An­walt ver­ur­teilt: "En­fant ter­ri­ble der An­walts­wer­bung" schick­te por­no­gra­fi­sche Bil­der ans Ge­richt
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Ein wegen stän­di­ger Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit sei­ner An­walts­kam­mer in­zwi­schen be­rühmt-be­rüch­tig­ter Rechts­an­walt ist vom LG Köln straf­recht­lich ver­ur­teilt wor­den – wegen Ver­brei­tung von Por­no­gra­fie. Er hatte se­xu­ell ex­pli­zi­tes Bild­ma­te­ri­al ans Ge­richt ge­sen­det. 

Der Köl­ner Rechts­an­walt Mar­tin Rie­mer ist ei­gent­lich auf Me­di­zin- und Ver­si­che­rungs­recht spe­zia­li­siert. Einer brei­ten (ju­ris­ti­schen) Öf­fent­lich­keit be­kannt ist er aber nicht auf­grund sei­ner an­walt­li­chen Ar­beit, son­dern wegen sei­ner Be­mü­hun­gen, hier­für zu wer­ben. Dies un­ter­sagt näm­lich § 43b BRAO, was in Bezug auf be­druck­te Tas­sen be­reits zwi­schen Rie­mer und der Köl­ner Rechts­an­walts­kam­mer (RAK) dis­ku­tiert wurde. Un­ver­ges­sen bleibt bei vie­len auch die Epi­so­de um eine mit der Adres­se sei­ner Kanz­lei-Web­site be­stick­te An­walts­ro­be, die Rie­mer im Ge­richts­saal tra­gen woll­te, was ihm je­doch auf­grund von § 20 BORA un­ter­sagt wurde. Spä­ter woll­te er mit einer Robe auf­tre­ten, die im rück­wär­ti­gen Schul­ter­be­reich mit den Wor­ten "Ir­di­sche Rich­ter sind fehl­bar" be­stickt war. Diese me­di­en­wirk­sa­men Strei­tig­kei­ten brach­ten ihm den Ruf als "En­fant ter­ri­ble der An­walts­wer­bung" ein.

Nun hat sich der Köl­ner An­walt in­fol­ge sei­ner Werbe-Prak­ti­ken sogar eine straf­recht­li­che Ver­ur­tei­lung ein­ge­bracht - und das be­reits in zwei­ter In­stanz. Zu Jah­res­be­ginn be­stä­tig­te das LG Köln eine Ver­ur­tei­lung Rie­mers nach § 184 StGB wegen Ver­brei­tung por­no­gra­fi­scher Schrif­ten (Ur­teil vom 24.01.2024 – 155 NBs 85/23 74 Js 6/20).

Be­gon­nen hatte die jüngs­te Es­ka­la­ti­on be­reits im Jahr 2013, als Rie­mer Ka­len­der für das nächs­te Jahr an ver­schie­de­ne Au­to­werk­stät­ten ver­schick­te, in denen Frau­en in leich­ter bis gänz­lich ohne Be­klei­dung ab­ge­druckt waren – nicht ohne einen Hin­weis auf seine Kanz­lei in der Kopf­zei­le. Die RAK Köln rügte den Me­di­zin­recht­ler dar­auf ein­mal mehr wegen un­sach­li­cher und un­zu­läs­si­ger Wer­bung. Auf dem Rechts­weg gegen diese Rüge hatte er kei­nen Er­folg. Dies hin­der­te ihn indes nicht daran, An­fang 2015 ähn­li­che Ka­len­der zu ver­tei­len, dies­mal le­dig­lich mit Schwarz-Weiß-Fotos ver­se­hen. Nach den Fest­stel­lun­gen des LG woll­te er "eine Dis­kus­si­on über die Gren­zen von Wer­be­ver­bo­ten für Rechts­an­wäl­te und zu dem Thema fort­füh­ren, in­wie­weit Rechts­an­wäl­te Teil der all­ge­mei­nen Wirt­schaft sind oder eine Son­der­stel­lung ein­neh­men, indem er aber­mals Gren­zen für Wer­be­ver­bo­te tes­te­te".

"Dies hier dürf­te z.B. als se­xis­tisch gel­ten:"

Hier­für ver­ur­teil­te das AnwG Köln Rie­mer wegen einer Pflicht­ver­let­zung, er­teil­te einen Ver­weis und ver­häng­te eine Geld­bu­ße von 5.000 Euro, da er unter an­de­rem gegen §§ 43b BRAO, 6 Abs. 1 BORA ver­sto­ßen habe. Hin­ter­grund ist, knapp ge­sagt, dass an­walt­li­che Wer­bung stren­ge­ren Re­geln un­ter­liegt als die Wer­bung an­de­rer Be­rufs­grup­pen. Rechts­an­wäl­tin­nen und Rechts­an­wäl­te dür­fen nur im Rah­men einer sach­li­chen Un­ter­rich­tung für ihre Tä­tig­keit wer­ben. In dem ver­sen­de­ten Ka­len­der sah das Ge­richt indes keine se­riö­se an­walt­li­che Wer­bung, son­dern einen schlich­ten "Pin-Up-Ka­len­der" mit se­xis­ti­schen Bild­mo­ti­ven ohne Bezug zu an­walt­li­cher Tä­tig­keit.

Straf­recht­lich re­le­vant wurde es dann im An­schluss an diese Ver­ur­tei­lung, denn Rie­mers "Be­ru­fungs­be­grün­dung" fiel in der Sache etwas un­kon­ven­tio­nell aus. Statt sich auf schrift­li­che Ein­wän­de gegen das Ur­teil zu be­schrän­ken, sen­de­te er auch un­ge­fragt Bild­ma­te­ri­al an den AGH NRW. Er schrieb dabei: "…stim­me ich dem An­walts­ge­richt voll und ganz darin zu, dass es auch 'se­xis­ti­sche Bil­der' gilt (Schreib­feh­ler wie im Tat­be­stand des Ur­teils des LG Köln, d. Red.). Dies hier dürf­te z.B. als se­xis­tisch gel­ten:"

Im wei­te­ren Schrift­satz fand sich so­dann unter an­de­rem: 

das Foto einer jun­gen Frau, die of­fen­bar mensch­li­ches Sper­ma im Ge­sicht hatte,

das Foto einer jun­gen Frau, die den Mund weit ge­öff­net und die Zunge her­aus­ge­streckt hatte und sich ihre bei­den, mit einem BH be­klei­de­ten Brüs­te mit den Hän­den hielt (auch hier of­fen­bar mit Sper­ma im Ge­sicht),

di­ver­se Bil­der von un­be­klei­de­ten Per­so­nen beim Ge­schlechts­ver­kehr mit ex­pli­zi­tem Fokus auf die Se­xu­al­or­ga­ne,

sowie di­ver­se an­de­re Bil­der mit se­xu­ell ex­pli­zi­tem In­halt.

"Da würde man auch nach mei­nem Ver­ständ­nis sagen: Se­xis­tisch. Frau­en wer­den zu Ob­jek­ten her­ab­ge­stuft dar­ge­stellt",  kom­men­tier­te Rie­mer.

Es folg­ten wei­te­re Bil­der, die Schlä­ge auf das un­be­klei­de­te Gesäß von Frau­en zeig­ten, wozu der Ju­rist an­merk­te: "Ich ent­schul­di­ge mich für die dras­ti­schen Dar­stel­lun­gen; aber es steht im In­ter­net alles frei ver­füg­bar… und ich be­nö­ti­ge An­schau­ungs­ma­te­ri­al, um mei­nen Punkt zu ma­chen." Auch die rest­li­chen Sei­ten sei­nes Vor­trags, die unter an­de­rem Ab­lich­tun­gen von Ge­mäl­den im Stil der Re­nais­sance­zeit ent­hiel­ten, dien­ten nach sei­nem Ver­ständ­nis der Ab­gren­zung künst­le­risch wert­vol­ler Fo­to­gra­fie von "Schmud­del­por­no­gra­fie".

LG: Keine Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen

Trotz sei­ner Er­klä­rung ver­ur­teil­te ihn das AG Köln, das zwi­schen­zeit­lich noch die Er­öff­nung der Haupt­ver­hand­lung ab­ge­lehnt hatte, schlie­ß­lich zu einer Geld­stra­fe von 40 Ta­ges­sät­zen zu je 80 Euro. Seine Be­ru­fung vor dem LG hatte kei­nen Er­folg, das Ge­richt än­der­te nur den Rechts­fol­gen­aus­spruch auf 30 Ta­ges­sät­ze zu 90 Euro.

Auch in der Ver­hand­lung vor dem LG Köln er­läu­ter­te Rie­mer, der sich ob des Vor­wurfs der Ver­brei­tung von Por­no­gra­fie kon­ster­niert zeig­te, er habe mit sei­nem Schrift­satz auf den Vor­wurf re­agie­ren wol­len, dass die Ka­len­der se­xis­tisch und por­no­gra­fisch seien. Au­ßer­dem – so liest sich seine Ar­gu­men­ta­ti­on, die das LG akri­bisch do­ku­men­tiert, im Kern – habe er ja nicht an ir­gend­wen (etwa seine Nach­ba­rin) diese Bil­der ge­sen­det, son­dern im Rah­men eines an­walt­li­chen Vor­trags ans Ge­richt, das vom Schutz­zweck des § 184 StGB gar nicht um­fasst sei. Die Bil­der­samm­lung im Schrift­satz sei au­ßer­dem als Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen ge­recht­fer­tigt, zudem be­ru­fe er sich auf die Kunst­frei­heit und Mei­nungs­frei­heit. So­fern er irre, han­de­le es sich um einen Er­laub­nis­tat­be­stands­irr­tum.

Die klei­ne Straf­kam­mer in Köln folg­te al­le­dem nicht. Zum einen gelte auch für Rich­te­rin­nen und Rich­ter ein Schutz vor Kon­fron­ta­ti­on mit por­no­gra­fi­schem Ma­te­ri­al, so­fern dies nicht Kern­ge­gen­stand des Ver­fah­rens sei. Auch einen Er­laub­nis­tat­be­stands­irr­tum ge­stand man Rie­mer nicht zu, da er alle re­le­van­ten tat­säch­li­chen Um­stän­de zu­tref­fend er­fasst habe. Ein Schuld­aus­schluss auf­grund eines Ver­bots­irr­tums kam aus Sicht der Kam­mer nicht in­fra­ge, da der An­walt – so zeige es seine Ent­schul­di­gung für das dras­ti­sche Ma­te­ri­al – selbst ein Stör­ge­fühlt ge­habt habe und daher die recht­li­che Lage hätte ab­klä­ren müs­sen. Der Irr­tum sei daher je­den­falls ver­meid­bar ge­we­sen.

De­tail­liert be­fass­te sich das LG Köln mit der Frage der be­rech­tig­ten In­ter­es­sen (§ 193 StGB), die eine Recht­fer­ti­gung hät­ten dar­stel­len kön­nen. Im Er­geb­nis lehn­te das Ge­richt dies eben­falls ab, da die Vor­la­ge der por­no­gra­fi­schen Bil­der "völ­lig un­nö­tig" ge­we­sen sei, um Rie­mers Ar­gu­men­te im Rechts­streit zu il­lus­trie­ren. Seine be­glei­ten­den Äu­ße­run­gen lie­ßen zudem er­ken­nen, dass er sich be­wusst ge­we­sen sei, den Adres­sa­ten viel zu­zu­mu­ten. Ins­be­son­de­re sei es ihm mög­lich ge­we­sen, ein­fach schrift­lich auf das im In­ter­net ver­füg­ba­re Bild­ma­te­ri­al zu ver­wei­sen.

LG Köln, Urteil vom 24.01.2024 - 155 NBs 85/23 74 Js 6/20

Redaktion beck-aktuell, mam, 24. Juni 2024.

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