Die identifizierende Berichterstattung des Online-Portals NiUS über eine Dresdener Rechtsanwältin war zulässig. Drei Artikel hatten sie mit der gescheiterten Ausweisung des späteren Solingen-Attentäters in Verbindung gebracht, den sie vertreten hatte. Ihr Persönlichkeitsrecht sei dadurch nicht verletzt, so das LG Berlin II (Urteil vom 03.04.2025 – 27 O 304/23).
Auf dem "Festival der Vielfalt" zum 650-Jahre-Jubiläum der Stadt Solingen hatte der Syrer Isan Al Hasan drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt, teilweise lebensgefährlich. Nach der Tat im August 2024 beschäftigte sich NiUS näher mit den persönlichen Verhältnissen des mutmaßlichen IS-Terroristen. In drei Artikeln berichtete es über Missstände im deutschen Asylrecht und versuchte zu erörtern, wer für die fehlende Ausweisung des Syrers verantwortlich sei. Dabei fiel in jedem Artikel der Name einer Dresdener Anwaltskanzlei.
Symbolische Gräber vor der Kanzlei
Die Kanzlei sei die Rechtsvertretung Al Hasans gewesen und habe den Überstellungsbescheid nach Bulgarien – das EU-Land, in das Al Hasan erstmals eingereist war - für ihn angefochten. Die Kanzlei habe "Expertise in der Beratung von Migranten […], die hierzulande Privilegien erhalten wollen und ihren Aufenthalt verlängern wollen – selbst wenn dieser unrechtmäßig ist". Als die Ausländerbehörde Al Hasan nach Bulgarien habe ausweisen wollen, sei dieser nicht anzutreffen gewesen. NiUS erwähnte, dass hier auch nach Insider-Tipps zu ermitteln sei. Vier Tage nach Ablauf der Überstellungsfrist sei die Klage gegen den Bescheid zurückgezogen worden.
Insgesamt lasse sich laut NiUS feststellen, dass es ein "weit verzweigtes System von Rechtshilfen für Asylbewerber gibt, die juristischen Beistand bekommen und mit allen Mitteln und Möglichkeiten versuchen, ihre Ausweisungen anzufechten". Die Dresdener Kanzlei wurde im Kontext dieser Beobachtung wiederum als Al Hasans Vertreter erwähnt. NiUS war dabei nicht das einzige Medium, das in dieser Tonalität über den Fall schrieb, auch die Bild-Zeitung machte die Anwaltskanzlei zum Gegenstand ihrer Berichterstattung.
Gegen die NiUS-Berichte zog die Anwältin vor das LG Berlin II. Sie erklärte, nach der Veröffentlichung sei sie im Internet und per Telefon beleidigt, angefeindet und bedroht worden. Außerdem hätten Angehörige der rechtsextremen Identitären Bewegung drei symbolische Gräber nebst Holzkreuzen vor ihrem Kanzleisitz aufgeschüttet. Sie habe sich lange Zeit nicht mehr vor die Tür getraut und sogar die Kanzlei aus Angst teilweise schließen müssen. Die Berichte verletzten u. a. ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Sie verlangte deshalb von NiUS Unterlassung der Berichterstattung sowie Schadensersatz. Das Gericht wies ihre Klage nun allerdings ab.
Meinung ist Meinung, egal ob falsch, überzogen oder abwegig
Die 27. Zivilkammer des LG Berlin II kam zu dem Schluss, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Anwältin durch die identifizierende Berichterstattung nicht verletzt sei. Dieses sei hier gegen die Meinungs- und Pressefreiheit von NiUS abzuwägen. Die Kammer kam dabei zu dem Ergebnis, dass letztere in diesem Fall überwögen.
Die angegriffenen Äußerungen seien zulässige Meinungsäußerungen gewesen. Dass die Vertretung durch die Kanzlei in einem Zusammenhang mit der späteren Tat durch Al Hasan gestanden haben soll, sei eine subjektive Wertung seitens NiUS, und damit eine Meinungsäußerung. Diese sei auch nicht unzulässigerweise aus der Luft gegriffen, denn schon die Tätigkeit der Kanzlei für Al Hasan sei eine ausreichende Tatsachengrundlage. Eine weitere Bewertung der Meinungsäußerungen sei nicht mehr Aufgabe des Gerichts und grenze an eine unzulässige Meinungskontrolle. Denn auch überzogene oder abwegige Meinungsäußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Insbesondere der Presse sei ein bestimmtes Maß an Übertreibungen und Fehlbeurteilungen erlaubt. Den Leserinnen und Lesern stehe es zudem frei, selbst zu einer anderen Meinung zu kommen.
LG: Ob Name genannt wird, entscheidet die Presse
Demgegenüber griffen die Artikel nur leicht die in die Rechte der Anwältin ein, so die Kammer. Ihr werde darin nicht ausdrücklich rechtswidriges Verhalten vorgeworfen. Höchstens die Ergebnisse der Asylverfahren habe NiUS möglicherweise als rechtswidrig dargestellt, nicht jedoch die Methoden der Anwältin. Alle rechtlichen Möglichkeiten auszureizen, sei vielmehr in einer Linie mit dem gesetzlichen Auftrag von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, stets die Interessen der Mandantschaft zu wahren. Auf einen persönlichen Angriff gegenüber der Anwältin schloss das Gericht nicht.
Zur Frage der Anonymisierung stellte die Kammer klar: Je höher der Informationswert für die Öffentlichkeit, desto mehr müsse das Persönlichkeitsrecht zurücktreten. Die Frage, wie und mit wessen Hilfe Asylsuchende in Deutschland zu einer Verlängerung ihres Aufenthalts kommen, sei insbesondere nach den Attentaten von Mannheim und Solingen von besonders hohem öffentlichem Interesse. Die nötige journalistische Konkretisierung, Authentizität und Nachprüfbarkeit sei NiUS nur bei einer namentlichen Nennung von "Ross und Reiter" möglich gewesen. Ob die Öffentlichkeit Interesse an einem Namen von Beteiligten habe, könnten Medien letztlich frei entscheiden, erklärt das LG ausdrücklich in seinem Urteil. Das gehöre zum Kern der Meinungs- und Pressefreiheit.
Anwältinnen und Anwälte müssten außerdem schon von Berufs wegen damit rechnen, in der Öffentlichkeit benannt zu werden. Im Falle der hier betroffenen Juristin noch mehr, da sie ihre Tätigkeit über ihren Instagram-Account mit inzwischen 11.000 Followern mit der Öffentlichkeit teile. Nach einer solchen "Selbstöffnung" müsse sie sich gefallen lassen, dass andere ihre Tätigkeit abweichend beurteilten.