Geklagt hatte ein Mann, der zu den Angeklagten im Strafprozess um die "Gruppe Reuß" vor dem OLG Stuttgart, einem der drei Verhandlungsorte in diesem Themenkomplex, gehört. Die Nachrichtensendung "Das Nachtjournal" auf dem Sender RTL hatte am 30.04.2024 ein Foto des Mannes im Rahmen der Berichterstattung über den Prozessauftakt in Stuttgart am Tag zuvor gezeigt. Das verwendete Foto war von der Polizei gemacht worden und stammte aus der Ermittlungsakte des Generalbundesanwaltes. Der Mann hatte in die Veröffentlichung nicht eingewilligt.
Er erreichte Anfang Juni einen Eilbeschluss, gegen den RTL vorging. In einer weiteren mündlichen Verhandlung hat das LG Karlsruhe nun erneut zu Gunsten des Mannes entschieden (Urteil vom 09.10.2024 – 22 0 6/24). Es entschied, dass der Mann die Unterlassung der Ausstrahlung seines Fotos verlangen kann. Die Veröffentlichung von Personenbildern begründe grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Um über eine Rechtfertigung zu urteilen, wog das LG zwischen der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs 1. GG, Art. 8 Abs 1 EMRK ab.
Aber auch die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 23 KunstUrhG waren maßgeblich für die Entscheidung. Medien dürften zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonyme Berichterstattung verwiesen werden, erläutert das LG. Das Aufzeigen von Verfehlungen, auch konkreter Personen, gehöre zu ihren legitimen Aufgaben. Ein näheres Interesse an einer Straftat sei aus verschiedensten Gründen gegeben. Auch seien Straftaten häufig durch die Persönlichkeit des Täters oder der Täterin geprägt, weshalb häufig auch ein legitimes Interesse an der Bildberichterstattung bestehe.
Stigmatisierungsgefahr vor Schuldspruch
Dadurch, dass eine identifizierende Berichterstattung zwangsläufig das Recht auf Schutz der Persönlichkeit sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschränke, sei jedoch eine entsprechende Zurückhaltung, "mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung" geboten, so das Gericht weiter. Durch die Berichterstattung werde ein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt und der Betroffene negativ qualifiziert. Eine mögliche „Prangerwirkung“ sei zu berücksichtigen, denn auch eine "um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung" stelle im Regelfall einen weitaus stärkeren Eingriff dar, als geschriebene Berichte.
Die besondere schwere einer angeklagten Tat und eine möglicherweise als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise könnten nicht nur ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit hervorrufen, sondern ebenso die Gefahr der Stigmatisierung des Angeklagten begründen, die sich auch mit einem Freispruch nicht mehr beseitigen lasse, so das LG. Es bestehe die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder die Durchführung eines Verfahrens mit einem Schuldspruch gleichsetze und vom Schuldvorwurf bei allen Verfahrensausgängen "etwas hängenbleibt". Daher überwiege bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch oft, wie auch in diesem Fall, das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Berichterstattungsfreiheit.