Neo­na­zi-Per­son lässt Ge­schlecht än­dern: Selbst­be­stim­mung ad ab­sur­dum?
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Eine Per­son aus dem Neo­na­zi-Mi­lieu hat ihren Per­so­nen­stand zum weib­li­chen Ge­schlecht än­dern las­sen, was die Frage auf­wirft, ob sie im Fall einer rechts­kräf­ti­gen Ver­ur­tei­lung in einem Frau­en­gefäng­nis un­ter­ge­bracht würde. Der Fall il­lus­triert eine Leer­stel­le eines Ge­set­zes, doch ist der Staat so ein­fach aus­zu­trick­sen?

Sven Lie­bich war frü­her der Name einer Per­son, die dem neo­na­zis­ti­schen Mi­lieu zu­ge­ord­net wird. Nun hat sie – so be­rich­ten es di­ver­se Me­di­en – ihren Ge­schlechts­ein­trag än­dern las­sen und nennt sich fort­an Marla-Sven­ja. Mög­lich macht dies das Selbst­be­stim­mungs­ge­setz (SBGG), wel­ches unter der Ampel-Ko­ali­ti­on be­schlos­sen wurde und seit dem 1. No­vem­ber 2024 in Kraft ist. Die­ses er­laubt es, den Ge­schlechts­ein­trag ohne die zuvor noch not­wen­di­gen Be­gut­ach­tun­gen – und somit mehr oder we­ni­ger ohne große Hür­den – zu än­dern.

Nun for­dert Lie­bich nicht nur, mit dem neuen, weib­li­chen Namen an­ge­spro­chen zu wer­den – sie könn­te auch in einem Frau­en­gefäng­nis un­ter­ge­bracht wer­den. Diese Frage wird sich je­den­falls stel­len, falls ihre Ver­ur­tei­lung wegen Volks­ver­het­zung und an­de­rer De­lik­te zu einer Frei­heits­stra­fe von einem Jahr und sechs Mo­na­ten ohne Be­wäh­rung rechts­kräf­tig wird. Gegen das Ur­teil des LG Halle vom Som­mer 2024 hat Lie­bich Re­vi­si­on ein­legt. 

Viel spricht ge­gen­wär­tig dafür, dass es sich bei der for­ma­len Ge­schlechts­än­de­rung nicht um einen Aus­druck der von Lie­bich emp­fun­de­nen ge­schlecht­li­chen Iden­ti­tät han­delt, son­dern um eine ge­ziel­te Pro­vo­ka­ti­on einer Per­son, die in der Ver­gan­gen­heit vor "Trans­fa­schis­mus" warn­te und quee­re Men­schen als "Pa­ra­si­ten der Ge­sell­schaft" be­schimpf­te, wie die Mit­tel­deut­sche Zei­tung be­rich­tet. Da wirkt auch Lie­bichs Be­teue­rung ge­gen­über der Zei­tung, Angst vor Dis­kri­mi­nie­rung zu haben, wenig glaub­wür­dig. So sieht es auch die Deut­sche Ge­sell­schaft für Trans*- und Inter*ge­schlecht­lich­keit e.V., die den Fall in einer Pres­se­mit­tei­lung an­spricht: "Wer aber die Zu­ge­hö­rig­keit zur Grup­pe trans­ge­schlecht­li­cher Men­schen durch Per­so­nen­stands­än­de­rung er­klärt, nach­dem er sie zuvor mit volks­ver­het­zen­den Äu­ße­run­gen be­dacht hat und dafür rechts­kräf­tig ver­ur­teilt wurde, dem darf man un­lau­te­re Mo­ti­ve un­ter­stel­len."

Ver­letzt Be­richt­erstat­tung das Of­fen­ba­rungs­ver­bot?

Grund­sätz­lich soll­te das SBGG recht­li­che Hür­den ab­bau­en und ein nied­rig­schwel­li­ges Ver­fah­ren schaf­fen, um das ei­ge­ne Ge­schlecht for­mal – und auch mit recht­li­cher Bin­dungs­wir­kung – zu än­dern. Dies führ­te be­reits im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu Sor­gen um einen Miss­brauch der neuen Mög­lich­kei­ten, etwa um in Schutz­räu­me für Frau­en ein­zu­drin­gen. Doch wie geht man mit einem Fall um, in dem – ein­mal un­ter­stellt – je­mand mit queer­feind­li­chen Über­zeu­gun­gen das SBGG nutzt, wel­ches das Leben für Men­schen, die tat­säch­lich mit ihrem Ge­schlecht ha­dern, ein­fa­cher ma­chen soll­te, um es in Miss­kre­dit zu brin­gen? 

Diese Frage stellt sich ei­ner­seits für Be­hör­den und Ge­rich­te – hier etwa die Straf­voll­zugs­be­hör­den und die Voll­stre­ckungs­kam­mern – aber auch für Pri­va­te, wie etwa Me­di­en­häu­ser, die über den Fall be­rich­ten. Ist die­ser Text hier be­reits ein Ver­stoß gegen das Ge­setz, das in § 13 I SBGG ein Of­fen­ba­rungs­ver­bot eta­bliert, wo­nach der vor­he­ri­ge Ge­schlechts­ein­trag und der Vor­na­me ohne Zu­stim­mung der be­tref­fen­den Per­son nicht of­fen­bart oder aus­ge­forscht wer­den dür­fen?

Nicht un­be­dingt, denn § 13 SBGG kennt auch eine Aus­nah­me für den Fall, dass be­son­de­re Grün­de des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses vor­lie­gen. "Das könn­te man hier be­ja­hen, weil ja eine Dis­kus­si­on dar­über ent­stan­den ist, ob hier das Selbst­be­stim­mungs­ge­setz durch Sven­ja Lie­big zu po­li­ti­schen Zwe­cken per­ver­tiert oder miss­braucht wird", er­läu­tert Thors­ten Feld­mann, Fach­an­walt für Ur­he­ber- und Me­di­en­recht bei JBB Rechts­an­wäl­te in Ber­lin. "Das ist na­tür­lich eine po­li­ti­sche Dis­kus­si­on. Und da ist die Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit das be­son­de­re In­ter­es­se, das die­sem § 13 dann ent­ge­gen­steht." Somit dürf­te in die­sem Fall die Tür ge­öff­net sein, um über Lie­bichs Ge­schlechts­ein­trag zu be­rich­ten, da er ge­ra­de ein öf­fent­li­ches Thema ge­wor­den ist. Feld­mann hat aber be­reits Zwei­fel daran, ob in der Be­richt­erstat­tung über den Fall über­haupt eine Of­fen­ba­rung zu sehen ist, da Lie­bich sich schlie­ß­lich selbst ge­gen­über Me­di­en zu ihrer Per­so­nen­stands­än­de­rung ge­äu­ßert habe.

Lie­bich muss ver­mut­lich in Män­ner-Voll­zug

Eine ganz an­de­re Frage ist hin­ge­gen, wie die zu­stän­di­ge Voll­zugs­be­hör­de – soll­te Lie­bichs Re­vi­si­on er­folg­los blei­ben – mit der Än­de­rung um­zu­ge­hen hätte. Nach § 6 I SBGG hat die Än­de­rung des Ge­schlechts­ein­trags bin­den­de Wir­kung, so­weit er im Rechts­ver­kehr re­le­vant ist. Gleich­wohl haben sich die Miss­brauchs­be­fürch­tun­gen auch im Ge­setz nie­der­ge­schla­gen, wes­halb § 6 Abs. 2 und 3 SBGG vor­se­hen, dass die Ver­trags­frei­heit und das Haus­recht Pri­va­ter – etwa eines Fit­ness­stu­dio­be­trei­bers – wie auch die Ver­bands­au­to­no­mie von Sport­ver­bän­den un­be­rührt blei­ben. § 9 SBGG sieht zudem vor, dass je­mand hin­sicht­lich der Wehr­pflicht im Span­nungs- und Ver­tei­di­gungs­fall trotz Ge­schlechts­än­de­rung wei­ter­hin dem männ­li­chen Ge­schlecht zu­ge­ord­net wer­den kann. Auch einem spon­ta­nen Ge­schlechts­wech­sel, um eine Quote zu er­fül­len, ist ein Rie­gel vor­ge­scho­ben. Was je­doch bei einem ver­mu­te­ten Miss­brauch gilt, sagt das Ge­setz nicht, eben­so ent­hält es keine Re­geln für den Straf­voll­zug.

Die Staats­an­walt­schaft Halle stellt sich auf den Stand­punkt, dass Lie­bich mit der Ge­schlechts­ein­trags­än­de­rung nicht un­be­dingt einen An­spruch auf Un­ter­brin­gung im Frau­en-Voll­zug er­wor­ben hat: "Es gibt kei­nen Au­to­ma­tis­mus, dass ein Mann nach Ge­schlechts- und Na­mens­än­de­rung in den Frau­en-Voll­zug kommt. Es wird in jedem Fall eine Ein­zel­fall­prü­fung geben", zi­tiert der RND die Staats­an­walt­schaft. Der Rechts­an­walt und Ex­per­te für Straf­voll­zugs­recht Tho­mas Galli stimmt dem ge­gen­über beck-ak­tu­ell zu: "Der Straf­voll­zug muss und kann jeden Ein­zel­fall ent­schei­den. In die Er­mes­sens­ent­schei­dung ist die Wahl des Ge­schlechts nach dem Selbst­be­stim­mungs­ge­setz ein­zu­be­zie­hen, aber nicht al­lei­ne aus­schlag­ge­bend", meint Galli. So seien die Voll­zugs­an­stal­ten schlie­ß­lich auch für die an­de­ren männ­li­chen und weib­li­chen In­haf­tier­ten ver­ant­wort­lich, und müss­ten z. B. die weib­li­chen In­haf­tier­ten vor Män­nern schüt­zen, die nur zum Schein das an­de­re Ge­schlecht an­näh­men. "Es wäre also aus mei­ner Sicht nicht sinn­voll, die Form der Un­ter­brin­gung al­lein der Ent­schei­dung des oder der In­haf­tier­ten zu über­las­sen", so Galli. Im Fall Lie­bich gehe auch er davon aus, dass es sich um einen Miss­brauch des SBGG han­de­le und Lie­bich im Män­ner­voll­zug un­ter­ge­bracht werde, wo man die Per­son ggf. weit­ge­hend von an­de­ren In­haf­tier­ten tren­nen könn­te.  

Denk­bar wäre es für Galli per­spek­ti­visch auch, ei­ge­ne Voll­zugs­ab­tei­lun­gen für Trans-Per­so­nen zu schaf­fen, "wobei dann in Zwei­fels­fäl­len auch das Pro­blem auf­taucht, wer dort un­ter­ge­bracht wer­den kann". Er sehe je­den­falls die Jus­tiz­voll­zugs­ge­setz­ge­ber ge­for­dert, die Pro­ble­ma­tik recht­lich in Zu­kunft bes­ser zu fas­sen. Ge­schaf­fen wor­den ist die Pro­ble­ma­tik al­ler­dings nicht erst durch das SBGG, wie die TAZ rich­ti­ger­wei­se be­merkt. So war auch zuvor der Um­gang mit In­haf­tier­ten, die sich bspw. als nicht-binär ver­ste­hen, für die Voll­zugs­an­stal­ten mit gro­ßen Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den. Hier­für hat es nicht erst den Fall Lie­big ge­braucht.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 21. Januar 2025.

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