Kleber und Kartoffelbrei: Rechtliche und gesellschaftliche Einordnung der Klimaproteste
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© EPA / Filip Singer

Festkleben, Besprühen, Bekleckern. Klimaaktivisten machen mit lauten Aktionen auf sich aufmerksam. Nach dem Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin wurden Aktivisten beschuldigt, die Bergung der Frau verzögert und somit an ihrem Tod mitverantwortlich zu sein. Die Aktivisten setzen ihren Protest indes fort - und werden in Bayern für 30 Tage in Gewahrsam genommen. Wir geben einen Überblick über die rechtlichen und moralischen Grenzen des Klimaprotests.

Protestaktion auf Autobahn: Feuerwehr steckt im Stau fest

Vor einer Woche klebten sich zwei Klimaaktivisten an eine Schilderbrücke auf der Berliner Stadtautobahn. Die Polizei rückte an, es bildete sich ein Stau. Zeitgleich wurde in Berlin-Wilmersdorf eine Radfahrerin unter einem Betonmischer eingeklemmt. Das Eintreffen von Spezialgeräten der Feuerwehr verzögerte sich um mehrere Minuten - die Feuerwehr führt das auf den Stau auf der A100 zurück. Die Notärztin vor Ort wartete nicht auf Rüst- oder Krankenwagen und wies den Lkw-Fahrer an, von der Radfahrerin herunterzufahren. Wenige Tage später wurde die Radfahrerin für hirntot erklärt. Seit dem tragischen Vorfall wird intensiv darüber diskutiert, gestritten und polemisiert, inwieweit sich die Protestaktion auf die Bergung der Radfahrerin ausgewirkt hat und ob die Aktivisten womöglich sogar eine Mitschuld an ihrem Tod tragen.

Mitschuld der Aktivisten?

Während zahlreiche Politikerinnen und Politiker ein härteres Vorgehen gegen die Blockierer der "Letzen Generation" fordern und diese im Internet zunehmend angefeindet werden, beteuert die Widerstandsgruppe selbst zwar ihr Bedauern über den Vorfall, weist jedoch jegliche Mitschuld von sich und verweist in diesem Zusammenhang auf einen Artikel der "Süddeutschen Zeitung", der sich wiederum auf einen Bericht der Feuerwehr vom vergangenen Dienstag - einem Tag nach dem Unfall - beruft. Demnach habe die Ärztin klar geäußert, dass sie sich auch bei einer Verfügbarkeit von anderen technischen Möglichkeiten dafür entschieden hätte, das Fahrzeug von der Verletzten herunterfahren zu lassen. Gleichwohl leitete die Berliner Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Aktivisten ein.

Mögliche Straftatbestände

Es ist fraglich, welche Straftatbestände in einem derartigen Fall überhaupt in Betracht kommen. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB dürfte angesichts der konkreten Umstände ausscheiden. Hierfür wäre zwar nicht erforderlich, dass die Aktivisten die Radfahrerin selbst verletzten. Allerdings müsste ihr Tod den Aktivisten zugerechnet werden können. Sie müssten ihn also durch ihre Handlungen (mit-)verursacht haben. Dies wäre im Rahmen einer Autobahnblockade allenfalls der Fall, wenn die Protestaktion ein polizeiliches Einschreiten und ein Absperren der Autobahn erforderlich macht, dies zu einer Staubildung führt und dadurch das gerufene Fahrzeug nicht rechtzeitig an der Unfallstelle ankommt und die verletzte Person in der Folge verstirbt. An jenem letzten Kausalschluss dürfte es im konkreten Fall mit Blick auf die Aussage der Notärztin jedoch fehlen.

Behinderung hilfeleistender Personen

In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit wegen Behinderung hilfeleistender Personen gemäß § 323s Abs. 2 StGB. Demnach wird bestraft, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Personen - seien es Private oder Rettungskräfte - behindert, die einem Dritten Hilfe leisten oder Hilfe leisten wollen. Die Vorschrift gibt es erst seit wenigen Jahren. Voraussetzung wäre, dass die Blockade auf der Autobahn zu einer Behinderung der Feuerwehr geführt hat und die Blockierenden wussten oder es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass sie Personen behindern, die helfen wollen. Von einem direkten Vorsatz der Demonstrierenden kann vorliegend sicherlich nicht ausgegangen werden, von einem Eventualvorsatz hingegen unter Umständen schon.

Widerstand oder Nötigung durch Gewalt?

Im Raum steht auch eine Strafbarkeit nach § 115 Abs. 3 StGB. Hiernach wird bestraft, wer Einsatzkräfte wie Feuerwehr oder Notarzt bei einem Unglücksfall durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt behindert. Möglich erscheint auch eine Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 StGB. Auch hierfür ist Gewalt oder Drohung mit Gewalt erforderlich, um damit den Willen des Opfers zu brechen und ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Bei beiden Tatbeständen ist fraglich, was unter Gewalt zu verstehen ist. § 115 Abs. 3 StGB wurde ursprünglich erlassen, um Personen zu bestrafen, die Einsatzkräfte tätlich angreifen oder festhalten. Das tun die Aktivistinnen und Aktivisten auf der Autobahn aber nicht. Im Rahmen der Nötigung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung schon lange festgestellt, dass durch eine Blockade auf der Fahrbahn gegenüber dem ersten Autofahrer lediglich psychische Gewalt ausgeübt wird. Eine derartige Ausweitung des Gewaltbegriffs würde gegen das strafrechtliche Analogieverbot verstoßen. Die Blockierenden würden aber die Fahrzeuge in erster Reihe als physische Blockade gegen die dahinterstehenden Fahrzeuge einsetzen, was den Straftatbestand der Nötigung erfülle (sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung).

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

Schließlich kommt auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB in Betracht. Die Blockade auf der Fahrbahn könnte ein Hindernis im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen, welches die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt, wodurch Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. Die Tat kann entweder vorsätzlich (Abs. 1) oder fahrlässig (Abs. 4) begangen werden.

Über 700 Verfahren allein in Berlin

Ob und wenn ja welche dieser Tatbestände in der vorliegenden Situation greifen und wie hoch eine etwaige Strafe ausfallen wird, bleibt abzuwarten. In Berlin hat die Staatsanwaltschaft nach eigener Angabe wegen Blockade-Aktionen bereits über 700 Verfahren gegen Demonstrierende eingeleitet, von den Gerichten wurden 133 Strafbefehle erlassen und 36 Geldstrafen verhängt - insbesondere wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Seit heute müssen sich auch zwei Blockade-Aktivisten vor dem AG Stuttgart verantworten. 

AG München verhängt 30 Tage Präventivhaft

Besondere Aufmerksamkeit hat zuletzt die Entscheidung des AG München erregt, mehrere Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten der Gruppe "Scientist Rebellion" nach zwei Festklebeaktionen auf einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in München für 30 Tage in Polizeigewahrsam zu nehmen. Die Demonstrierenden hatten sich innerhalb weniger Stunden zweimal auf den mehrspurigen Altstadtring am Stachus geklebt und dort für circa 90 Minuten den Verkehr lahmgelegt. Da sie laut Polizei angeblich weitere Aktionen angekündigt haben, hat diese beim Gericht den Präventivgewahrsam beantragt - mit Erfolg. Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) können Bürgerinnen und Bürger auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung bis zu einen Monat lang festgehalten werden, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern. Dieser Zeitraum kann um maximal einen weiteren Monat verlängert werden. 

Gefängnis ohne Urteil: Entscheidung stößt auf Kritik

Bis 2017 lag die Präventivhafthöchstdauer lediglich bei zwei Wochen. Als Antwort auf islamische Terrorristen wurde das PAG in den letzten Jahren aber verschärft. Die Dauer der Präventivhaft wurde in diesem Zusammenhang zunächst auf bis zu drei Monate und nunmehr auf bis zu zwei Monate verlängert. In anderen Bundesländern sind maximal 14 Tage, teils deutlich weniger möglich. Bereits bei Einführung der Verschärfungen wurden die Maßnahmen als unverhältnismäßig kritisiert. Wie der "Stern" berichtete, erklärte seinerzeit sogar die Gewerkschaft der Polizei (GdP), das neue PAG sei mit einer "bürgerlichen Polizei nicht mehr in Einklang" zu bringen." Die Internetseite "Netzpolitik.org" titelte 2018 "Das härteste Polizeigesetz seit 1945" und die "Süddeutschen Zeitung" sprach von einer "Schande für einen Rechtsstaat". Dass das Gesetz nun nicht nur als ultima ratio bei Terrorgefahr, sondern auch bei Demonstrationen angewendet wird, ist laut "Stern" exakt das, wovor Kritikerinnen und Kritiker gewarnt hatten. Etliche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft hätten das aktuelle Vorgehen der Münchener Polizei in den sozialen Netzwerken scharf kritisiert.

Suppe und Kartoffelbrei auf Gemälde

Neben den Klebe- und Blockade-Aktionen sorgen Klimaaktivistinnen und -aktivisten auch immer wieder für Aufruhr, indem sie in Museen berühmte Gemälde mit Lebensmitteln beschmutzen, beispielsweise mit Tomatensuppe oder Kartoffelbrei. Auch hier wurden bereits mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet, wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB und Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB. In den Niederlanden sind drei Protestierende nach einer Klebstoffattacke auf das weltberühmte Vermeer-Gemälde "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" bereits zu kurzen Haftstrafen verurteilt worden.

Viel Wirbel mit wenig Wirkung?

Neben der rechtlichen gibt es freilich noch die gesellschaftliche Einordnung der Protestaktionen - und diese fällt keineswegs leichter. So generieren die Demonstrierenden zweifelsohne viel Aufmerksamkeit. Aber wie viel von dieser Aufmerksamkeit kommt dem Klimaschutz zugute? Bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern dürfte es jedenfalls auf Unverständnis stoßen, wieso im Namen des Klimakampfes Lebensmittel auf Gemälde geschmiert und Hände auf Fahrbahnen geklebt werden. Die Aktivistinnen und Aktivisten geben selbst an, mit ihrem Verhalten die Regierung dazu zwingen zu wollen, schneller gegen den Klimawandel vorzugehen. 100km/h auf der Autobahn sowie ein 9-Euro-Ticket im Nahverkehr fordert die "Letzte Generation" nach eigener Angabe, um die Proteste zu beenden. Ob der gewählte Weg der richtige ist, ist fraglich.

Nicht kleckern, sondern klotzen

Die Bundesregierung hält ihn zumindest für nicht zielführend. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner betonte, es sei ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, eine ambitionierte Klimapolitik umzusetzen. Das Anliegen der Demonstranten, das Klima zu schützen, sei nicht nur nachvollziehbar, sondern auch unterstützenswert. "Was aber aufs Schärfste zu verurteilen ist, und das hat der Kanzler deutlich gemacht, sind die gewählten Mittel", so Büchner. Klebe- und Beschmutzungsaktionen seien "nicht geeignet, die Gesellschaft für den Klimaschutz zu mobilisieren." Nach Ansicht von Grünen-Politikerin Renate Künast führe die Form des Protests in eine "Sackgasse", weil der Kern des Problems nicht mehr diskutiert werde, sondern nur noch die Frage, ob es sich um einen legitimen Protest handele. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte: "Ich befürchte, dass es die breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr und entschiedeneren Klimaschutz eher in Frage stellt beziehungsweise uns die Chance raubt, diese Unterstützung noch größer werden zu lassen." Damit dürfte er recht haben. Die Klimaaktionen füllen zwar die Kommentarspalten und Newsfeeds - und vielleicht ist damit für die Verursacher ja schon etwas gewonnen. Darüber, ob und gegebenenfalls, wie man den Forderungen der Aktivistinnen und Aktivisten begegnen könnte, redet und schreibt hingegen kaum jemand.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 7. November 2022 (ergänzt durch Material der dpa).