zurückkehren. Die Verhandlung fand wegen des großen öffentlichen Interesses in der Eingangshalle des Gerichts statt. 

AfD-Vertreter sieht keine Rechtsgrundlage für Beurteilung

Der 5. Senat soll klären, ob das Urteil aus der Vorinstanz am VG Köln Bestand hat. Das BfV mit Sitz in Köln hatte die Partei sowie die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Die Richterinnen und Richter in Köln hatten diese Sicht im Jahr 2022 bestätigt. Entsprechend dürfen Partei und JA seitdem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden.

Laut einem Thread des SWR-Rechtsjournalisten Christoph Kehlbach ging es erst um 13:26 Uhr inhaltlich los. Allein neun Beweisanträge betrafen demnach die Frage, ob es bereits ein fertig gestelltes Folgegutachten des BfV gibt. Solche Gerüchte machten in den vergangenen Wochen die Runde. Ein Vertreter des Bundesamtes betonte hingegen vor Gericht, die neue Einschätzung der AfD durch seine Behörde sei noch nicht final - "es gibt kein fertiges Gutachten". Die Anwälte der AfD bemühten sich, die aktuelle Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes in den Mittelpunkt des Verfahrens zu rücken und Informationen über den etwaigen Einsatz von verdeckten Ermittlern und sogenannten V-Personen (Informanten aus dem Umfeld der Partei) zum Thema zu machen. 

Die AfD stellte zudem infrage, ob das Bundesamt für die Beurteilung der Partei überhaupt eine gesetzliche Grundlage hat. Entscheidend sei allein das Grundgesetz, das den Parteien eine besondere Rolle in der Demokratie zuspricht. Die Einstufung durch den Inlandsgeheimdienst, gegen den sich die AfD vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster wehrt, bezieht sich auf Regeln im Bundesverfassungsschutzgesetz. Eine der dort festgehaltenen Aufgaben des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Was darf der Verfassungsschutz sagen?

Laut Kehlbach stellte der AfD-Anwalt sich auf den Standpunkt, die Maßstäbe der presserechtlichen Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung müssten auch für den Verfassungsschutz gelten, die Partei hätte also angehört werden müssen, bevor das BfV die Öffentlichkeit darüber informierte, dass die AfD nun ein "Verdachtsfall" sei. Der Prozessvertreter des BfV, Wolfgang Roth von Redeker Sellner Dahs, bezog sich auf das Bundesverfassungsschutzgesetz, das eine solche Anhörung nicht vorsehe, der AfD-Vertreter monierte, den gesetzlich nicht definierten Begriff des Verdachtsfalls dürfe man nicht kommunizieren.  Die Begriffe "verfassungsfeindlich" und "verfassungswidrig" würden auch medial immer mal wieder "wild durcheinander" verwendet. Er sprach von Taschenspielertricks, wenn der Verfassungsschutz die AfD als verfassungsfeindlich bezeichnet. "Das ist schwierig, wenn es um politische Parteien geht, die am politischen Wettbewerb teilnehmen und unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen", sagte Conrad. Die Partei werde bei ihrer Arbeit behindert, wenn sie so vom Staat öffentlich bezeichnet wird. Für juristische Laien klinge "verfassungsfeindlich" sehr schlimm, auch wenn dies gar keine rechtlich relevante Einschätzung sei.

Das Kölner Gericht hatte in erster Instanz auf Gutachten und Materialsammlungen des Verfassungsschutzes verwiesen. Auch Aktivitäten der Jugendorganisation flossen in die Bewertung ein. Sowohl im formal aufgelösten Flügel als auch in der JA sei ein ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und müssten "Fremde" möglichst ausgeschlossen werden, hieß es in der Entscheidung des VG Köln. Das stehe im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes. Es gebe auch Verlautbarungen, in denen "Umvolkungs"- und "Volkstod"-Vorwürfe erhoben würden. Außerdem sei eine ausländerfeindliche Agitation zu erkennen. Von der AfD-Spitze waren der frühere Bundestagsabgeordnete Roman Reusch und Bundesschatzmeister Carsten Hütter in Münster im Gericht.

Das OVG Münster hat für Mittwoch noch einen zweiten Verhandlungstag angesetzt. Wann es ein Urteil geben wird, war am Dienstag noch offen. Die Klägerin stellte sich offensichtlich auf eine Marathon-Sitzung ein. Jedenfalls ließ sich das Team der AfD - auf eigene Rechnung - Kekse und Getränke in den Gerichtssaal liefern.

AfD-Bundesvorsitzender: "Entscheidung nach zwei Tagen wäre schon Revisionsgrund"

Der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende, Peter Boehringer, hatte vor Beginn der Verhandlung im Deutschlandfunk auf die Frage, wie die Partei mit einer Niederlage umgehen würde, geantwortet, angesichts des Umfangs der zu klärenden Fragen wäre eine Entscheidung nach maximal zwei Tagen mündlicher Verhandlung allein schon Grund für eine Revision.

Das BVerwG würde die Entscheidung des OVG allerdings lediglich auf mögliche Rechtsfehler hin prüfen. Inhaltliche Fragen spielen dort keine Rolle mehr. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, sagte in Berlin zur Verhandlung in Münster: "Ich sehe das ganz gelassen. Wir gucken, was dabei rauskommt und dann gehen wir weiter unseren Weg."

Begleitet wurde der Verhandlungsauftakt von Protesten gegen die AfD in der Innenstadt von Münster. Die Polizei hatte das Gerichtsgebäude weiträumig abgesperrt.

Redaktion beck-aktuell, jvh, 12. März 2024 (dpa).