Geklagt hatte der Insolvenzverwalter Michael Jaffé, der durch das Vorgehen Geld für die Gläubiger des untergegangenen Finanzdienstleisters sichern will. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Prozessbeobachter rechnen damit, dass es Berufungen geben wird. Die Vorstände, konkret der Finanz- und der Produktvorstand sowie der Vorstandsvorsitzende Markus Braun hatten geltend gemacht, ihre Pflichten nicht oder jedenfalls nicht schuldhaft verletzt zu haben. Die Entscheidungen seien durch das Unternehmensinteresse gerechtfertigt gewesen.
Das LG sieht dies anders (Urteil vom 05.09.2024 – 5 HK O 17452/21): Es wirft allen drei Vorstandsmitgliedern vor, fahrlässig ihre Pflichten bei der Geschäftsführung verletzt zu haben. Im Fokus: Die Vergabe eines Darlehens in Höhe von 100 Millionen Euro, das nach dem Vertragsinhalt dem Aufbau eines MCA-Geschäfts in Asien dienen sollte. Beim Merchant Cash Advanced-Geschäft (MCA) im engeren Sinn, um das es hier geht, erhält der Händler eine Art Betriebsmittelkredit, der dadurch zurückgezahlt wird, dass von den künftig abgewickelten Kredikartenzahlungen Anteile sukzessive einbehalten werden.
Erste Pflichterverletzung: Darlehen nicht besichert
Die zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung sahen die Münchener Richter und Richterinnen darin, dass dieses Darlehen nicht besichert wurde. Eine ungesicherte Kreditvergabe an einen finanzschwachen Vertragspartner werteten sie als unvertretbares Risiko und als gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmanns verstoßend.
Zwar hatten die Vorstandsmitglieder sich darauf berufen, es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass die Darlehensnehmerin nicht liquide sei. Ihnen hätten aber keine hinreichenden Unterlagen zur Prüfung der Kapitaldienstfähigkeit vorgelegen, wendet das LG München I ein. Andere Unterlagen in Bezug auf die Liquidität hätten immer nur im Jahr 2018 ausgereichte Darlehen zum Gegenstand gehabt.
Da auf das streitgegenständliche Darlehen 60 Millionen Euro aus der Zeichnung einer Schuldverschreibung getilgt wurden, sei der Wirecard AG aus diesem Komplex ein Schaden in Höhe von 40 Millionen Euro entstanden. Die Darlehensnehmerin sei nämlich insolvent und es seien keine Zahlungen zu erwarten. Rückzahlungen auf andere Kredite hält das LG für ungeeignet, um den Schaden zu verringern.
Zweite Pflichtverletzung bei Zeichnung von Schuldverschreibungen
Eine zweite fahrlässig begangene Pflichtverletzung der Vorstände bejaht das LG im Zusammenhang mit der Zeichnung von Schuldverschreibungen. Der Schaden hier: 100 Millionen Euro, entstanden dadurch, dass die Vorstände vor der Zeichnung eine Financial Due Diligence zur Überprüfung der Werthaltigkeit und Existenz der verbrieften Forderungen sowie der Solvenz des Sicherungsgebers unterließen - und zwar entgegen anwaltlichem Rat. Sie hätten damit den "objektivierten branchenüblichen Standard" nicht eingehalten. Dass der mandatierte Rechtsanwalt erklärt haben soll, aus rechtlicher Hinsicht gebe es keine "Dealbreaker", entkräfte den Vorwurf nicht. Dieser Hinweis betreffe die Prüfung der Existenz und Werthaltigkeit der Forderungen sowie der Solvenz eines Sicherungsgebers nämlich gerade nicht. Auch andere vorliegende Unterlagen gaben keine verlässlichen Informationen hierzu.
Es sei zu einem Schaden in voller Höhe gekommen. Es habe keinen Rückfluss aus diesen Schuldverschreibungen an die Wirecard AG gegeben. Und der Emittent der Schuldverschreibung, dem die Wirecard AG die Mittel für die Zeichnung zur Verfügung gestellt hatte, sei insolvent.
Erfolglos blieb die Klage des Wirecard-Insolvenzverwalters in Bezug auf den ehemaligen stellvertretenden Aufsichtsratschef Stefan Klestil. Dieser hafte nicht mit - auch wenn er seine Überwachungspflichten, die zentrale Aufgabe eines jeden Aufsichtsrates seien, vernachlässigt habe. Doch das LG zweifelt daran, ob eine ordnungsgemäße Überwachung etwas am Agieren der anderen Vorstände geändert hätte. Denn der Vorstand habe sich bereits in der Vergangenheit nicht an Vorgaben des Aufsichtsrates gehalten.
Manager-Haftpflicht zahlt nicht bei Straftaten
Offen bleibt, selbst wenn es bei der Verurteilung bleibt, wie viel Geld der Insolvenzverwalter letztlich für die Gläubiger bekommen kann. Die Manager haften zwar mit ihrem Privatvermögen, es ist aber mehr als fraglich, ob dieses ausreichen würde. Wirecard hatte für die Vorstände und Aufsichtsräte zwar auch eine Manager-Haftpflicht abgeschlossen, die die geforderte Summe decken könnte. Aber bei Straftaten von Managern zahlen Manager-Haftpflichtversicherungen nicht.
Braun steht mit zwei anderen Managern wegen Betrugsverdachts vor Gericht und sitzt in Untersuchungshaft, der ehemalige Vertriebsvorstand Jan Marsalek ist untergetaucht. Dem ehemaligen stellvertretenden Aufsichtsratschef Stefan Klestil hingegen werden keine Straftaten vorgeworfen.